Die Corona-Krise stellt Unternehmen weltweit vor große Herausforderungen und hat zugleich bereits die Weichen für einen schnelleren Digitalisierungsfortschritt gestellt. Auch in der Projektzusammenarbeit zwischen SAP-Anwender- und Beratungsunternehmen, etwa bei SAP S/4HANA-Implementierungen, erfordert die Krise ein Umdenken und neue Herangehensweisen.
Darüber und wie SAP Gold Part valantic Kunden durch den Prozess der Neuausrichtung mit S/4HANA führt, sprach Ulrich Parthier, Herausgeber it management, mit Thomas Latajka, Geschäftsführer bei valantic ERP Services.
Aus welchen Branchen stammen Ihre Kunden und mit welchen Herausforderungen haben sie derzeit zu kämpfen?
Thomas Latajka: Innerhalb unserer SAP S/4HANA-Implementierungsprojekte kommen viele unserer Kunden beispielsweise aus der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie. Für sie ist es wichtig, dass auch während der Krise die komplette Lieferkette, Vertrieb und Logistik zuverlässig funktionieren, damit die Produktion reibungslos weiterlaufen kann und ihre Produkte die Verbraucher erreichen, ohne dass irgendwo größere Lieferengpässe entstehen. Zum anderen sollen laufende Digitalisierungsprojekte, wie zum Beispiel S/4HANA-Implementierungen, möglichst im Plan bleiben und sich trotz weniger Präsenz beim Kunden nicht unnötig verzögern und damit verteuern.
Weitere Themen sind unsere Kunden derzeit beispielsweise die aktuelle temporäre Mehrwertsteuersenkung durch das Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung, die zeitnah in den SAP-Systemen abzubilden war, die Automatisierung kritischer die ERP-Prozesse, der Aufbau neuer Vertriebsstrukturen in Form von Online-Plattformen, die Digitalisierung und Neustrukturierung der Supply Chain und vieles mehr.
Was hat sich für Sie als SAP-Beratungs- und Digitalisierungsunternehmen in der Corona-Zeit verändert? Gab es Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit Ihren Kunden?
Thomas Latajka: Zunächst muss man natürlich sagen, dass sich Anfang dieses Jahres, als von den ersten Corona-Fällen berichtet wurde, sicher niemand hätte vorstellen können, was da wirklich mit welcher Wucht auf uns zurollt und welche Auswirkungen diese Pandemie weltweit haben würde. Der Shutdown, Kontaktbeschränkungen und der zeitweilige absolute Stillstand ganzer Industrien und die existenzielle Not vieler Kleinunternehmer sind in der jüngeren Geschichte ja bisher ohne Beispiel.
Als Digitalisierungsunternehmen gab und gibt es aber nach wie vor genügend für uns zu tun, da sich viele unserer Kunden aktuell mitten in Transformationsprojekten befinden. Wie viele andere Unternehmen mussten auch wir einige Präsenzveranstaltungen, darunter unser großer Digitalkongress visiondays, absagen. Dafür haben wir mit dem Customer Focus Day SAP eine neue Online-Plattform für den Austausch von SAP Kunden und Expert*innen geschaffen. Auch auf Seiten unserer Kunden wurden Präsenzmeetings zunächst ausgesetzt. Es entwickelte sich dann aber schnell eine neue Form der Projektzusammenarbeit auf Distanz.
Was meinen Sie damit genau?
