Wenn die Digitalisierung in mittleren und großen Unternehmen Einzug hält, fühlt sich mancher abgehängt. Diese Entwicklung ist fatal – denn ohne die breite Schulter der Belegschaft kann die digitale Transformation nicht gelingen.
Umso wichtiger ist es, die Mitarbeiter in den betreffenden Bereichen von Anfang an auf die Reise hin zum digitalisierten Unternehmen mitzunehmen. Diese Teilhabe ist dabei durchaus nicht nur administrativer Aufwand. Vielmehr birgt sie die Chance, passgenaue Lösungen für digitalisierte Arbeitsabläufe zu finden. Zudem – und das geben uns die Gebote eines erfolgreichen Change Managements seit jeher vor – ist es auch in gewisser Weise eine Pflicht, den Mitarbeitern Mitgestaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Zumindest haben jene Organisationen, die ihre Mitarbeiter aktiv in den Digitalisierungsprozess einbinden, die besseren Chancen, dass er am Ende gelingt und weiterwachsen kann.
Zwischen Diktatur und Stuhlkreis
Nahezu jedes Change Management prognostiziert den Untergang jener Unternehmenslenker, die die Weisheit allein für sich gepachtet haben – und jeden anderen in der Organisation an ihrem Selbstverständnis teilhaben lassen. Dennoch fällt es manchen Managern immer noch schwer, den Kreis der Beteiligten und Meinungsbildner größer zu gestalten als er bislang im in persona der Direct Reporting Linie war.
Warum ist das so? Weil wichtige Themen wie etwa die Digitalisierung erst einmal „vom en-geren Kreis“ entschieden werden sollten? Weil den Sachbearbeitern in den Fachabteilungen oder der Disponenten des Kunden der Weitblick fehlt? Weil Digitalisierung „gefährlich“ ist und deshalb erst einmal das Risiko-Board darüber diskutieren sollte? Dass diese Vorsicht gerade im Zuge der Digitalisierung in die Sackgasse führt – ja sogar führen muss – erleben Unternehmen, die es inzwischen anders angehen. Denn: Spricht die Führungsebene von „normalen“ Mitarbeitern, dürfen sie durchaus von Digital-Natives ausgehen. Und sind es nicht gerade diese Digital-Natives, die ein Unternehmen und den Markt in Richtung Digitalisierung ziehen? Dieser Blickwinkel lässt nur einen Rückschluss zu: Erfolgreiche Digitalisierungsstrategien werden nicht von einigen Wenigen entwickelt und schon gar nicht umgesetzt. Nur eine groß angelegte Kampagne zur Förderung der kreativen Beteiligung aller führt aus Erfahrung – hier gerne durch die Führung initiiert – zum Ziel. Jene Erkenntnis bricht sich derzeit am deutschen Markt Bahn und wird naturgemäß zu neuen Herausforderungen führen.
Neue Anforderungen an die Mitarbeiterqualifikation
Durch den Einzug der Digitalisierung, z.B. in einem Produktionsunternehmen, kann und wird sich viel ändern. Eine Smart Factory stellt die Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter buchstäblich auf den Kopf. Was spricht also dagegen, die Mitarbeiter in den Verändersprozess bereits in der Anforderungsdefiniton einzubinden, um ihnen so die Chance auf die Mitgestaltung des Weges zu geben?
So bekommt beispielsweise der Vertriebsmitarbeiter die Möglichkeit, die Veränderungen seines Zielmarktes, welcher künftig mit dem Internet der Dinge (Internet of Things; IoT) eng verzahnt agieren wird, einzuordnen und seine eigenen Aktionen entsprechend anzupassen. Folglich können sich verändernde Erfolgsfaktoren für den Verkaufsabschluss langsam und stetig in den Vordergrund rücken. Wurde gestern noch über den Preis/Rabatt und über „Qualität“ verkauft, sind heute die Liefertreue und die Verfügbarkeit von Informationen aus der Teilefertigung (z.B. für die Gesamtplanung) die entscheidenden Argumente vor einem Eintritt in eine Supply Chain. Wird er beteiligt, kann der klassische Verkäufer sich im Rahmen des Changeprojektes zu einem Analysten /Disponenten /Moderator entwickeln, wobei die Systemwelt mit ihm wächst.
So oder so ähnlich geht es derzeit vielen Fachabteilungen – ob Einkauf, Produktion und Logistik. Häufig unerkannt bleibt dabei die Tatsache, dass es die HR-Abteilungen in der Regel am schwersten trifft. Denn: Die veränderten Berufsprofile sollen „als Eigengewächse“ im Unternehmen aus- oder weitergebildet werden können. Dazu sind im ersten Schritt alle Qualifikationsmodelle den Veränderungen anzupassen und dazu passende Schulungsmodelle und – methoden zu entwickeln. Viele Großunternehmen haben dies bereits verinnerlicht und setzen leistungsfähige Qualifikations-Management-Systeme ein, die wiederum mit Schulungsdatenbanken der Berufsgenossenschaften oder der Überwachungsvereine verknüpft werden können.
