Was ist neu an diesem Konzept?
Auch die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung in Berlin beschäftigt sich mit diesem Thema, dessen ziel man auf einen einfachen Nenner bringen kann: „Weniger ist mehr“ oder „Keep it simple“.
Bei frugalen Innovationen geht es nicht ums bloße Weglassen, sondern um ein Neudenken des kompletten Innovationsprozesses und der gesamten Wertschöpfungskette. Das geht nur mit einer offenen Unternehmenskultur und echtem Change Management: weg vom heutigen „Over-Engineering“ deutscher oder amerikanischer Ingenieure/innen, die – auch vom eigenen Anspruch getrieben – oft Lösungen entwickeln, die aufwändiger sind als nötig. Frugale Innovationen sind hingegen radikal kundenorientiert, der spätere Nutzerinnen und Nutzer rückt mit seinen Bedürfnissen in den Fokus. Voraussetzung ist eine hohe Empathie für die Kundinnen und Kunden, um deren relevante Kriterien herauszufiltern sowie im Anschluss die Produktmerkmale zu priorisieren. Als Credo gilt: „Verlieb dich in die Herausforderung, nicht in die Lösung“.
5. Open Innovation Challenges
Und auch das Fraunhofer Institut IAO ist bei der frugalen Innovation aktiv vertreten. Auf der Website wird unter anderem das Projekt FRANCIS vorgestellt.
Erschwingliche, aber dennoch qualitativ hochwertige Lösungen waren noch nie so gefragt wie jetzt. Um die Bedürfnisse der Gesellschaft als Ganzes zu erfassen und die Bürger*innen in die Entwicklung von sogenannten »frugalen Lösungen« einzubeziehen, führt das Fraunhofer IAO in Kooperation mit Industrieunternehmen und weiteren Partnern im EU-Projekt »FRANCIS« zwei Open Innovation Challenges durch.
Die aktuelle Krise beeinflusst nach der Meinung vieler Analyst*innen nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch unser Konsumverhalten. Dazu gehören Entwicklungen und Trends wie: weniger Quantität und mehr Qualität, zunehmendes Interesse an lokal produzierten Waren oder auch die breite Nutzung von E-Commerce. Gerade in dieser Zeit kann »Open Innovation« (kurz OI) sein volles Potenzial für die Entwicklung von Frugalen Innovationslösungen entfalten, im Sinne einfacher und erschwinglicher, aber dennoch qualitativ hochwertiger Lösungen. Das haben verschiedene Online-Challenges während der Pandemie bewiesen, die auf die Entwicklung von frugalen Beatmungsgeräten abzielten.
Online-Challenges ermöglichen es, Zugang zu dem kreativen Potenzial von Expert*innen aus der ganzen Welt zu erhalten, die mit Ideen zu technischen Fragen unterstützen. Dieses Prinzip macht sich nun ein Konsortium aus sieben Projektpartnern aus insgesamt sechs europäischen Ländern für das Projekt »FRANCIS« zu Nutze. Dazu gehören neben den beiden Fraunhofer-Instituten für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO sowie für Raum und Bau IRB auch das Technische Forschungszentrum Finnland VTT als wissenschaftliche Begleitung. Desweiteren sind die finnische Non-Profit-Organisation InnoFrugal, das Behavioural Insights Team (BIT) aus Großbritannien, das Tech-Startup Agorize aus Frankreich sowie die beiden Industrieunternehmen HELIOZ aus Österreich und BSH Hausgeräte aus der Türkei am Projekt beteiligt. Ziel ist es, gemeinsam mit Bürger*innen frugale Innovationslösungen zu entwickeln, indem diese mithilfe von moderierten Challenges in den kreativen Prozess einbezogen werden.
Bild: Beispielansicht einer eingereichten Idee auf der Online-Plattform. (Quelle: Fraunhofer IAO)
Das Potenzial von »Citizen Frugal Innovation« entfalten
Insgesamt durchlaufen die registrierten Ideen zwei Votings. Die besten Ideen erhalten eine Finanzierung für die weitere Entwicklung. Zusätzlich stehen den Bürger*innen bei der Ideenentwicklung auch Wissenschaftler*innen sowie Industrie-Mentor*innen unterstützend zur Seite, Student*innen helfen bei praktischen Problemen. Damit die Ideen am Ende auch zur Marktreife gebracht werden, sind die Industrieunternehmen HELIOZ und BSH Hausgeräte am Projekt beteiligt, auf deren Anwendungsfelder die zwei geplanten Challenges ausgerichtet sind. »Die ganze Idee basiert auf einem Win-Win-Konzept.
Die Bürgerinnen und Bürger erhalten die Möglichkeit, kreativ an neuen Produktideen mitzuarbeiten und die Unternehmen können einen besseren Einblick in die Bedarfe und Wünsche kostensensitiver Kunden erhalten. Ein Beispiel: Ein Waschmaschinenhersteller, der bereits die nächste Produktgeneration mit HighTech-Touchpad zur Bedienung plant, sieht vielleicht ein Potenzial in einfachen Maschinen mit wenig Funktionen, hat aber Schwierigkeiten, hierfür den richtigen Ansatz zu finden«, erklärt Liza Wohlfahrt vom Fraunhofer IAO und Projektleiterin von FRANCIS.
Dem Konsortium ist es wichtig, die Gesellschaft als Ganzes anzusprechen, einschließlich marginalisierter Gruppen wie Arme, ältere Menschen und große Familien. Auch die wachsende Schicht der sogenannten Minimalisten, die versuchen ihr Leben aktiv zu vereinfachen, stehen im Fokus. Aus diesem Grund sollen die Events auch beispielsweise in Altersheimen, Schulen oder Bibliotheken stattfinden.
Erfahrungen mit bürgerschaftlicher Frugaler Innovation für zukünftige Initiativen schaffen
Ein weiteres Ziel von »FRANCIS« ist es, die Entwicklung eines soliden Citizen Frugal Innovation Frameworks voranzutreiben, um die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bürger*innen und Industrie im Bereich Frugal Innovation zu unterstützen. Deshalb wird das Projektteam begleitend zu den Challenges auch verhaltenswissenschaftliche Tests durchführen, um Einblicke in mögliche Barrieren zu gewinnen und mehr über die Motivation und den Unterstützungsbedarf der beteiligten Bürger*innen zu erfahren. Anhand der aus erster Hand gewonnenen Erkenntnisse kann das Forschungsteam effektive Strategien zur Förderung Frugaler Innovationen und Citizen Science Initiativen ableiten.