Unternehmen wie Delivery Hero, HolidayCheck und Amazon tun es: Sie stützen ihre Geschäftsentscheidungen auf Daten, die sie aus kontrollierten Digitalexperimenten gewinnen. Probieren geht also über Studieren. Aber wie testen Unternehmen richtig?
Ein besonders plakatives Beispiel, dass selbst Experten unrecht haben können und es sich immer lohnt, zu testen, zeigt eine Geschichte von Delivery Hero, eine der weltweit führenden Plattformen für Essensbestellungen. Auf einer Konferenz zum Thema A/B-Testing hatte ein Referent behauptet, dass Hintergrundvideos auf der Startseite wohl nur für Anbieter wie die Vermittlungsplattform Airbnb funktionieren würden. Seine These: Für Essenslieferanten würde sich der Aufwand schlichtweg nicht lohnen.
Doch statt diese Aussage als gegeben zu betrachten, ging Delivery Hero den Weg aller Anhänger von Online-Experimenten: Erst mal kontrollieren und vertesten, ließ daraufhin ein professionelles Video für die Homepage produzieren und testete es gegen statische Hintergrundbildern. Das Ergebnis verblüffte: Mit Videos lag die Conversion Rate satte zehn Prozent höher als mit Bildern. „Ein großer Erfolg“, freut sich Erin McLaine, Global Head of Conversion Rate Optimization bei Delivery Hero. „Das gab dem Thema Experimentieren bei uns einen richtigen Aufschwung.”
Unternehmen, die wie Delivery Hero Experimentation als Erfolgsfaktor für sich entdeckt haben, führen jedes Jahr tausende kontrollierte Online-Experimente durch. Mal geht es um die Optimierung einer Website und ein besseres Nutzererlebnis, mal um die Verbesserung von mobilen Apps, aber auch um komplexere Themen wie Produktentwicklungen, neue Strategien und innovative Geschäftsmodelle. An den ausgefeilten Tests nehmen teilweise Millionen Nutzer teil.
Online-Experimente sind längst kein Hexenwerk mehr. Vom einfachen A/B-Test bis hin zu hoch komplexen digitalen Experimenten sind statistische Erkenntnisse Dank einer Vielzahl neuer Experimentation-Lösungen von Anbietern wie Optimizely einfach zu erlangen. „Experimente und Datenerfassung sind heute von grundlegender Bedeutung“, sagt Sebastiaan de Jong, Europa-Verantwortlicher von Optimizely. „Testergebnisse dienen dazu, Ideen, Strategien und Prozesse zu beurteilen. Damit wird es für Unternehmen viel einfacher, datengestützte Entscheidungen zu treffen.“
Eine Feststellung, die sich durch Zahlen einer aktuellen Studie belegen lässt: Der Forrester-Bericht „Insights-Driven Businesses Set the Pace for Global Growth“ zeigt, dass Unternehmen im digitalen Zeitalter immer erfolgreicher werden, wenn ihre Urteile auf Fakten und statistischen Erkenntnissen beruhen. „Insights-driven”, so bezeichnen die Forrester-Analysten eine aufstrebende Unternehmensart, deren Geschäftsmodell auf datengestützten Erkenntnissen beruht. Diese Unternehmen wachsen pro Jahr durchschnittlich um 30 Prozent und dürften bis 2021 voraussichtlich 1,8 Billionen US-Dollar umsetzen.
Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen einen datenbasierten Ansatz verfolgen, statt sich auf die eigene Intuition zu verlassen. Laut einer Studie des Digitalverbands BITKOM zum Einsatz von Digital Analytics und Optimization wird der Einsatz von Tools zur Datenanalyse von Unternehmen, die diese einsetzen, positiv beurteilt: 6 von 10 (61 Prozent) geben an, dadurch Produkte und Dienstleistungen an die Bedürfnisse der Kunden anpassen zu können, rund jeder Zweite konnte Marketing und Vertriebskampagnen zielgerichteter umsetzen (54 Prozent) oder neue Kundengruppen identifizieren (47 Prozent).
„So sehr man auch glauben mag, dass man seine Kunden, sein Produkt und die Auswirkungen neuer Features kennt – man hat nicht immer Recht”, erklärt Datenexpertin McLaine von Delivery Hero. Nur mit digitalen Experimenten sei es möglich, Kundenbedürfnisse wirklich zu kennen, sagt sie. „Wenn es in einem Meeting eine Diskussion darüber gibt, welche Richtung wir mit einem bestimmten Produktfeature einschlagen sollen, können wir einfach sagen: Wir werden ein Experiment durchführen und drei Varianten ausprobieren. Anschließend präsentieren wir die Ergebnisse“, berichtet McLaine.
