Schnell, direkt, komplex, kaum kontrollierbar – und doch ist eine ganze Technologie-Szene nicht nur im Silicon Valley davon überzeugt, dass es uns in naher Zukunft gelingen wird, allein durch die Kraft der Gedanken unsere Umwelt zu steuern und zu gestalten.
Was verbirgt sich hinter Elon Musks Idee der Consensual Telepathy? Wer treibt die Erweiterung unserer Gehirnkapazitäten und welche Geschäftsmodelle entstehen damit in Retail, Entertainment, Tourismus, IT und Bau? Diese Trendanalyse beschreibt die Grenzerweiterung einer Technologie, die es bislang vermag, sich unserer Vorstellung weitgehend zu entziehen.
„Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich“. Damit begründet Descartes die menschliche Existenz. Es ist jenes kritische Denken in der Abgeschlossenheit des eigenen Geistes, das uns bis heute klar von künstlichen Intelligenzen unterscheidet. Eine Grenze, die aktuell massiv angegangen wird, unter anderem von Neuralink, dem wahrscheinlich ambitioniertesten Projekt von Elon Musk. Der Mann, der mit Tesla die Automobilindustrie angreift, mit SpaceX eine Kolonie auf dem Mars gründet und mit der „Boring Company“ unterirdische Highspeed Tunnel baut, wendet seine Aufmerksamkeit und sein Kapital jetzt der Grenze zwischen uns und dem Computer zu.
Was für eine Zukunft erwächst hier – technologisch, kommunikativ, monetär? Sortieren wir kurz die Rahmenbedingungen: Zwar können wir eine Vielzahl von Informationen immer präziser und mit bemerkenswerter Qualität aus dem menschlichen Gehirn auslesen, doch Kognition wirklich zu übersetzen und einzelne Gedanken inhaltlich zu verstehen, ist auch auf lange Sicht nicht realisierbar, bleibt Science-Fiction. Jedenfalls auf einem Level, das für eine effektive menschliche Kommunikation nötig wäre.
Ganz anders sieht dies jedoch mit Blick auf die Kommunikation zwischen dem Menschen und der Maschine aus. Hier sind die potenziellen realen Auswirkungen eines direkten Interfaces tatsächlich ein Game Changer. Machine Telepathy ist für fast alle Branchen und Lebensbereiche hochgradig explosiv, spätestens, wenn auf dieser Grundlage neue Geschäftsmodelle entstehen.
Wenn Sensoren im Raum Licht, Klang, Geruch und Klima steuern und vor allem: den Effekt auf das gedankliche Bild der Person messen können, dann wird die nachweisliche Steigerung des Wohlbefindens zur Grundlage einer Vielzahl von Geschäftsmodellen. Sie zahlt dafür, dass es ihr in jedem Umfeld besser geht. Im Supermarkt wird der Verkauf von Lebensmitteln zweitrangig, im Textilhandel entwickeln sich Kleidungsstücke zur Dreingabe, im Tourismus markiert dies das Ende jeder starren Sterne-Bewertung.
Wie weit ist der Weg?
Thought Control steht im Fokus des Innovations- und Disruptionswettlaufes – auf einem ähnlichen Level wie die superintelligenten KIs. Dabei arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure bereits seit Jahrzehnten daran, Computer direkt mit dem Gehirn zu vernetzen. Eine ganze Reihe von BMIs (Brain Maschine Interfaces) sind bereits Teil unserer Realität geworden. Zwar entwickeln sich BMIs auf Basis hochinvasiver Eingriffe langsam. Anders jedoch im Bereich der non-invasiven und minimal-invasiven Technologien. Eine Vielzahl neuer und kreativer Ansätze versprechen die Quantität und Qualität der Signale des Gehirns, die mit dem Computer verarbeitet werden können, entscheidend zu steigern.
Deep-Brain-Stimulation wird heute in der Behandlung von Parkinson eingesetzt, aber auch in Bezug auf Depression, PTSD, chronische Schmerzen, Entzündungen und einer Reihe anderer psychischer Erkrankungen intensiv beforscht. Dabei werden Elektroden in das Gehirn eingesetzt, welche eine Stimulation spezifischer Regionen ermöglichen. Diese Technologie hat sich im Grunde seit den 80er Jahren kaum verändert, erfährt jedoch heute eine regelrechte Revolution, dank neuer Verfahren und enormer Präzision. Ziel ist es, kontrolliert nur auf bestimmte Neuronen einzuwirken, um damit neue Anwendungen fast ohne Nebenwirkungen zu ermöglichen.
Die bekanntesten und am weitesten entwickelten BMIs sind die, die das Höroder das Sehvermögen wiederherstellen. Cochlear-Implantate senden auditive Reize direkt an den Hörnerv. Die aktuellen Modelle können Klangbilder nur stark reduziert wiedergeben, werden jedoch stetig optimiert und weiterentwickelt. Eine naturgetreue oder auch hyperrealistische Wiedergabe von akustischen Eindrücken liegt damit in greifbarer Zukunft. Retinale Implantate funktionieren ähnlich, sind jedoch wesentlich komplexer. Sie ersetzen das Auge und liefern elektrische Impulse direkt an den Sehnerv. Das erste Implantat (Argus II von Second Sight) wurde bereits 2011 zugelassen und wird seitdem ständig weiterentwickelt, um die Leistungsfähigkeit des natürlichen Auges zu erreichen.
