Digitale Technologien bilden die neue Infrastruktur des Wohlstands. Dieser drückt sich aber nicht darin aus, dass immer mehr Investitions- und Konsumgüter hergestellt werden. Im Gegenteil. Das Internet der Dinge, datenbasierte Geschäftsmodelle, die Künstliche Intelligenz und die Blockchain heben die Sharing Economy auf das nächste Level. Wer mehr teilt muss weniger produzieren.
Wie erfolgreich die Sharing Economy ist, zeigt der Widerstand gegen sie: Weltweit gehen Taxifahrer auf die Straßen, veranstalten Sternfahrten und zünden auch schon mal Reifen und Fahrzeuge an, um gegen den Fahrdienst Uber zu protestieren. Sie fühlen sich bedroht durch die Idee, dass private Autos und Fahrer nun die Menschen durch die Städte kutschieren. Mit einer Bewertung von 69 Milliarden Euro gilt Uber gleichzeitig als vielversprechendstes Start-up der Welt, das Geschäftsmodell als wegweisend und auch als Vorläufer für autonome Mobilitätssysteme. Uber hat längst Nachahmer gefunden. Der weltweit größte Anbieter in diesem Segment ist das chinesische Start-up Didi Chuxing, das 400 Millionen Kunden in 40 chinesischen Städten bedient. Über Partnerunternehmen ist Didi Chuxing aber auch in anderen Märkten aktiv, zum Beispiel in Paris. Ein weiterer Markt, in dem der Sharing Economy Gegenwind entgegenbläst, ist der Wohnungsmarkt. Metropolen, in denen Mietwohnungen knapp und teuer geworden sind, dämmen regulatorisch den Siegeszug von Airbnb ein. Der Grund: Die Idee, ungenutzten Wohnraum vorrübergehend an Reisende zu vermieten, ist längst zu einem Geschäftsmodell mutiert. Viele Immobilienbesitzer vermarkten ihre Wohnungen nur noch über Airbnb und entziehen sie dem Angebot für potenzielle Langzeitmieter. Es sind Wettstreite um die Märkte von morgen, die rund um die Sharing Economy ausgetragen werden. Tradition versus Zukunft, analog versus digital, Konsum versus Teilen, Sicherheit versus Agilität – nicht nur im Job, auch im Privaten.
Keine Frage, die Sharing Economy erschüttert Märkte und erfreut sich großer Beliebtheit. 2015, so ergab eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), hatten bereits 46 Prozent der Deutschen Angebote der Sharing Economy genutzt. 35 Prozent zählten zu den Anbietern von Sharing-Produkten. Sie ließen sich vor allem von dem Gedanken leiten, dass die Gesellschaft profitiert (76 Prozent) und das Leben erschwinglicher wird (71 Prozent), wenn Güter und Services geteilt statt immer wieder neu gekauft werden. Ihr Interesse konzentrierte sich auf Medien- und Unterhaltungsangebote (33 Prozent), Konsumgüter wie Kleider oder Spielzeug (31 Prozent) und den Markt Automobile und Transport (28 Prozent). Car Sharing gilt als einer der vielversprechendsten Märkte der Sharing Economy. Besonders populär, das zeigen Untersuchungen des Marktforschungsinstituts TNS Infratest, ist das Teilen bei den Unter-40-Jährigen. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ – dieser einst von den Sparkassen in einem Werbeslogan komprimierte Besitzerstolz kommt bei jungen Leuten nicht mehr gut an. Viele Millennials pfeifen auf Eigentum. Der Zukunftsdenker Jeremy Rifkin, der die Sharing Economy propagiert wie kein Zweiter, beschrieb schon in den 2000er-Jahren in seinem Buch „Access – Das Verschwinden des Eigentums“ den Kern dieses Paradigmenwechsels: „Im kommenden Zeitalter treten Netzwerke an die Stelle der Märkte, und aus dem Streben nach Eigentum wird Streben nach Zugang, nach Zugriff auf das, was diese Netzwerke zu bieten haben.“