Thomas Latajka: Wir mussten teilweise mehrtägig geplante Workshops mit Kunden adhoc virtuell stattfinden lassen. Das war nicht ganz so einfach, denn es stellte sich schnell heraus, dass es bei weitem nicht ausreicht, Inhalte, die für Präsenzveranstaltungen gedacht sind, 1:1 in Präsentationen zu transkribieren. Man muss viele weitere Faktoren berücksichtigen. Etwa, dass bei Online-Meetings oder Videokonferenzen die digitale Aufnahmekapazität von Menschen Grenzen hat und man sie nicht zu lang ansetzen darf. Ebenso, dass man ausreichend Pausen einbauen muss und für genügend Interaktion sorgt, damit das Auditorium nicht nach kurzer Zeit „wegdämmert“. Da gab es für uns als Berater viele Learnings. Aber letztendlich haben wir von einer hohen Lernkurve sehr profitiert und erfahren, dass unsere Kunden gerade in der jetzigen Zeit sehr positiv auf unsere virtuellen Konzepte für Workshops reagieren. Fehlende Workshops können Projekte von einem Tag auf den nächsten komplett stoppen und für alle Seiten immensen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Wir haben gemeinsam mit unseren Kunden sogar komplexe SAP-Großprojekte komplett remote, in virtueller Zusammenarbeit, gestartet. Eine neue und sehr gute Erfahrung.
Wie schätzen Sie die Priorisierung von IT-Projekten bei SAP-Anwenderunternehmen ein? Hat sich die Lage hier verändert durch die Krise?
Thomas Latajka: Einerseits sehen wir, dass es Branchen gibt, die SAP-Projekte gestoppt, eingefroren, Budgets massiv gekürzt oder verschoben haben. Die meisten unserer laufenden Projekte konnten wir glücklicherweise fortsetzen, wie geplant. Für unsere Kunden spielt angesichts der Krise allerdings das Thema finanzielle Absicherung eine viel wichtigere Rolle. Das heißt, die zuverlässige Kalkulierbarkeit und Planbarkeit von Projekten bekam einen höheren Stellenwert. Wir haben speziell für S/4HANA Projekte die Project Simplification für ein agiles Projektmanagement in überschaubaren Teilschritten entwickelt. Hier können Kunde und Beratungsteam den Projektfortschritt jederzeit transparent monitoren und möglichen Schwankungen frühzeitig und gezielt entgegensteuern.
Wie führen Sie Kunden durch den Prozess der Neuausrichtung mit SAP S/4HANA?
Thomas Latajka: Wir setzen speziell bei S/4HANA Projekten eine von zwei alternativen agilen Projektvorgehensweisen ein, die Project Simplification oder die Continuous Discovery & Delivery. Bei der Project Simplification werden vor der Umsetzung alle Prozesse im Unternehmen genau analysiert und es werden Arbeitspakete erstellt. Vorteile der Project Simplification sind unter anderem eine exaktere Planung der Laufzeit, ein genaueres Forecasting des Projektbudgets und eine bessere Ressourcenverteilung durch die insgesamt längere Projektlaufzeit. Auch lässt sich mithilfe der Project Simplification die Komplexität eines solchen Projekts verringern. Bei der anderen Vorgehensweise, der Continuous Discovery & Delivery, werden Einzelprozesse analysiert und designt und dann dazu die entsprechenden Arbeitspakete erstellt und kontinuierlich umgesetzt. Vorteile sind hier eine potenziell höhere Akzeptanz bei Projektmitarbeitern, die kontinuierlich direkt eingebunden werden und eine kürzere Projektlaufzeit, da ansonsten getrennte Projektphasen hier parallel ablaufen. Nachteil ist allerdings ein deutlich anspruchsvolleres und komplexeres Projektcontrolling. Das Projekt wird „leitungsintensiver“, wenn man so will.
Welche Rolle spielt das Projektteam und seine Zusammensetzung?
Thomas Latajka: Eine sehr wichtige Rolle. Insgesamt haben wir festgestellt, dass große Digitalisierungsprojekte nicht mehr IT-getrieben sein dürfen, um erfolgreich zu sein. Im Gegenteil müssen die Fachabteilungen mit ihrem Expertenwissen der Prozesse wieder in den Vordergrund rücken. Wir arbeiten aus diesem Grund innerhalb unserer S/4HANA-Großprojekte mit einer ganz bestimmten Projektstruktur in Form einer Projektpyramide, bestehend aus Lenkungskreis, Projektleitung und Projektteam, in dem die Verantwortlichkeiten genau definiert sind. So sind kurze Wege und ein bestmöglicher Austausch gewährleistet.
Herr Latajka, wir danken für das Gespräch!