Chip-Mangel, Veränderungen der Arbeitswelt durch die Pandemie und die Vielfalt an verfügbaren Storage-Technologien machen es dem Mittelstand nicht leicht, eine Storage-Strategie zu entwerfen und umzusetzen. Dazu kommt, dass im Zuge der Digitalisierung die Anzahl der Applikationen zunimmt – die oft sehr spezifische Anforderungen an die Speicherumgebung stellen.
Stefan Roth, Head of Storage Business Central Europe bei Fujitsu, glaubt daher nicht an die eierlegende Storage-Wollmilchsau: Aus seiner Sicht gilt es zu akzeptieren, dass Storage-Umgebungen komplexer werden – aber damit auch die jeweiligen Anforderungen besser abdecken.
Der Chip-Mangel ist sicher ein Thema, dass uns auch in der Storage-Branche noch länger beschäftigen wird?
Stefan Roth, FujitsuRoth: Ja, damit werden wir noch länger zu kämpfen haben. Bei Fujitsu hatten wir schon einige Zeit vor der Pandemie eine vergleichsweise große Bandbreite an Lieferanten. Das ist uns zunächst zugutegekommen und sicher auch noch länger vorteilhaft. Nichtsdestotrotz gibt es für einige Bereiche nur wenige Hersteller, von denen viel abhängt. Dass noch Naturkatastrophen, Stromausfälle und die Lage im Schiffs- und Containerverkehr dazukommen, macht es nicht einfacher.
Spürt der Mittelstand bei Projekten im Storage-Bereich davon etwas?
Roth: Definitiv. Im Mittelstand werden Projekte oft kurzfristig geplant und angegangen. Es sind auch nicht immer die Kapazitäten vorrätig, wie sie große Unternehmen vorhalten. Mittelständler arbeiten knapper an den Kapazitätsgrenzen. Geschieht Unvorhergesehenes, stoßen sie schneller an die Grenzen. Fehlt Infrastruktur, können Applikationen nicht ausgebaut oder eingeführt werden. Das wirkt sich dann auch direkt auf das Geschäft aus. Das haben wir kürzlich auch auf einer Reihe von Veranstaltungen mit Vertriebspartnern als Feedback bekommen. Der Mangel an bestimmten Komponenten hemmt die Unternehmen, die Vertriebspartner, aber auch uns beim Wachstum.
Mittelstand arbeitet an der erneuerung der Storage-Infrastrukturen
Woran arbeiten Ihre Kunden im Mittelstand derzeit? Wo drückt der Schuh?
Roth: Einerseits beschäftigt sie natürlich das anhaltende Datenwachstum. Das ist nichts Neues. Außerdem steht zunehmend die Erneuerung der Infrastruktur an, weil immer mehr Applikationen gefordert werden. Dadurch entstehenden Aufgaben, denen bisherige Infrastrukturen nicht mehr gewachsen sind. Oft ist es zu teuer, sie einfach auszubauen und die bisherige Architektur fortzuführen.
Auch die unterschiedlichen Architektur-Angebote sind ein Problem. Obwohl es eigentlich etwas Gutes ist, dass es so eine große Auswahl gibt. Aber die Unternehmen haben dadurch die Qual der Wahl: Sie müssen herausfinden, was nicht nur gerade jetzt, sondern auch noch in Zukunft für sie passend ist. Ist es ein traditionelles Enterprise-RAID-Storage-System mit Flash- oder Hybrid-Speicher, Software-defined Storage oder eine hyperkonvergente Infrastruktur – wo sich ja auch Daten ablegen lassen? Dazu kommt noch das Thema Cloud.
Alle Daten in ein, zwei oder drei großen Storage-Systemen zu sammeln – wie man das in der Vergangenheit durchaus erfolgreich gemacht hat – ist nicht mehr die Antwort. Diese Systeme wurden früher je nach Mode mal dezentralisiert, dann wieder zentralisiert. Die Architektur blieb jedoch grundsätzlich dieselbe. Heute ist es aufgrund der Anforderungen durch die Applikationen dagegen sinnvoll, Daten zum Beispiel nicht ausschließlich auf SSDs zu speichern.
Bei Fujitsu sind wir glücklicherweise nicht auf ein bestimmtes Paradigma festgelegt, sondern sehr breit aufgestellt, um mit Kunden zusammen die richtige Auswahl treffen zu können. Dabei helfen entsprechende Services, etwa unsere Storage Inspection Services oder SAP Inspection Services, mit denen der Bedarf gemeinsam ermittelt wird. Wer nur die eine oder andere Technologie im Portfolio hat, wird dagegen natürlich immer die als passende Allzweckwaffe anpreisen.