Eine weitere Kategorie zukunftsweisender BMIs sind sensorisch-motorische Prothesen, die durch Gedanken gesteuert werden. Dabei wird ein Programm darauf trainiert, die elektrischen Impulse für die Motorik eines individuellen Gehirns auszulesen. Ein Programm setzt diese in die Bewegung eines Objekts um – sei es die einer Neuroprothese oder die einer Drohne. Wegweisend ist hier die BrainGate-Technologie der US-amerikanischen Firma Cyberkinetics.
BMIs im Silicon Valley
Elon Musk zielt mit seinem Start-up Neuralink jedoch nicht allein auf medizinische Anwendungsszenarien. Diese sind nur Zwischenschritte auf dem Weg zu einer kommerziellen und für jeden zugänglichen Optimierung des eigenen Gehirns. Das interdisziplinäre Gründerteam besteht aus einer Reihe erfahrener Experten mit einer für die neurowissenschaftliche Technologieentwicklung notwendigen Themenvielfalt. Sie zeichnen eine Zukunft, in der ein gesundes Gehirn nahtlos mit der Technologie zusammenarbeitet. Sei es mithilfe noninvasiver Headsets, mittels minimalinvasiver Elektrokortikographie, die die Signale direkt von der Oberfläche des Cortex liest, oder mit einer Parallelstruktur, die sich durch eine in den Blutkreislauf injizierte Substanz in den Gehirnzwischenräumen aufbaut.
Hinter diesem Zukunftsbild stehen Musks seit langem geäußerte Bedenken gegenüber Systemen künstlicher Intelligenz. Deren Leistungsfähigkeit wächst rasant – aus Musks Sicht eine dramatische Entwicklung. Er sieht die Notwendigkeit, im Gegenzug die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns zu steigern, um mit der existenziellen Gefahr einer außer Kontrolle geratenen Superintelligenz mithalten zu können. Musk beschreibt ein solches Szenario mit der „Haustier-Parabel“: Die Beziehung des Menschen mit der neuen Generation von KIs degradiert uns im Grunde zur Hauskatze der künstlichen Intelligenz.
In der Konsequenz gibt es für ihn nur eine Alternative – wir müssen den nächsten Schritt der Evolution gehen und eine Gehirnsymbiose mit der Technologie schaffen. Dem limbischen System, dem affektiven Teil unseres Hirns, folgte evolutionshistorisch der Kortex, der rationale Teil. Musk plant mit Neuralink, aktiv eine neue technologische Teilstruktur zu schaffen und damit den nächsten Schritt in unserer Evolution zu gehen. Musk nennt diese technologische Erweiterung „Neural Lace“, der sich über die bereits existierenden Schichten des Gehirns legt und essentieller Teil des menschlichen Gehirns wird. Dies wird es uns ermöglichen, mit den KIs der Zukunft mitzuhalten: In der Existenz als Cyborgs. Bereits heute besitzen wir ein digitales Ich und eine existentielle Abhängigkeit von Technologie; hier wird es zur physischen Union.
Mithilfe dieses Neural Lace soll in den nächsten vier Jahren Menschen mit schweren Gehirnschäden die Kommunikation mit der Außenwelt wieder ermöglicht werden. In den nächsten acht bis zehn Jahren, abhängig von Gesetzgebung und Regulatoren, sollen dann auch Anwendungen für diejenigen entwickelt werden, die willentlich ihr Gehirn technologisch erweitern und zum Beispiel mit Hilfe von einvernehmlicher Telepathie kommunizieren wollen.
Was wie Science Fiction klingt ist seit Augst 2020 Realität. Als „Prototyp“ dient das Hausschwein Gertrude. Der Mini-Computer im Kopf kommuniziert per Bluetooth-Funk mit einer App auf dem Smartphone. Die Batterie hält etwa einen Tag, sie wird drahtlos aufgeladen wird drahtlos. Mögliche Anwendungsszenarien beim Menschen sind beispielsweise Schmerzen, Sehstörungen, Hörverlust, Schlaflosigkeit oder Gehirnschäden sowie bei Rückenmark-Verletzungen.
Musk ist nicht der einzige im Silicon Valley, der Zeit und Ressourcen in dieses Thema investiert. Facebook unterhält ein Building 8, in dem rund 60 Wissenschaftler unter Leitung von Regina Dugan daran arbeiten, auf Gedanken zuzugreifen, Gedanken zu lesen und gedankengesteuert schriftlich zu kommunizieren. Die US-Behörde DARPA ist das militärische Pendant dazu und zählt neben Google zu Dugans ehemaligen Arbeitgebern. Das Unternehmen Emotiv konzentriert sich in erster Linie auf praktische Anwendungen. Es stellt bereits ein Headset für die gedankliche Kontrolle von Gegenständen her und arbeitet an Anwendungen im Bereich des Neuromarketings.
Dies alles markiert erst den Anfang einer Entwicklung. Die technischen Herausforderungen und die einzigartige Eigenschaft der lebenslangen Plastizität des Gehirns stellen die Entwicklung vor große Herausforderungen. Doch was bedeutet das in einer Zehn-Jahres-Perspektive? Wie verändert der direkte Zugriff auf das Gehirn den Alltag und die bisherige Abgeschlossenheit der individuellen Gedanken?