In den ersten 100 Tagen standen Zuständigkeitsfragen zwischen den einzelnen Ministerien im Vordergrund, nicht der angekündigte digitale Aufbruch. Das muss jetzt schnell anders werden, denn die Zeit drängt. Ein Kommentar von Bitkom-Präsident Achim Berg.
Viele Ressorts sind inzwischen mit Einzelaktivitäten vorgeprescht, von der angekündigten Einführung eines Rechts auf Reparatur bis zu milliardenschweren Fördermaßnahmen, die bereits im Haushaltsentwurf verankert sind. Was es aber noch nicht gibt, ist eine übergeordnete Digitalstrategie. Diese Strategie muss nun dringend vorgelegt werden, damit Deutschlands Digitalpolitik nicht weiterhin ein Flickenteppich von Einzelmaßnahmen bleibt, sondern zielgerichtet und aus einem Guss entworfen wird. In Europa ist Deutschland nur digitales Mittelmaß, global wächst der Rückstand zu Vorreitern wie den USA immer mehr, Staaten wie Dänemark sind uns in zentralen Feldern der Digitalpolitik bis zu 20 Jahre voraus.
Das gilt zum Beispiel für die Digitalisierung der Schulen und des Gesundheitswesens oder für die digitale Verwaltung und elektronische Identitäten. Die Corona-Pandemie hat unsere digitalen Defizite und mangelnde Krisenresilienz für alle sichtbar gemacht. Und die russische Invasion in der Ukraine hat den Blick darauf zusätzlich geschärft. Die bittere Erkenntnis, dass nationale Selbstbestimmung und territoriale Integrität auch in Europa keine Selbstverständlichkeit sind, führt zwangsläufig zu Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die im Kern auch digitale Fragen sind. Wir müssen souveräner und resilienter werden, unsere Kommunikationsnetze und kritischen Infrastrukturen gegen Cyber-Angriffe wappnen, Kompetenzen und Kapazitäten in Technologien wie Halbleitern und Netzausrüstung schnell ausbauen, den Staat bei der Durchsetzung geltenden Rechts auch im digitalen Raum stärken und die Bundeswehr für die digitale Verteidigung rüsten. Einseitige Abhängigkeiten haben uns verwundbar und erpressbar gemacht. Die Potenziale einer beschleunigten Digitalisierung für die Dekarbonisierung müssen aus klima- und geopolitischer Perspektive noch sehr viel besser ausgeschöpft werden.
Die Sicherung digitaler Leistungsfähigkeit muss selbstverständlicher Bestandteil politischen Krisenmanagements im 21. Jahrhundert sein. Die Digitalisierung ist ein zentrales und wirksames Instrument bei allen großen politischen Herausforderungen, in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Geopolitik, beim Klimaschutz, der Sicherung der Energieversorgung und beim Ausbau der Handlungsfähigkeit des Staates. Wichtig ist jetzt, dass alle Ressorts in digitalpolitischen Belangen an einem Strang ziehen, dem Digitalministerium dabei eine führende Rolle zubilligen und schnell Ergebnisse liefern. Dazu erarbeitet die Bundesregierung aktuell eine Digitalstrategie. Für eine ganzheitliche Digitalpolitik ist wichtig, dass diese Strategie klare Ziele setzt: einen digitalen, leistungsfähigen und bürgernahen Staat, resiliente und flexible Strukturen für Krisenfestigkeit, eine digital hochwertige Bildung für eine digitalkompetente Gesellschaft, die zugleich den IT-Fachkräftebedarf sichert, und eine starke digitale Wirtschaft mit Produkten und Dienstleistungen auf Weltniveau.
www.bitkom.org