Im Umgang mit Daten findet gerade ein radikaler Wandel statt. Statt sie unter Verschluss zu halten, setzen Pioniere auf Offenlegung. Ein Interview mit Andreas Weigend, Ex-Chefwissenschaftler von Amazon.
In dem Buch „Data for the People“ stellt Andreas Weigend sechs Grundrechte für Daten vor, die wir als Bürger und Kunden einfordern sollten:
- Das Recht auf Dateneinsicht
- Das Recht auf Einsicht in den Umgang der Unternehmen mit den Daten
- Das Recht, Daten zu verändern, zu ergänzen und zu kommentieren
- Das Recht, Daten zu verwischen
- Das Recht, mit Daten zu experimentieren
- Das Recht, Daten zu portieren
Diese Thesen sind aus Sicht der Anwender formuliert. Aber wie stehen IT-Verantwortliche in Unternehmen dazu?
Andreas Weigend: Unter den Führungskräften in den Unternehmen gibt es zwei entgegengesetzte Lager. Einerseits die extrem innovativen, die Datentransparenz fördern. Auf der anderen Seite gibt es CIOs, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, Nein zu sagen. Sie befürchten neue Risiken, sobald sie Zugang zu Daten gewähren, und weisen deshalb jegliche Öffnung und Transparenz erst einmal ab.
Worin sehen Sie die Aufgabe der innovativen CIOs?
Die Aufgabe der CIOs und CDOs ist es zu zeigen, welche Leistungen das Unternehmen mithilfe der Daten anbieten kann, indem es die Kundendaten besser aufbereitet und den Kunden hilft, andere, bessere Entscheidungen zu treffen. So lässt sich beispielsweise ein Kunde gewinnen, der bereits den Kauf bei einem Mitbewerber erwogen hat.
Es geht nicht nur darum Daten bereitstellen, sondern auch Tools, mit denen die Kunden ihre Daten bearbeiten können. Bei Anwendungen, die Künstliche Intelligenz einsetzen, sind jedoch Unternehmen wie Google & Co klar im Vorteil. Bei diesen Apps kommt es vielmehr auf Daten als auf Algorithmen an.
► Aus unternehmerischer Sicht stellt sich die Frage: Was können wir für die sechs oben genannten Punkte anbieten, das uns von unseren Wettbewerbern unterscheidet?
Was haben Unternehmen davon, wenn sie offen mit Daten umgehen?
Den Vorteil der Datentransparenz verdeutlicht das Beispiel von Walmart. Lange Zeit hat der Konzern seine Daten für sich behalten. Dann gewährte er Zulieferern Zugang zu Informationen über Verkauf und Lagerbestand. Kritiker wiesen darauf hin, dass es ja nun für Walmart viel schwieriger sei, den Einkaufspreis zu diktieren. Im Endeffekt kam es aber ganz anders. Die Lieferanten wussten nun, was in den Läden läuft und konnten sich darauf einstellen. Davon profitierten nicht nur die Zulieferer, sondern vor allem Walmart selbst.
► In der Vergangenheit waren die Firmen erfolgreich, die sich abgeschottet und den Zugang zu Daten erschwert haben. Heute ist es andersherum. Die Unternehmen, die einfachen Zugang zu ihren Daten anbieten, sind erfolgreich. Die Vorzeichen haben sich umgekehrt.
Wie lässt sich Ihre Grundrechtecharta in die Tat umsetzen, welche technologischen Voraussetzungen sind zu erfüllen?
Es geht nicht so sehr um die technologischen Voraussetzungen, die Unternehmen durchaus erfüllen. Vielmehr geht es um die Einstellung, das „Mindset“. Früher haben beispielsweise Musikunternehmen alles getan, um das Kopieren von CDs zu erschweren. Heutzutage gibt es kaum noch CDs, wir nutzen Dienste wie Spotify. Dafür bezahlen wir mitunter mehr als früher, können aber überall wo wir gerade sind Musik hören. Der Weg dort hin war holprig. Beliebte Musikbörsen wurden verboten. Aber im Nachhinein zeigt sich, dass die Verbote der Medienmogule den Wandel nicht aufhalten konnten. Es kommt darauf an umzudenken. Die Einstellung zu den Dingen ist zum Flaschenhals geworden. Deshalb ist das Ziel meines neuen Buches, den Leuten beim Umdenken zu helfen.
Welche Vorteile haben Bürger von den Daten der Internet-Giganten?
Der Hauptvorteil besteht darin, dass diese Daten uns helfen, Entscheidungen zu fällen. Wenn wir etwas kaufen wollen oder einen Dienstleiter suchen, schauen wir im Internet nach. Das Suchergebnis zeigt teilweise Daten, die Google gesammelt hat, und teilweise Daten, die Unternehmen selbst eingegeben haben. Gleichzeitig sehen wir Kommentare und Bewertungen von tausenden anderen Menschen.
► Wir können es uns gar nicht mehr vorstellen, in einer Welt zu leben, in der wir nicht tagtäglich die Daten von Internet-Giganten verwenden, um unsere Entscheidungen zu fällen.
Wie viel sind unsere Daten eigentlich wert?
Der Wert unserer Daten entspricht dem Einfluss dieser Daten auf unsere Entscheidungen.
Sollten Unternehmen für unsere Daten bezahlen?
Anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie viel unsere Information wert ist und eine finanzielle Gegenleistung zu verlangen, sollten wir etwas viel wertvolleres fordern:
► Das Recht, mit unseren Daten zu experimentieren und selbst die Einstellungen festzulegen, die bestimmen, was uns die Datenraffinerien zeigen.
Dieser „Sitz am Kontrollhebel“ wird dafür sorgen, dass wir die für uns selbst besten Entscheidungen treffen können und trotzdem von den Empfehlungen dieser Unternehmen profitieren (siehe auch LA Times http://www.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-weigend-nanopayments-20170214-story.html).
Herr Weigend, herzlichen Dank für das Interview.
Andreas Weigend ist Experte für Mobile Technologien, Big Data und Kundenverhalten. Er war Chefwissenschaftler bei Amazon. Dort entwickelte er zusammen mit Jeff Bezos die Datenstrategie und die kundenzentrierte Kultur des Unternehmens, welche es bis heute auszeichnet. Weigend ist Gründer und Direktor des Social Data Lab an der Universität Stanford, Mentor an deren Inkubator StartX und Dozent an der Universität Berkeley.
Im April 2017 ist sein neuestes Buch „Data for the People: Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern“ erschienen.