Nur 16,1 Prozent der deutschen Mittelständler haben eine Frau an der Spitze. Auch in 2020 sind Frauen in den europäischen Führungsetagen stark unterrepräsentiert. Was sich hinsichtlich der Frauenfrage noch alles bewegen muss, dazu äußert sich Dr. Consuela Utsch, Geschäftsführerin der Acuroc Solutions GmbH und der AQRO GmbH.
„Auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten schon viel in Sachen Gleichberechtigung getan hat, die Herrschaft der sogenannten Silberrücken dauert weiterhin an. Nicht nur in den absoluten Spitzenpositionen sind weibliche Kräfte echte Mangelware, auch auf europäischer Managementebene stellen Frauen weniger als ein Drittel aller Führungspositionen.
Ferner herrscht ebenso in den viel gelobten skandinavischen Ländern längst noch keine Parität: Lettland kann mit 44,1 Prozent weiblicher Kräfte in mittleren und höheren Führungspositionen aufwarten, in Schweden sind es um die 40 Prozent. Die Bundesrepublik bewegt sich im Vergleich dazu eher im unteren Mittelfeld – 28 Prozent der Führungspositionen bekleiden weibliche Mitarbeiter. Je dünner die Luft nach oben hin wird, also je höher die Führungsposition und je größer das Unternehmen, desto weniger Frauen sind anzutreffen.
Gründe hierfür gibt es viele – allem voran gesellschaftliche Faktoren. In diesem Zusammenhang spielt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rolle. Doch diese Hürde zeigt sich nicht allein als ausschlaggebend. Denn obwohl etwa in den USA 12 Prozent mehr Frauen in Führungsetagen sitzen als in Deutschland, sind die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit dort schlechter. Daher lässt sich die Doppelbelastung von Familie und Beruf nur als einer von vielen Faktoren für die weltweit niedrigen Quoten bezeichnen. Besonders im internationalen Vergleich kristallisieren sich auch die gesellschaftlichen Rollenbilder, sozialen Normen und die Unternehmenskultur als Hemmnisse für eine stärkere Durchmischung heraus. Traditionelle und oft unterbewusste Rollenbilder sorgen dafür, dass Frauen häufig nur durch Zufall in Chefpositionen gelangen. Denn dort, wo es keine klar definierten Ausbildungsstandards gibt, haben Stereotype und vermeintliche Normen eine größere Chance, sich durchzusetzen.
Führungskräften werden unwillkürlich bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, die eher als männlich gelten. Was natürlich in Wahrheit absolut nicht die Realität widerspiegelt. Trotzdem haben veraltete Denkweisen einen entscheidenden Anteil an der Misere in der Frauenfrage. In diesem Zusammenhang sprechen Experten auch gerne vom ‚think manager – think male‘-Phänomen. Automatisch erwarten große Teile der Gesellschaft einen erfahrenen Mann auf einer Chefposition. Dieser Teufelskreis lässt sich nur durchbrechen, wenn die klassischen Stereotype ausgehebelt werden – das kann etwa durch objektive und standardisierte Auswahlverfahren für Führungskräfte geschehen. Auch wichtig: Mentoren und Vorbilder, die die weiblichen Anwärterinnen mit den entscheidenden Personen in Kontakt bringen. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Unternehmenskultur für führungswillige Frauen durchlässig ist. Dabei gilt die Regel, dass je mehr weibliche Führungskräfte in einer Organisation existieren, desto mehr neue kommen langfristig hinzu. Es braucht also auch in 2020 noch immer Wegbereiterinnen.
Positiv zu bewerten ist die gestiegene Gründungsbereitschaft bei Frauen: 40 Prozent der Gründer waren 2019 weiblich. Dies spricht klar dafür, dass Frauen nicht die Verantwortung scheuen – ein gegen weibliche Mitarbeiter oft erhobener Vorwurf – sondern dass das System an sich den Aufstieg erschwert oder sogar torpediert.
Fatal, denn jüngste Ergebnisse zeigen, dass Konzerne, die weibliche Fachkräfte in der Managementebene beschäftigen, erfolgreicher sind als die männlich dominierte Konkurrenz. Zwei Drittel der Unternehmen, die auf eine Geschlechterdurchmischung in der Firmenleitung setzen, konnten ihre Gewinne deutlich steigern. Auch in den Bereichen Kreativität und Innovation verbesserte sich jedes zweite Unternehmen bei gleichzeitigem Anstieg des Frauenanteils. Außerdem zeigen die Studienergebnisse, dass die positiven Effekte erst einsetzen, wenn mindestens 30 Prozent der Führungsrollen Frauen bekleiden. Noch immer liegen allerdings fast 60 Prozent aller Unternehmen unter dieser Quote.
Daher plädiere ich bei dem Thema für eine Verschiebung von einer reinen Personalfrage hin zu einem echten Unternehmensziel. Konzerne, Unternehmen und KMUs sollten das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu einem Ziel für die gesamte Organisation erheben und in der Kultur verankern. Denn wenn Unternehmen jetzt nicht reagieren, bleibt es wie es immer war: Mehrheitlich regieren ‚grey-hair-guys‘ und vielversprechende Chancen bleiben vertan. Es lohnt sich also, diese Hürden abzubauen und die Tore zur Chefetage für alle Geschlechter zu öffnen.“