Storage-Entscheidungen im Mittelstand immer komplexer
Die Storage-Entscheidungen im Mittelstand werden also komplexer?
Roth: Ganz sicher. Das haben uns auch die jüngsten Gespräche mit unseren Partnern gezeigt. Die Storage-Wahl ist heute keine »Entweder Oder«-Entscheidung. Sie beschäftigen sich tief mit den unterschiedlichen Architekturen. Es geht nie darum, Kunden nur Flash-Technologie oder nur NVMe zu verkaufen. Oder sie davon zu überzeugen, dass sich mit Software-defined Storage alle Probleme lassen, Hyperconverged die Lösung für alles ist oder es außer der Cloud in zwei Jahren sowieso nichts mehr geben wird.
Wir werden bei den Kunden immer einen unterschiedlichen Mix aus Architekturen sehen. Die Analysten gingen zwar zunächst davon aus, dass dies eher bei großen Unternehmen der Fall sein wird, aber wir stellen diesen Mix aus Architekturen definitiv auch jetzt schon bei mittelständischen Unternehmen fest.
Mittelstand ist ein weiter Begriff…
Roth: … und sehr schwer definierbar. Es gibt sicher Unternehmen, bei denen sich ab einer gewissen Zahl an Mitarbeitern oder einem gewissen Umsatz die Bedürfnisse ändern – einfach, weil die Zahl der Applikationen zunimmt. Wir haben aber auch Kunden, die lediglich 60 Mitarbeiter beschäftigen und trotzdem 100 unserer Eternus-Systeme betreiben, weil sie intensiv mit großen Datenmengen arbeiten. Storage für den Mittelstand ist also ein sehr dehnbarer Begriff. Letztlich kommt es nicht auf eine einzelne Kenngröße an, sondern auf den Bedarf, den die Geschäftstätigkeit bedingt.
Auswirkungen von Corona auf den Storage-Markt
Hat sich dieser Bedarf durch die Pandemie spürbar verändert?
Roth: Durch mobiles Arbeiten – wo ich auch die Arbeit aus dem Home-Office dazu zähle – hat sich schon viel verändert. Mitarbeiter greifen in vielen Fällen nicht mehr in der Firma auf Applikationen und Daten zu, sondern von außerhalb. Auch die schnelle Adaption von Microsoft 365 hat viele Veränderungen gebracht. Großen Anteil daran hat Microsoft Teams. Dabei geht es ja nicht nur um Video- und Telefonkonferenzen, sondern auch Zusammenarbeit und Datenaustausch: Es lassen sich Daten übertragen, gemeinsam bearbeiten, in SharePoint ablegen und vieles mehr. Dadurch hat sich die Zusammenarbeit mittels Daten und Dateien erheblich verändert: Es läuft inzwischen vieles über die Cloud, insbesondere bei File-Services. Das hat auch zu Veränderungen in der Infrastruktur geführt, also wie viele Server, Arbeitsplätze oder wie viel Storage-Kapazität benötigt werden.
Andererseits sind die klassischen Rechenzentrums-Applikationen nach wie vor wichtig. Gerade in der Produktion. Viele mittelständische Firmen sind Produktionsunternehmen. Deren Kern-Applikationen, die oft hochgradig angepasst sind, wandern nicht ohne weiteres in die Cloud. Sie werden weiterhin im Rechenzentrum betrieben – oft verteilt – und erzeugen die unterschiedlichsten Workloads. Neben Applikationen zur Produktionsplanung und -steuerung sehen wir immer öfter Analysefunktionen, etwa zur Qualitätssicherung oder zur Produktionsüberwachung, die eine große Menge an Video- und Bilddateien erzeugen und verarbeiten. Manche davon werden nach der Auswertung wieder gelöscht, andere müssen eine lange Zeit aufbewahrt werden, zum Beispiel aus versicherungstechnischen und rechtlichen Gründen. Genau dafür gibt es inzwischen auch andere Möglichkeiten, als auf ein großes Storage-System zu setzen.
Welche Ansätze sehen Sie da?
