Die Sicherheitsbehörden sehen aktuell zwar keine akute Gefährdung der Informationssicherheit in Deutschland im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine. Doch die Bedrohungslage verschärft sich – und das nicht nur abstrakt.
Die Bedrohung durch Cyberangriffe in Deutschland hat sich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine weiter verschärft. Bereits im vergangenen Herbst habe man in Teilen eine «Alarmstufe Rot» ausrufen müssen, sagte der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, am Donnerstag auf der «Potsdamer Konferenz für Nationale Cybersicherheit». Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine habe sich die Lage weiter verschlechtert, auch wenn bislang keine zentral gesteuerte Kampagne zu erkennen sei.
Zu einen gebe es eine erhöhte abstrakte Gefährdung, sagte der BSI-Chef auf der Konferenz des Hasso-Plattner-Instituts (HPI). Es habe aber auch konkrete Angriffe gegeben. Eine Attacke auf die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Ölkonzerns Rosneft hätte beinahe zu einer massiven Störung der Mineralöl-Distribution vor allem in Großraum Berlin und Brandenburg geführt. «Das konnte gerade noch abgewendet werden, weil es gelungen ist, die IT-Systeme von Rosneft Deutschland wieder kurzfristig in Gang zu bringen.» Schönbohm machte in seinem Vortrag «Hacktivisten» vom Kollektiv Anonymous für den Angriff verantwortlich. Rosneft Deutschland sei als vermeintlich russisches Ziel ins Visier der Angreifer geraten, obwohl das Unternehmen Teil der kritischen Infrastruktur in Deutschland sei.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine berge auch die Gefahr von Kollateralschäden. So seien bei der Cyberattacke gegen den vom ukrainischen Militär genutzten Satellitendienst KA-SAT von Viasat auch die Betreiber von Windkrafträdern in Deutschland in Mitleidenschaft gezogen worden, weil die Fernwartung der Windanlagen ebenfalls über KA-SAT lief.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, verwies auf die stark steigende Zahl von Verbrechen hin, die im Cyberraum verübt werden. Während Straftaten wie Diebstahl oder Gewaltverbrechen rückläufig seien, habe sich die Zahl der erfassten Cyberstraftaten seit 2015 mehr als verdoppelt. Verbrechen im Netz würden inzwischen als Dienstleistung («Crime-as-a-Service») angeboten. Das BKA verzeichne dabei eine stetige Professionalisierung der Täter. Dadurch seien immer komplexere Cyberangriffe möglich.
Um diesen Trend zu brechen, müssten sich auch die Strafverfolger fortentwickeln, forderte Münch. So stelle das BKA der Polizei in den Bundesländern und Kommunen finanziell und technisch anspruchsvolle Lösungen für die Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung. Damit solle auch sichergestellt werden, dass Polizeiwachen vor Ort in der Lage seien, beispielsweise Anzeigen von Straftaten im Netz effizient zu bearbeiten.
dpa