Auch bei der Urlaubs- und Reiseplattform HolidayCheck ist die Zeit der Bauchentscheidungen vorbei. „Wir haben beschlossen, dass wir unsere Daten immer erst prüfen sollten“, sagt Jan Mikulica, Senior Produkt Analyst bei HolidayCheck. „Wir setzen also die Idee nur dann um, wenn wir genau wissen, dass sie auch funktioniert. So haben wir es geschafft, dass wir die Conversion Rate auf mobilen Endgeräten auf 150 Prozent steigern konnten.“
Global erfolgreiche Unternehmen wie Amazon, Google, Facebook oder Netflix nutzen die Kraft der Daten, die sie aus kontinuierlichen Online-Experimenten gewonnen haben – für sie ist Experimentation ein wesentlicher Bestandteil ihres Geschäftserfolgs. Wie wichtig Online-Tests und Experimente für den Erfolg sind, hatte Amazon-Gründer Jeff Bezos schon 2011 in dem US-Bestseller „The Innovators DNA“ verraten: „Unser Erfolg hängt davon ab, wie viele Experimente wir pro Jahr, pro Monat, pro Woche und pro Tag durchführen. Wenn Sie die Anzahl der Versuche von Hundert auf Tausend erhöhen können, erhöhen Sie die Anzahl der von Ihnen produzierten Innovationen dramatisch.“ Was ist dabei für Amazon herausgekommen? Produkte und Dienste wie Prime, Echo, Kindle oder der Sprachassistent Alexa revolutionieren die Welt. Amazon ist heute das am schnellste wachsende Digitalunternehmen weltweit.
Was kann man daraus lernen? Wie bei Amazon sind erfolgreiche Digitalunternehmen diejenigen, die ihr Geschäftsmodell mit einer Reihe von Ideen starten, die anschließend immer wieder durch Experimente erprobt, angepasst und perfektioniert wurden. Aktuell testet die Facebook-Tochter Instagram neue Features wie längere Videos. Für den etablierten Foto- und Videodienst ist das nicht ohne RisikoAuf den ersten Blick scheint das im Widerspruch zu den Nutzerwünschen zu stehen, denn die junge Zielgruppe liebt gerade die kurzen, eingängigen Clips. „Es zeigt, dass Instagram sich an den Bedürfnisse seiner Nutzer orientiert“, sagt Ginny Follen, Marketing Director bei Optimizely. „Aber ohne valide Zahlen und ausreichende Experimente, gehen Unternehmen ein hohes Risiko ein, ob innovative Funktionen bei ihrer Zielgruppe wirklich ankommen.“ Kontrollierte Experimente bilden ein kontrolliertes Risiko – sie können Aufschluss darüber geben, ob Nutzer neue Formate und Funktionen annehmen oder ablehnen.
Und wenn es mal schiefläuft? Experten sagen, Experimente, die scheitern, sind genauso wertvoll wie erfolgreiche. Das ist ein notwendiger Bestandteil des Experimentierens, um zu erkennen, was funktioniert und was nicht. Bei der Suchmaschine von Microsoft Bing sind beispielsweise nur zehn bis 20 Prozent der Tests erfolgreich, verrät Ron Kohavi, Leiter des Analyse- und Experimente-Teams bei Microsoft in einem Beitrag in Harvard Business Manager.
Um Experimente auszuführen, brauchen Firmen die entsprechende Plattform – und vor allem sollten die Mitarbeiter mit an Bord geholt werden. „Wir wollen erreichen, dass alle Teams völlig unabhängig testen können. Denn das macht das Produkt schneller und besser“, sagt Jan Miculica, Produktanalyst bei Holiday Check. Natürlich geht es auch um den Austausch untereinander. „Unternehmen müssen die gesamte Belegschaft einbeziehen und kontinuierlich Tests durchführen, wenn sie mit digitalen Experimenten wirklich erfolgreich sein wollen“, bestätigt Sebastiaan de Jong.
So führte Delivery Hero die Experimentier-Plattform von Optimizely in allen 40 globalen Märkten ein. Damit will das Unternehmen eine umfassende „Kultur des Experimentierens” etablieren und sicherstellen, dass alle Teams ihre Ergebnisse teilen und aus den Erfahrungen der anderen lernen. „Natürlich führen nicht alle Experimente zu einem guten Ergebnis. Aber nur so lassen sich Fehlinvestitionen vermeiden“, sagt de Jong. „Am Ende sagen Daten mehr aus als das Bauchgefühl“.
Iris Quirin, freie Journalistin aus Hamburg