Cloud-, IoT- und App-Technologien bieten Unternehmen umfassende Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln und Wettbewerbsvorteile auszubauen. Während einige Organisationen in Industrie-4.0-Projekten versuchen, Maschinen maximal zu optimieren und die bisherige Wertschöpfungskette smart werden zu lassen, entwickeln andere Firmen mit IoT- und Cloud-Technologien komplett neue Geschäftsmodelle.
Unter dem Sammelbegriff Smart Products and Services entstehen innovative Projekte, die neue Mehrwerte für Kunden leisten. Marcel Möstel, Head of Solutions bei tresmo, geht der Frage auf den Grund, wie auch traditionell aufgestellte Unternehmen innovative Projekte umsetzen können und worauf es dabei besonders ankommt.
Deutsche Unternehmen sind Weltmeister in der Spezialisierung
Über Jahrzehnte hinweg hat sich die Spezialisierung für deutsche Unternehmen besonders bewährt. Deutsche Autobauer haben beispielsweise international einen hervorragenden Ruf für qualitativ hochwertige Fahrzeuge und können diese zu entsprechenden Preisen weltweit absetzen. Das ist das Ergebnis langjähriger Fokussierung auf ein ganz konkretes Produkt und dessen ständige Optimierung. Um sich voll und ganz auf das Endergebnis konzentrieren zu können, entwickelte die Automobilbranche – wie viele andere Industrien auch – über Jahrzehnte hinweg eine detaillierte Zuliefererstruktur. So kann jedes Glied in der Kette sich mit einem bestimmten Bauteil und dessen ständiger Weiterentwicklung beschäftigen. Genau diese Ausrichtung hat die Marktlage bundesweit sowie international fast ein ganzes Jahrhundert lang gefordert. Entsprechend stark konnten deutsche Unternehmen sich hier mit ihrer Ingenieurkompetenz aufstellen und sich einen globalen Ruf erarbeiten.
Allerdings ergibt sich aus dieser Entwicklungsgeschichte auch eine Schattenseite – insbesondere mit Blick auf die heute stark veränderlichen Märkte: Wer sich immer weiter spezialisiert, dreht sich häufig sehr stark um sich selbst und das eigene Produkt und verliert dabei den Blick für den Kunden und dessen Bedürfnisse. Gerade vor dem Hintergrund von Globalisierung und Digitalisierung ist das eine enorme Gefahr. Denn innovative, agile Start-ups sind seit geraumer Zeit damit erfolgreich, bestehende Geschäftsmodelle und bewährte Wertschöpfungsketten umzukrempeln und völlig neue Lösungen zu entwickeln. Um nicht selbst vom Spuk der Disruption erfasst zu werden, liegt es vor allem an den alteingesessenen Traditionsunternehmen selbst: Sie sollten die eigenen Prioritäten überdenken und ehrlich hinterfragen, was ihre Kunden wirklich wollen.
Der Fokus auf den Kundennutzen ist entscheidend
Das Problem vieler klassisch aufgebauter Unternehmen beginnt, wenn in großen Organisationen die unterschiedlichen Abteilungen kaum miteinander kommunizieren. Wenn Vertrieb und Entwicklung nicht in den offenen Austausch gehen, besteht die Gefahr, dass das Produkt am Marktbedarf vorbei geht. Häufig scheitert es bereits an der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Sales-Abteilungen für verschiedene Themen. Ob aus Positionierungsgründen, Befindlichkeiten oder strukturellen Herausforderungen: Diese mangelnde Transparenz und der fehlende Austausch führen dazu, dass niemand mehr wirklich darauf achtet, was der Kunde braucht.
