Interview

Der Weg zum Omnichannel Unternehmen

Mehrkanalfähigkeit ist, egal ob im B2C oder B2B Geschäft, heute existenziell, denn Kunden erwarten ein maximal flexibles Einkaufserlebnis. Dies umzusetzen ist jedoch eine große Herausforderung, die bisher die wenigsten Unternehmen meistern. 

Omnichannel ermöglicht diese nahtlose Einkaufserfahrung, indem alle Vertriebs- und Kommunikationskanäle ideal aufeinander abgestimmt und integriert werden, um den Kunden ein reibungsloses, kanalübergreifendes Einkaufserlebnis zu bieten.

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Und wenn sich jemand mit Omnichannel auskennt, dann ist es Frau Judith Kemper. Mit ihrer langjährigen Erfahrung als Omnichannel Fulfillment Manager bei einem Fashion Unternehmen und nun als Head of Omnichannel bei einem internationalen Speditions- und Logistikunternehmen beschäftigte sie sich bereits mit dem Thema bevor es in aller Munde war.

Woher rührt die stark wachsende Bedeutung von Omnichannel?

Judith Kemper: Die Notwendigkeit der Offerierung von Omnichannel-Lösungen rührt klar vom Markt, d.h. der Kunde fordert diese mittlerweile einfach. Das heißt aber auch, dass die Online- und Offlinewelten viel stärker miteinander vernetzt werden müssen, z.B. Sortimente und Aktionen auf allen Kanälen analog bespielt werden sollten.

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Dasselbe gilt für Beratungsleistungen und Services: Hier hinkt der Onlinehandel oft noch hinterher. Der Kunde geht heutzutage davon aus, dass er mit einem Unternehmen jederzeit online in Kontakt treten kann und hier dieselben Beratungsleistungen, wie im stationären Handel erhält. Wenn der Service und die Beratung online nicht stimmen, entscheidet sich der Käufer bei beratungsintensiven Produkten, häufig anderweitig. Hier müssen Händler auch zeitnah lernen die Möglichkeiten aktiver zu nutzen, die u.a. Artificial Intelligence (z.B. über Ausspielung durch Chatbots), in diesem Bereich bereits bietet.

Manchmal sind es aber auch einfach grundlegende Themen, die für ein einheitliches und positives Einkaufserlebnis für den Kunden schon entscheidend sind, z.B. dass Bilder und Texte das Produkt bestmöglich umschreiben. Die Produktdarstellung muss zumindest so ausführlich sein, dass der Kunde online dieselben Informationen und Beratungsleistungen erhält (greifbar durch Filme, Fotos und Betextung), als ob er im Laden beraten worden wäre. Dies gilt branchenübergreifend.

Was sind größten Herausforderungen bei der Umsetzung?

Judith Kemper: Ein Grund für die Aktualität des Themas ist das stark wachsende Bestellvolumen im eCommerce – vor allem im B2C Bereich – in den letzten Jahren. Hier gibt es mehrere demografische Faktoren, die das hohe Wachstum der Bestellungen begünstigen: Die Anzahl der berufstätigen Frauen steigt stetig und auch Single-Haushalte haben zugenommen. Beides beschleunigt das Wachstum des Online-Handels.

Damit einher geht jedoch auch, dass die Empfänger der Pakete oft nicht zu Hause anzutreffen sind und somit mehrere Zustellversuche unternommen werden müssen, bis der Empfänger sein Paket letztendlich in Händen hält.

Diese erfolglosen Zustellversuche sind jedoch extrem teuer für die Paketdienstleister. Durch die kleinen Liefermengen und die über die ganze Stadt verteilten Anlieferpunkte lassen sich die Waren schwer bündeln. Somit können allein auf der letzten Meile mehr als 50% der gesamten Kosten für den Transport verursacht werden. Dadurch bildet die letzte Meile den größten Kostenfaktor bei Paketsendungen.

Hinzu kommt in Ballungsräumen die Problematik der mangelnden Park- und Halteplätze. Um ihre extrem eng getakteten Touren einigermaßen bewältigen zu können, parken die Dienstleister teils sehr ungünstig, um ihre Lieferungen abzugeben und verursachen damit Staus in den oftmals bereits überfüllten Straßen. Zudem bringen die Transporter Lärm mit sich und nebenbei auch eine Menge Abgase. Im Endeffekt leidet sowohl die Umwelt als auch der Verkehrsfluss unter dem Wachstum der Bestellungen.

Durch die sich immer weiter zuspitzende Problematik, die sich in Zukunft voraussichtlich eher verschlimmern als verbessern wird, haben sich immer mehr Kurier-Express-Paket Dienstleister Gedanken gemacht und arbeiten an Entwicklungen, mit denen sie ihren Transport, vor allem innerhalb der Stadt auf der letzten Meile, optimieren können.

Welche positiven/negativen Erfahrungen haben Sie mit Unternehmen auf dem Weg zum Omnichannel gemacht?

Judith Kemper: Chancen und Risiken bei der Einführung von Omnichannel-Strategien liegen häufig nah beieinander, viele Unternehmen scheitern z.B. an der notwendigen Agilität in der Umsetzung des Omnichannel IT-Systemfelds. Wenn ich meine Systeme und Mitarbeiter zu agileren Umsetzungsmethoden bekomme, dann kann ich sehr spontan auf Veränderungen in jedweder Marktsituation reagieren oder aber komplett scheitern, weil die gesamte Unternehmensstruktur nicht auf eine solche Schnelllebigkeit ausgelegt ist.