Roth: Mit Software-defined Storage im Sinne einer Appliance ist man in solchen Fällen oft günstiger und viel skalierbarer: Zusätzliche Knoten lassen sich sehr einfach hinzufügen. Es gibt in dem Fall kein klassisches RAID und der Austausch der Daten zwischen Rechenzentren oder mit der Cloud ist vergleichsweise einfach. Trotzdem müssen Massendaten sehr schnell gespeichert und verarbeitet, also sehr schnell wieder gelesen werden. Und man braucht die richtigen Infrastrukturen, um schnell skalieren zu können. Denn wenn sich solche Anwendungen in einem Bereich bewährt haben, melden sich oft schnell andere zu Wort, die ähnliche Ideen haben.
Können Sie da konkrete Beispiele nennen?
Roth: Eine Referenz von uns ist die Videoüberwachung am Nürburgring. Die Videodaten werden dort in Echtzeit ausgewertet. Ziel ist es, Gefahrenquellen schnell zu erkennen, etwa, wenn auf der Strecke ein Auto quer steht. Dazu werden neben den Daten auch die entsprechende Intelligenz und Leistungsfähigkeit für den Echtzeitbetrieb benötigt.
Eine weitere Referenz ist die Überwachung der Sitzverteilung in Stadien per Video. Damit lässt sich feststellen, ob die Besucher Mindestabstände und Maskenpflicht einhalten. Diese Daten werden nur für die Applikation gespeichert, die sie auswerten soll. Das ist auch bei vielen IoT-Szenarien so. Es geht also um dedizierte Applikationen für klar umrissene Aufgaben. Deshalb sprechen wir von einem Appliance-Ansatz. Ob die für solche Anwendungen gesammelten Daten später vollständig, in Teilen oder gar nicht benötigt mehr werden, hängt von den jeweiligen Anforderungen ab und lässt sich mit nachgelagerten Systemen bewerkstelligen.
Fujitsu: Software-defined Storage weiter denken
An Software-defined Storage besteht derzeit großes Interesse. Sie haben dafür jedoch eine eigene Definition.
Roth: Software auf einem Server zu installieren, um damit Storage-Aufgaben zu steuern, ist für uns nicht wirklich Software-defined Storage. Wir bieten stattdessen unterschiedliche Building-Blocks an, die unterschiedliche Stärken haben, etwa hohe Kapazität, hohe Leistung, oder über bestimmte Fähigkeiten wie den einfachen Datenaustausch mit der Cloud. Diese Building-Blocks sind gründlich integriert und vorgetestet. Der Kunde muss sich darum keine Sorgen mehr machen, wenn er zusätzliche Knoten braucht: Er ergänzt die zusätzlichen Knoten einfach und es geschieht wirklich das, was er sich vorgestellt hat. Er muss nicht langwierig testen und anpassen, sei es, weil der Firmware-Stand nicht passt oder weil sich alte und neue Knoten nicht gemeinsam betreiben lassen. Er bekommt von uns Infrastrukturen, die wachsen und über Produktgenerationen hinweg funktionieren. Entscheidend ist bei Software-defined Storage aus Fujitsu-Sicht das von uns bereitgestellte Management und die große Auswahl unterschiedlicher Knoten – wobei das Gesamtsystem immer vorintegriert und getestet ist.
Datenmanagement im Mittelstand
Mehr mit vorhandenen Daten zu tun, ist eine gängige Forderung. Kann der Mittelstand sie umsetzen?
Roth: Beim Datenmanagement herrscht noch großer Nachholbedarf. Das hat weniger mit dem Know-how zu tun als mit der verfügbaren Zeit. Den meisten Firmen fehlen eine Datenstrategie und die Zeit, sich in Ruhe Gedanken darüber zu machen, mit welchen Daten sie wie umgehen müssen. Manche Daten brauchen sehr schnelle Antwortzeiten. Bei anderen ist das zweitrangig. Manche Daten müssen gespiegelt werden, andere müssen auch zur Vermeidung von Ausfallzeiten und für kurze Wiederherstellungszeiten synchron verfügbar sein. Bei anderen Daten ist das nicht erforderlich. Es ist daher nicht sinnvoll, alle Daten über einen Kamm zu scheren und alle Daten gleich zu behandeln.
Wahrscheinlich fällt vielen Firmen der Einstieg schwer. Er ist doch sicher komplex?
Roth: Er ist komplex, aber wenn man es geschafft hat, wird es zumindest strukturierter. Und in der Regel auch besser und kostengünstiger. Allerdings muss man sich von dem Gedanken verabschieden, nur eine Architektur im Rechenzentrum zu haben. Es gibt immer wieder Bereiche, die eigene, besonders hohe Anforderungen haben. Aber deshalb muss nicht die gesamte Infrastruktur darauf ausgelegt sein.