Wenn zum Beispiel neue digitale Projekte angestoßen werden, liegt diese Aufgabe meist in den Bereichen Forschung und Entwicklung oder in der IT-Abteilung, die vielerorts noch aus klassischen EDV-Spezialisten besteht. Hier herrscht meist Überforderung, wenn es um die Kreation wirklich innovativer Service-Ansätze geht, weil das Know-how und häufig auch die Vorstellungskraft für die konkreten Bedürfnisse des Kunden fehlen. Dieses Problem ergibt sich häufig schon aus der Stoßrichtung, aus der innovative Projekte in das Unternehmen gelangen: In der weit verbreiteten Top-Down-Herangehensweise leitet das Management aus Analysten-Meinungen und Hype Curves vermeintlich relevante Trends ab, die in der eigenen Organisation dann umgesetzt werden sollen – ohne genau zu verstehen, warum diese oder jene Technologie sinnvoll sein kann und wozu man sie konkret einsetzen möchte. Überträgt man dieses Vorgehen auf ein praktisches Beispiel, ist das die Auswahl des möglichst modernsten Fortbewegungsmittels, ohne das Reiseziel zu kennen. Das kann dazu führen, dass man am Ende mit einem High-Tech-e-Bike ausgestattet ist, um dann festzustellen, dass man zum Mars gelangen müsste. Wer das Ziel – den konkreten Nutzen für den Kunden, über dessen Erfüllung sich Wachstum und Erfolg generieren lassen – nicht kennt, tritt auf der Stelle, statt voranzukommen.
Von der Eigenansicht in den Dialog mit dem Markt
Henry Ford soll gesagt haben: “Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.” Für einige Unternehmen scheint das mit ein Grund dafür zu sein, ihre Kunden nicht nach ihren Wünschen zu fragen sondern sich auf grobe Marktanalysen zu verlassen. Doch eigentlich beschreibt dieses Zitat eine ganz andere Herausforderung, wenn man es genau betrachtet. Denn die Qualität der Antwort hängt entscheidend von der Qualität der Frage ab. Um einen greifbaren Kundennutzen zu erzeugen, müssen Unternehmen verstehen, welche Bedürfnisse ihre Kunden tatsächlich haben.
Das Bedürfnis hinter schnelleren Pferden ist der Wunsch, schneller von einem zum anderen Ort zu gelangen. Mit dieser unternehmerischen Transferleistung gelingt es einer Organisation im Optimalfall, neue Lösungen und Produkte zu entwickeln, die die Erwartungen von Kunden erfüllen oder gar übertreffen. Es geht um die Kombination von technischer Opportunität und Marktbedarf zum richtigen Zeitpunkt. Genau hier setzt der Bottom-Up-Gedanke an: Möglichst heterogene, cross-funktionale Teams versuchen – idealerweise im direkten Dialog mit dem Kunden – konkrete Bedarfe zu identifizieren und darauf aufbauend innovative Angebote zu entwickeln. Wenn das Team gemeinsam mit dem Kunden Hypothesen erarbeitet hat, können im Anschluss kreative Prozesse, wie beispielsweise Design Thinking oder Data Exploration Sprints, konstruktive Umsetzungsideen hervorbringen. Diese haben so eine größere Chance, tatsächlich bis zur Marktreife zu gelangen.
Es muss nicht immer ein Innovation Hub sein
Bei Innovationen liegt es in der Natur der Sache, dass am Anfang noch nicht klar ist, welches Ergebnis am Ende eines Prozesses herauskommt. Entsprechend schwierig ist es für viele Unternehmen, innovative Projekte aus klassischen Strukturen heraus zu verfolgen. Große, finanziell gut aufgestellte Organisationen helfen sich meist mit der Ausgründung eines Innovation Hubs, in dem speziell dafür eingestellte Teams an solchen Ideen arbeiten. Auch im kleineren Stil sind innovative Projekte praktisch umsetzbar. Beispielsweise indem eine offene Fehler- und Forschungskultur etabliert wird, Innovationsvorhaben unternehmerisch geführt werden oder Zielgruppen verstärkt direkt in den Innovationsprozess eingebunden werden.
So können kleine Teams gemeinsam mit Kunden adaptiv neue Lösungen entwickeln und aus Rückmeldungen der Zielgruppen schnell lernen und nachsteuern. In der Praxis zeigt sich häufig, wie bereits ein oder zwei entscheidungsbefugte Experten zusammen mit externen Know-how-Trägern, die richtigen Fragen stellen und eine innovative Lösung außerhalb gewachsener Unternehmensstrukturen vorantreiben können – ganz ohne aufwändige Ausgründung. Solche Projekte haben unter der richtigen Führung auch in klassischen Unternehmensstrukturen eine echte Erfolgschance. Eines ist jedoch sicher: Risikoaversion und lineare Budgetvorgaben können kontraproduktiv sein, wenn Organisationen wirklich innovativ arbeiten wollen. Es gilt, offen für Neues zu sein – auch, wenn es die eigenen Strukturen und Gewohnheiten betrifft.