Teilen von gestern bis morgen
Teilen liegt im Trend. Übrigens nicht zum ersten Mal. Im vorindustriellen Zeitalter kannten die Dorfgemeinschaften die Allmende, gemeinschaftlich genutztes Weideland, wie es heute noch vereinzelt in einigen europäischen Gegenden und in Entwicklungsländern zu finden ist. Die englische Übersetzung für Allmende heißt „commons“, ein Begriff, der heute für die gemeinschaftliche Nutzung von Inhalten im Internet steht. Wikipedia-Einträge stehen zum Beispiel unter einer Creative-Commons-Lizenz, das heißt, Urheber räumen der Öffentlichkeit weitgehende Nutzungsrechte ein. Sie „sharen“ ihre Werke und ihr Wissen großzügig mit der Welt. In der Open-Source-Bewegung werden Programmcodes kostenlos geteilt. Die Frage, ob „Allmende“-Güter bei der Weiterentwicklung des Wirtschaftssystems eine Rolle spielen können, beschäftigen zum Beispiel den Ökonomen und Journalisten Paul Mason in seinem Buch „Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie“. Ein Bestandteil seiner Vision sind Kooperativen, die einerseits den Markt bedienen, darüber hinaus aber auch der Allmendeproduktion verpflichtet sind und dadurch einen sozialen Charakter erhalten.
Ihr Karl-Heinz Land
Ohne das Internet und die Digitalisierung wäre dieser Bewusstseinswandel nicht denkbar. Erst die Plattform-Ökonomie ermöglicht es, in großem Stil Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Viele erfolgreiche Modelle der Sharing Economy basieren auf Plattformen, die nach dem Peer-to-Peer-Prinzip organisiert sind, ein Konzept, das einst mit der Auktionsplattform Ebay populär geworden ist. Die Plattform stellt nur die zentralen Vermittlungsdienste zur Verfügung, schafft einen rechtlichen Rahmen und führt die Transaktionen durch. Sie besitzt selbst kein einziges Gut und lebt von Provisionen aus den vermittelten Abschlüssen. Airbnb hat nicht ein Hotelbett, Uber nicht ein einziges Auto. Und doch haben diese Start-ups die Energie, eine Branche komplett durcheinanderzuwirbeln. Die Gründe sind vielfältig: Sie bringen neue Wettbewerber, häufig Privatpersonen, in einen Markt, der bislang professionellen Anbietern vorbehalten war. Ihr Geschäftsmodell ist hochskalierbar und lässt sich mühelos globalisieren. Sie organisieren die Customer Journey in den Märkten neu. Wenn Menschen etwas kaufen oder buchen möchten, ziehen sie immer häufiger auch ein Sharing-Angebot in Erwägung. Schlimmer noch für etablierte Anbieter: Die Plattformen kapern die Kundenbeziehung, sichern sich die Hoheit über die Daten. Sie werden zentraler Kommunikationspartner der Kunden. Der wahre Anbieter der Leistung, zum Beispiel eine Hotelkette, ist ausgebootet.
Von dieser ersten Welle der Sharing Economy wurde die deutsche Wirtschaft kalt erwischt. Sharing-Plattformen sind in erster Linie Sache der US-amerikanischen Internetwirtschaft. Mit den Plattformen zeigen die Silicon-Valley-Unternehmen, dass in ihren großspurigen Weltverbesserungsphantasien zumindest ein Körnchen Wahrheit steckt. Der Grund: Im Kern steht die Idee, Überfluss zu verteilen. Nicht genutzten Wohnraum. Herumstehende Autos. Leere Büroräume. Im Keller schlummernde Werkzeuge. Börsen, an denen überschüssige Energie gehandelt wird, sind damit ebenso Teil der Sharing Economy wie Mitfahrzentralen, die dafür sorgen, dass die Transportkapazität eines Autos effektiver genutzt wird.
