Die rosafarbenen Rezepte, mit denen in Deutschland Arzneimittel und medizinische Anwendungen verschrieben werden, gehören bald der Vergangenheit an.
Bei der Umsetzung eines der wichtigsten Digitalprojekte im Gesundheitswesen startet nun eine wichtige Etappe in Berlin und Brandenburg. In der «Zukunftsregion Digitale Gesundheit» werden vom 1. Juli an rund 50 Arztpraxen und 120 Apotheken das neue digitale E-Rezept testen und bewerten.
Bislang auschließlich Papierform
Bislang werden Arzneimittel, die von den Krankenkassen bezahlt werden, ausschließlich in Papierform ausgestellt. Die Bundesregierung verspricht sich von dem E-Rezept, dass der Verschreibungsprozess sowohl sicherer als auch praktikabel und wirtschaftlich gestaltet werden kann. Das E-Rezept erleichtere in der Arztpraxis den Ablauf, sagt Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der mehrheitlich dem Bund gehörenden Gematik GmbH, die für den Aufbau eines sicheren Gesundheitsdatennetzes verantwortlich ist. «Wir wissen aus der Pilotphase, dass auch für die Arzthelferin das Management als E-Rezept eine Zeitersparnis bedeutet. Für den Patienten bedeutet es häufig, bestimmte Wege gar nicht gehen zu müssen.»
Patienten, die ein Smartphone besitzen, können sich für die Verwendung des E-Rezepts die App der Gematik herunterladen. Sie können sich dann das Rezept digital übertragen lassen, um es bei Apotheken einzulösen. Das neue Verfahren ermöglicht auch, Arzneimittel liefern zu lassen. Dafür muss das Smartphone allerdings entweder mindestens das Betriebssystem iOS 12 von Apple oder Android 6 von Google haben. Patienten, die nicht über die notwendigen Geräte verfügen, werden aber nicht ausgegrenzt. Sie erhalten einen Ausdruck auf Papier, der wie das bisherige Papierrezept funktioniert.
«Das digitale Rezept eröffnet zukünftig schon bald weit mehr Service rund ums Rezept wie eine Prüfung meines Medikamentenplans auf Verträglichkeit», sagt Gematik-Chef Leyck Dieken. Dazu gehöre auch die Funktion, dass alle erhaltenen Präparate dokumentiert werden, damit man beispielsweise dem Arzt auf Anhieb sagen kann, welche Medikamente man verschrieben bekommen hat. Möglich sei auch die Erinnerung an ein Folgerezept. «Das wird sicher noch kommen.» Mit Hilfe des E-Rezepts könne man auch wichtige Texte sehr leicht in andere Sprachen übersetzen. «Damit könnte man den Beipackzettel, der auf Deutsch verfasst ist, für viele andere Bevölkerungsgruppen in Deutschland verfügbar machen.»
Das E-Rezept kann den Patienten im Idealfall auch manchen Weg ersparen, insbesondere wenn sie ein seltenes Medikament verschrieben bekommen haben, das nicht überall sofort verfügbar ist. In der App kann man nämlich eine unverbindliche Anfrage an die Apotheken in der Gegend stellen, ob das Arzneimittel vorhanden is.
Das E-Rezept soll allen Beteiligten auch erleichtern, ärztlich verschriebene Medikamente und freiverkäufliche Mittel besser aufeinander abzustimmen. Patientinnen und Patienten können für eine höhere Arzneimittelsicherheit den Ärztinnen und Ärzten und ihrer Apotheke die Möglichkeit einräumen, alle eingenommenen Arzneimittel in Bezug auf Neben- und Wechselwirkungen kontinuierlich zu überprüfen.
Ab Januar 2022 verpflichtend
Das E-Rezept soll zum Januar 2022 verpflichtend für alle Praxen kommen, bereits ein Quartal zuvor, zum Oktober 2021, ist die digitale Variante des «gelben Zettels», also die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) vorgeschrieben.
Der Pilotversuch in Berlin und Brandenburg ist nicht nur bei den Arztpraxen und Apotheken auf ein kleinere Anzahl begrenzt. Auch bei den Versicherten können nicht alle von Beginn an mitmachen. Im Rahmen des Projektes werden zunächst ausschließlich Fertigarzneimittel auf E-Rezepten für Versicherte der AOK Nordost verordnet. Die AOK Nordost ist die größte regionale Krankenkasse in Berlin und Brandenburg.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bezweifelt unterdessen, dass der Pilotversuch in Berlin und Brandenburg ausreicht, um das ambitionierte Digitalprojekte zum Erfolg zu führen. «Um den Start des E-Rezepts in ganz Deutschland zum Januar kommenden Jahres sicherzustellen, muss die Technik für alle verlässlich rechtzeitig verfügbar sein», sagt KBV-Sprecher Roland Stahl. Die Praxen müssten sich darauf verlassen können, dass die Technik ausgereift sei. Dabei hätte sich die KBV einen größeren Pilotversuch gewünscht. «Beim E-Rezept steht nun aber anstelle eines sinnvollen breit ausgerollten Feldtests eine selektive regionale Pilotphase mit vergleichsweise nur wenigen Praxen an.
Auch den vorgesehenen Zeitplan sieht die KBV kritisch: Die Hersteller der Verordnungssoftware müssten spätestens zum 1. Oktober nachweisen, dass sie die Zertifizierungsvorgaben umgesetzt haben. Dieser zeitliche Vorlauf sei nötig, damit zum Januar 2022 ein flächendeckender Einsatz möglich werde. «Dieser zu knapp gefasste Zeitrahmen bedeutet letztendlich, dass die durch die Pilotphase gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr rechtzeitig vor dem bundesweiten, verpflichtenden Start am 1. Januar berücksichtigt werden können. Unter einer ausgereiften Lösung versteht die KBV etwas anderes.»
Prof. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, hält dagegen die Einführung des digitalen Workflows für überfällig: «Das E-Rezept in Deutschland bedeutet sicherlich einen wesentlichen Fortschritt. Aber der Fortschritt wäre natürlich noch besser gewesen, wenn er 2011 gekommen wäre und nicht erst 2021», sagte er der Deutschen Presse-Agentur, «Wir müssen unbedingt das Bewusstsein dafür schaffen, dass eine umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens dringend notwendig ist.»
dpa