Anforderungsmanagement: Ausgetretene Pfade verlassen!
Um das riesige Potenzial einer sich digitalisierenden Belegschaft aufzufangen, kommen Unternehmen nicht umhin, ihre Kunden, ihre eigenen Mitarbeiter – sogar deren Freunde und Familien – in das Anforderungsmanagement für die eigene Digitalisierung einzubinden. Dies kann auf vielen Wegen gelingen. Im Zuge eines intelligent und motivierend aufgesetzten Social Demand Managements etwa können Ideenwettbewerbe ausgerufen oder Kunden befragt werden.
Im Kern geht es dabei darum, Strömungen aufzufangen, die das eigene Unternehmen voranbringen – also den Trichter zu öffnen und den Fokus zu weiten. Welche der Ideen am Ende erfolgreich umgesetzt werden und welche nicht, ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht relevant. Vielmehr ist es hier das Gefühl der Teilhabe, der Mitgestaltung welches eine ganze Organisation tragen kann. In der Automobilbranche etwa, werden Ideen bereits in offenen Foren über das Intranet diskutiert und kommentiert. Die Demands erhält ein Gremium, welches über die Realisierung entscheidet, die die meisten „Likes“ oder Diskussionsbeiträge haben. Auch in der Softwareentwicklungsbranche lassen sich solche Aktionen beobachten. Seit eh und je ist es hier ein gelebter Standard, die Produktweiterentwicklung über die Kunden zu steuern, die eine Software-Wartungspauschale bezahlen. Hier wird das Recht erkauft, seine Anforderungen direkt in die Entwicklung des nächsten Releases einfließen zu lassen. Was spricht dagegen, in einem Forum nach Verbündeten zu suchen und so dem Mehrheitsprinzip folgend bewährte Standard-Produkte zu individualisieren?
Keine „neue Sau durchs Dorf“
Mit „intelligent aufgesetzt“ meint der Autor übrigens auch, dass alle Beteiligten Lust auf die Neugestaltung, also auf die Digitalisierung des eigenen Hauses bekommen und die Sache nicht auf Mitarbeiterseite mit der Frage beginnt: Welche Sau wird denn nun wieder durch das Dorf getrieben? Damit genau letzterer Eindruck nicht entsteht, ist Glaubwürdigkeit wichtig. Zu jedem Prozesszeitpunkt sollte – vom Empfangsmitarbeiter bis zur höchsten Hiercharchiestufe – das Gefühl vorherrschen, dass der eigene Vorschlag Gehör findet und fair bewertet wird. Dass das so wahrgenommen wird, ist den Erkenntnissen der Berater von expertplace folgend, übrigens vor allem eine Kulturfrage auf die immer mehr Unternehmen eine Antwort finden (müssen). Die Experten aus Köln begleiten Digitalisierungsvorhaben in unterschiedlichen Unternehmensgrößen und haben dabei erstaunliche Gemeinsamkeiten entdeckt.
So sorgt etwa die Frage an alle (sinngemäß) „WO denken Sie, kann Digitalisierung in unserem Unternehmen helfen?“ zunächst für Aufregung, doch schon nach kurzer Zeit für ein hohes Maß an Konstruktivität. Häufig treten dabei Vorschläge zu Tage, die nicht nur Geld sparen, sondern auch die tagtägliche Arbeit erleichtern. Gerade in Zeiten knapper Ressourcen, lohnt es sich hier sehr genau hinzuhören, die Anforderungen strukturiert zu bewerten und in Relation zu stellen. Funktioniert hat dies übrigens auch bei einem Telekommunikationsunternehmen welches die Anbindung neuer Shops digitalisiert hat. Dabei werden über eine simple Eingabemaske Basiseinstellungen getätigt. Diese bewirken, das ein neuer Shop zum Eröffnungszeitpunkt komplett an das Netzwerk des Konzerns angeschlossen ist und Buchungs- und Kassensysteme von der ersten Minute ohne viel Aufwand funktionieren. Diese Idee hatte übrigens ein Mitarbeiter, der mit der Neuausstattung der Shops allenfalls im Entferntesten zu tun hat. Er war nämlich derjenige, der die Kassensysteme liefert und diese immer wieder aufgrund falscher Daten zurücknehmen musste.
Fazit
Die Digitalisierung wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen und eine strategische Aufgabe bleiben. Damit sie gelingt, binden Organisationen unterschiedlicher Größe nicht nur ihre Fachabteilungen ein. Sie schaffen Beteiligungsmöglichkeiten, die jedem – sogar Externen – die Aufbruchstimmung vermitteln, die für solche großen Vorhaben sinnvoll und notwendig ist. Wichtig ist es hierbei, dass es bei der Erfassung der Vorschläge, der weiteren Verarbeitung, der Einordnung in die Unternehmensstrategie und der anschließenden Umsetzung ausgewählter Maßnahmen auch aus Mitarbeiterperspektive glaubwürdig und strukturiert zugeht.
Volker Altwasser, Senior Management Consultant, expertplace networks group AG