Lesen Sie auch die anderen Beiträge der Serie „Dematerialisierung“:
Teil 1: Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt
Teil 2: Dematerialisierung – Die neue Infrastruktur des Wohlstands
Teil 3: Dematerialisierung – Willkommen, KI!
Teil 4: Dematerialisierung: Blockchain – das Betriebssystem der vernetzten Welt
Teil 5: Dematerialisierung: Sharing Economy – Teilen ist das neue Haben
Man würde der Sharing Economy aber nicht gerecht, wenn man sie auf den Peer-to-Peer-Gedanken und die populären Plattformen reduzieren würde. Streaming-Dienste zum Beispiel funktionieren nicht nach diesem Prinzip. Wer über Apples iTunes oder Spotify Musik streamt oder über Netflix Filme und Serien schaut, geht keinen Deal mit Urhebern und Produzenten ein. Gleiches gilt beim Download von E-Büchern bei Amazon oder anderswo. Geschäftspartner ist dann eine E-Commerce-Plattform, die ihrerseits die Inhalte lizensiert hat. Sie stehen heute schon für ein Phänomen der Share Economy, das in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen wird: Die Grenzkosten tendieren gegen null.
Grenzkosten bezeichnen den Aufwand, den ein Unternehmen für ein weiteres Angebot an einen Kunden aufwenden muss. Jedes weitere Auto, das produziert wird, muss der Hersteller mit tausenden Euro vorfinanzieren und darüber hinaus in Vermarktung und Vertrieb investieren. In einer Welt der Daten und digitalen Güter schmelzen diese Kosten jedoch in sich zusammen. Eine Software, einen Song, einen Film oder einen Text einem weiteren Kunden zur Verfügung zu stellen, kostet so gut wie nichts. Deshalb skalieren Sharing-Modelle, so sie denn den Nerv der Kundschaft treffen, mit hohem Tempo. Richtig spannend wird es aber erst im nächsten Schritt: Das Null-Grenzkosten-Prinzip springt auf die Produktion, den Kernbereich der Industrie über. Die Sharing Economy von morgen vermarktet einerseits Überkapazitäten an Produktionsmitteln, andererseits verwandelt sie jeden Konsumenten in einen potenziellen Produzenten, also „Prosumer“.
Möglich wird dies durch das Internet der Dinge (IoT), oder besser das „Internet of Services“, mit dem Milliarden Menschen über ihre Smartphones bereits verbunden sind. In vorangegangen Teilen dieser Serie zur Neuverteilung der Welt habe ich die Effekte und neuen Geschäftsmodelle der IoT-Welt beschrieben. Mit der Blockchain erhält sie auch ein sicheres, transparentes und schnelles Betriebssystem, ein Protokoll des Vertrauens, das Peer-to-Peer-Transaktionen weiter vereinfachen wird. IoT und Blockchain bilden die Basis für die Sharing Economy 2.0. Es ist ja bereits eine Selbstverständlichkeit, dass Kunden ihre Sneaker oder Sportschuhe selber gestalten können. Aber das ist nur der Anfang. Über das Internet der Dinge werden die Verbraucher künftig 3D-Drucker ansteuern können und hochpersonalisierte Designs und Formen bestellen.
Vor allem aber werden Unternehmen über das Netz ihre Überkapazitäten in der Produktion teilen. Denn: Nicht alle Unternehmen fahren Rund-um-die Uhr-Schichten. In vielen Fabriken gibt es immer wieder Zeiten des Stillstands. Maschinen stehen nutzlos herum. Diese „Ruhezeiten“ werden künftig mit anderen Unternehmen geteilt. Es wird Plattformen geben, auf denen diese Kapazitäten angeboten und nachgefragt werden, wo die Betreiber der Maschinen und die Interessenten an Produktionszeit zusammenfinden. Noch wirkt dieser nächsten Stufe der Share Economy das Wesen der Maschinen entgegen. Sie müssen jedoch mit einigem Aufwand für jeden neuen Auftrag umgerüstet und vorbereitet werden. Aber mit dem Siegeszug des 3D-Drucks verändern sich die Parameter. 3D-Drucker sind deutlich flexibler. Und schwer im Kommen.
