Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist im Hinblick auf die Anzahl der ausgeschriebenen Stellen zwar vergleichsweise robust, befindet sich aber seit Beginn des Jahres im Sinkflug. So ist die Anzahl der in Deutschland ausgeschriebenen Stellen zwischen dem 1. Januar und dem 24. Mai 2024 um 15,3 Prozent gesunken.
Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Annina Hering, Ökonomin und Arbeitsmarktexpertin der Jobseite Indeed, in ihrer aktuellen Auswertung des Indeed Arbeitsmarkt Index. Der Index basiert auf Millionen von Stellenanzeigen auf Indeed und bildet die aktuelle Entwicklung des Jobmarkts nahezu in Echtzeit ab.
Stellenmarkt in Deutschland: „Talsohle ist noch nicht erreicht”
Der Analyse zufolge unterschreitet der Jobmarkt aufgrund des starken Abwärtstrends in 2024 einen neuen Schwellenwert: Während der Stellenmarkt in Deutschland zwischen dem 1. Februar 2020 und seinem Höhepunkt am 31.12.2022 um insgesamt 77,6 Prozent gewachsen ist, hat er nun die Hälfte dieses Wachstums (53 Prozent) wieder eingebüßt und liegt nur noch 36,4 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau. Eine kurzfristige Erholung ist dabei nicht in Sicht.
„Das enorme post-pandemische Jobwachstum ist mittlerweile auf die Hälfte zusammengeschrumpft. Dieser Trend wird sich aus unserer Sicht auch in den kommenden Monaten fortsetzen. Die Talsohle ist bis jetzt nicht erreicht. Dafür spricht nicht nur der starke, allgemeine Stellenrückgang seit Beginn des Jahres, sondern auch eine überdurchschnittliche Abnahme der Nachfrage nach Spezialist*innen und Fachkräften aus dem Personalwesen. Diese Entwicklung ist ein direkter Indikator dafür, dass Unternehmen in der nächsten Zeit mit weniger Neueinstellungen planen”, kommentiert Dr. Annina Hering von Indeed.
In diesen Branchen ist die Nachfrage nach Arbeitskräften besonders gesunken
Den stärksten Nachfrage-Rückgang seit Beginn des Jahres verzeichnen die schwer zu besetzenden und daher teuren Ausschreibungen im IT-Bereich. Mit einem Rückgang von 22,8 Prozent sind Stellen im Bereich Softwareentwicklung und Data Analytics jeweils so stark zurückgegangen, dass sie in diesem Jahr als erste Berufsgruppe sogar das Vor-Corona-Niveau unterschritten haben – und das mit -15 bzw. -17 Prozent sehr deutlich. Auch die Nachfrage nach Marketing-Fachkräften ist seit Jahresbeginn mit 13,8 Prozent so weit zurückgegangen, dass sie aktuell ebenfalls knapp unter dem Niveau vor Beginn der Pandemie (-0,7 Prozent) liegt.
Bei weiteren 23 der insgesamt 26 von Indeed erfassten Berufsgruppen, verläuft der Trend seit Jahresbeginn ebenfalls negativ, wobei dort die Nachfrage weiterhin über dem Vor-Corona-Niveau liegt und somit vergleichsweise hoch bleibt. In einigen Branchen, unter anderem Gesundheitswesen, Einzelhandel oder Logistik, liegt der Nachfrage-Rückgang zudem nur im einstelligen Prozentbereich. Einzig im Bereich Bildung und Erziehung gab es seit Januar einen Zuwachs der ausgeschriebenen Stellen um 7,6 Prozent.
“Insbesondere bei der Nachfrage nach Bürojobs, für die eine akademische Ausbildung erforderlich ist, beobachten wir einen klaren Negativtrend. Das liegt daran, dass sich Unternehmen aufgrund der konjunkturellen Lage vor allem mit Einstellungen von vergleichsweise teurem Personal zurückhalten. Während der Arbeitsmarkt in den vergangenen zwei Jahren ein Arbeitnehmermarkt war, begegnen sich Unternehmen und Jobsuchende wieder stärker auf Augenhöhe. Für Jobsuchende bedeutet dies, dass Unternehmen härtere Verhandlungspartner in Bezug auf Gehalt und Benefits wie Homeoffice werden.
Insgesamt bleibt die Nachfrage nach Fach- und Hilfskräften jeglicher Qualifikationen allerdings auf hohem Niveau und wird aufgrund des demografischen Wandels mittelfristig voraussichtlich in jeder Branche wieder steigen. Einen sicheren Job gibt es trotzdem auch in Zukunft eher in der Pflege als im Marketing”, meint Dr. Hering.
Sinkendes Lohnwachstum und Homeoffice-Bereitschaft
Neben der Anzahl an veröffentlichten Stellenanzeigen haben Dr. Annina Hering und Indeed auch das Lohnwachstum auf Basis von Gehaltsangaben in diesen Stellenanzeigen untersucht. Dieses liegt aktuell mit 3,8 Prozent deutlich unter dem Lohnwachstum im Vorjahreszeitraum (6,1 Prozent), aber dennoch über der April-Inflationsrate in Höhe von 2,2 Prozent. Im April 2023 lag die Inflation mit 7,2 Prozent noch deutlich über dem damaligen Lohnwachstum.
Der Anteil an Stellenanzeigen mit Homeoffice-Option hat sich nach starkem Wachstum zwischen Frühjahr 2020 und Mitte 2023 zuletzt bei knapp 15 Prozent stabilisiert. Zum Vergleich: Vor der Corona-Pandemie lag der Anteil an Homeoffice-Stellen in Deutschland noch bei rund 4 Prozent. Viele Unternehmen, die eine Homeoffice-Option anbieten können und wollen, tun dies demnach noch immer.
Allerdings lässt sich in vier der zehn Jobs mit dem höchsten Anteil an Homeoffice-Jobs seit Jahresbeginn ein Return-to-Office-Trend beobachten. Das betrifft Bereiche wie IT-Support, Software-Entwicklung, Projektmanagement und Personalwirtschaft, die sich zuvor durch einen besonders hohen Homeoffice-Anteil ausgezeichnet haben.
Arbeitsmarktexpertin sieht Chancen für Arbeitgeber im Wettbewerb um Talente
“Während die Homeoffice-Option für Bürojobs während der Corona-Pandemie zur Normalität wurde, zeigt sich in einigen Branchen bereits, dass das vorhandene Personal wieder verstärkt ins Büro geholt wird. Da Flexibilität im Beruf für viele Arbeitnehmer*innen, insbesondere mit Kindern oder pflegebedürftigen Familienangehörigen, allerdings enorm wichtig ist, können sich Unternehmen in Zukunft voraussichtlich wieder stärker mit entsprechenden Angeboten im Wettbewerb um Fachkräfte abheben.
Das ist auch insofern wichtig, als der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland unabhängig von der aktuellen wirtschaftlichen Lage aufgrund der Überalterung der Gesellschaft in Zukunft stark ansteigen wird. Wenn möglich, können Unternehmen den aktuell sinkenden Wettbewerb um Fachkräfte also nutzen, um sich mit neuen Talenten personell für die Zukunft zu wappnen”, resümiert Dr. Hering.
(pd/ Indeed)