Ich nenne Ihnen mal ein konkretes Beispiel aus der Fashionbranche: Sagen wir, Sie haben soeben die neue Bademode rein bekommen, doch nun soll es plötzlich die ganze Woche regnen. Im Webshop kann die Landing Page sehr schnell auf die notwendige Regenmode angepasst werden, in den Filialen ist jedoch der jeweilige Verkaufsleiter vor Ort gefordert, die Ware proaktiv entsprechend neu im Laden zu positionieren.

Dieses Beispiel zeigt, dass die IT-Systeme noch so agil sein können, wenn die Mitarbeiter nicht in den Change Prozess miteinbezogen werden und dadurch nicht mitziehen, bringt mir die systemseitige Agilität nichts. Denn diese ist nur so gut, wie sie auch durch das Unternehmen und somit jedem einzelnen Mitarbeiter bespielt wird. Viele positive Erfahrungen resultieren daher also insbesondere aus einem effektiven Change-Management in Richtung Omnichannel-Unternehmenskultur.

Welche Chancen/Vorteile verzeichnen Sie bei Unternehmen, die sich in Richtung Omnichannel entwickeln?

Judith Kemper: Ich habe mehr Umsatz- und Absatzchancen, durch einen breiten Markt und flexiblere Verkaufskonzepte. Mithilfe von Omnichannel-Strategien werden somit aber nicht nur die Absatzchancen erhöht, sondern die Ware dreht sich meist auch schneller und somit kann die Bestandstiefe und die hiermit verbundene Kapitalbindung auch dauerhaft optimiert werden.

Zudem ist auch das Restantenmanagement über intelligente Omnichannel-Strategien besser steuerbar. Besonders ärgerlich und kostenintensiv sind ja insbesondere Waren, die bereits in eine Filiale geliefert wurden, sich dort aber nicht verkauft und zudem nochmals als Filialretoure dann wieder eingelagert werden müssen. Alternativ können diese direkt aus dem Filialbestand über Onlineplattformen zur Restantenvermarktung, wie z.B. eBay oder Amazon, an den Endkunden verkauft und auch direkt aus der Filiale an diesen versendet werden.

Hierdurch entstehen unternehmensübergreifende umsatz- und kostenseitige Synergien, insofern natürlich die IT-seitige Vernetzung über alle Verkaufskanäle erfolgt ist.

Der Weg zum Omnichannel Unternehmen erscheint für viele Unternehmen weit und steinig. Wie sieht der Prozess zum Omnichannel-Unternehmen denn aus?

Judith Kemper: Eine erfolgreiche Omnichannel-Strategie muss klar durch den Vorstand initiiert und durch das Unternehmen getragen werden. Hier werden die Grundlagen gelegt für die notwendige Firmenkultur, die auch meist strukturelle Abpassungen, z.B. die Zusammenlegung von online und klassischem Marketing, die gemeinsame Sortimentsplanung und –steuerung, eine integrierte Logistik etc., bedeutet. Auch muss sukzessive ein verändertes Mindset der Mitarbeiter entstehen, die nämlich nun in allen Fachbereichen verkaufskanalübergreifend planen und steuern.

Und natürlich muss letztendlich häufig auch die IT agiler werden: Zeiträume für Feature Releases werden radikal gekürzt. Ein klassisches Release Management und altbewährte Projektmanagementverfahren in der IT gehören somit der Vergangenheit an.

Zu guter Letzt muss man natürlich auch zusätzliche Kosten für Personaleinstellung und –qualifizierung einplanen. Denn letztendlich gilt es vor Allem interne Fachkompetenz aufbauen, um nicht dauerhaft auf externe Expertise angewiesen sein zu müssen und nachhaltig im Omnichannel bestehen zu können.

Omnichannel wird von manchen Führungskräften als (noch) nicht notwendig angesehen. Was würden Sie zu ihnen sagen?

Judith Kemper: Ich glaube, dies muss man differenziert in den jeweiligen Branchen betrachten. Ganz klar ist: Im Handel muss die Umsetzung einer unternehmensweiten Omnichannel-Strategie im Fokus stehen! Wenn der Händler es nicht selber tut, dann macht es die Konkurrenz. Bedacht werden sollte auch, dass immer mehr Onlinehändler in die Offlinewelt drängen – um nur einmal z.B. Amazon und Alibaba in diesem Zusammenhang zu nutzen. Deshalb genügt es nicht mehr, sich auf bewährte stationäre Verkaufskompetenzen zu verlassen.

In der Industrie sieht die Welt häufig noch etwas anders aus: Hier ist es wichtig zunächst vor der Umsetzung der Omnichannel-Strategie mit den Zwischenhändlern zu sprechen. Oft verkaufe ich als Produzent meine Ware ja nicht direkt an den Endkunden, sondern biete diese über eine weitere Handelsstufe dem Endkunden an. Da kann ein Omnichannel-Wandel auf eigene Faust auch schnell zu Konflikten mit den angebundenen Händlern führen. Eine gute Kommunikation und eine gemeinsame Omnichannel-Strategie mit den angebundenen Händlern wäre daher mein Rat an die Industrie.

Weitere Informationen:

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