Der Gesamtmarkt für 3D-Druck wird je nach Studie und Betrachtungsweise jährlich zwischen 15 und 30 Prozent wachsen. Optimistische Studien gehen von einem Marktvolumen von über 400 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 aus. Kaum verwunderlich, denn schließlich löst der 3D-Druck einige Probleme: Losgröße 1 ist damit keine wirkliche Herausforderung mehr. Ersatzteile können bei Bedarf und vor Ort produziert werden. Der Transport über lange Distanzen entfällt, Verkehrswege und Umwelt werden entlastet. Share Economy und 3D-Druck erweisen sich dabei Dreamteam. Meine Prognose ist: Schon bald werden 3D-Druck-Hubs eingerichtet, sowohl für Endverbraucher wie für Unternehmen. Sie müssen also nicht in eigene 3D-Druck-Kapazitäten investieren, sondern teilen sich externe Druckerzentren. Der Logistikdienstleister DHL hat bereits Pop-up-Stores für den 3D-Druck getestet. Keine Frage: Die Produktion kommt zum Kunden und wird immer individueller. Das Ausgangsprodukt ist nur noch ein Datensatz. Die Grenzkosten beginnen auch für materielle Güter dahin zu schmelzen.
Da wir im Moment die ersten Vorläufer der exponentiellen Explosion der IT-Leistung erleben, dürfen wir durchaus mutig in die Zukunft blicken und groß denken. Autonomes Fahren wird zu koordinierten und kollektiven Mobilitätssystemen führen, die ebenfalls Ausdruck der Sharing Economy sind. Die „Smart City“ der Zukunft wird nach diesem Prinzip organisiert. Außerdem sind Einkommen und Vermögen auf der Welt so ungleich verteilt, dass sich die Frage stellt, ob die Sharing Economy 2.0 zu einem Ausgleich beitragen kann. Ich bin davon überzeugt: Wenn 3D-Druck-Hubs demnächst in allen großen Metropolen stehen, können auch kleine Anbieter aus Entwicklungsländern global erfolgreich sein. Egal, ob sich ein Tourist auf Reisen bei einem Designer ein Kleidungstück aussucht oder eine Bestellung aus dem Internet eingeht – geprintet wird immer nahe des Wohnorts des Kunden. Lagerhaltung und Versand um den Globus entfallen. Vice versa können Unternehmen in Entwicklungsländern Teile und Materialien selber drucken, zum Beispiel Ersatzteile für Maschinen, und müssen sie nicht über den Weltmarkt beziehen. In diesem Thema steckt viel Phantasie.
Die Zukunft der Share Economy hängt indes nicht nur vom 3D-Druck ab. Auch herkömmliche Maschinen werden in Zeiten von Sensorik, Internet der Dinge, Robotik, Big Data und Künstlicher Intelligenz immer flexibler. Volks- und betriebswirtschaftlich wäre es ein Jammer, diese Wunderwerke der Technik stillstehen zu lassen. Unternehmen sollten sich an den gewöhnen, dass es nicht nur um Industrie 4.0 geht, nicht nur um die eigene smarte Fabrik, sondern um Wirtschaft 4.0, um Wertschöpfungsnetze. Diese bilden sich nicht nur auf der Produktseite ab, indem verschiedene Unternehmen den Kunden gemeinsam ein Angebot machen, sondern auch in der Herstellung. Überschüssige Produktionskapazitäten zu teilen ist das Gebot der Zukunft, findet
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Karl-Heinz Land ist Digital Evangelist und Gründer der Strategie- und Transformationsberatung neuland sowie Sprecher der Initiative Deutschland Digital (IDD).
Buchtipps:
Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus. Frankfurt 2014
Ralf T. Kreutzer und Karl-Heinz Land, Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt in Zeiten des Digitalen Darwinismus, Köln 2015
Paul Mason, Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Berlin 2016