Viele Projektmanager sind heute überfordert: Ständig müssen sie neue Wünsche von Kunden und Mitarbeitern erfüllen, Prozesse anpassen und technologische Herausforderungen meistern. Sie fühlen sich so, als ob sie ein Flugzeug während des Flugs umbauen müssen und die Passagiere das nicht merken dürfen. Wie lässt sich das bewerkstelligen? Die Lösung liegt im agilen Projektmanagement der drei Geschwindigkeiten.
Praktisch alle Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, in einem dynamischen Umfeld echte Veränderungen und schnelle Ergebnisse herbeizuführen. Die Treiber dafür sind vielfältig und reichen von wachsendem globalen Wettbewerb über sich schnell verändernde Anforderungen bis hin zu steigender Komplexität. Bestehende Produkte und Lösungen müssen daher kontinuierlich überprüft und angepasst werden, ohne den regulären Betrieb dabei zu stören. Gleichzeitig gilt es, neue Produkte und Lösungen zu entwickeln. Hierfür sind entsprechende Projekte nötig, die häufig großen Zeit- und Budgetdruck aufweisen.
Diese Anforderungen sind mit dem Umbau eines Flugzeugs hoch über den Wolken zu vergleichen. Das konkrete Vorgehen, um diese Herausforderungen zu bewältigen, hängt dabei von zahlreichen Bedingungen ab. So müssten etwa folgende Fragen geklärt werden: Ist der Umbau des Flugzeugs notwendig, weil es sonst abstürzt, oder handelt es sich um ein Routine-Update von für den Flug selbst unwichtigen Funktionen? Kann der Autopilot während des Umbaus die Steuerung übernehmen? Sind Passagiere mit Spezialkenntnissen an Bord, mit denen man unkonventionelle Lösungen findet?
Gleiches gilt für das reale Projektmanagement. Auch hier ist das Vorgehen auf Basis vieler Faktoren auszuwählen und anzupassen. Ein Patentrezept gibt es nicht. Im ersten Schritt ist dabei zu prüfen, ob sich ein agiles oder plan-basiertes Vorgehen besser eignet.
Was unterscheidet agile und plan-basierte Vorgehensweisen?
Bei plan-basierten Vorgehensweisen wird das zu liefernde Produkt am Beginn eines Projektes fest definiert. Das dazu benötigte Budget und die Projektdauer werden festgeschrieben, mögliche Risiken analysiert sowie Arbeitspakete und -schritte ausgeplant. Abweichungen an diesem Plan sind zu vermeiden – und, wenn doch notwendig, freizugeben. Dieser Ansatz bietet eine klare Struktur und ein solides Grundgerüst für einen nun abzuarbeitenden Plan.
Typisch für agile Vorgehensweisen ist ein iterativer und inkrementeller Ansatz. Das bedeutet: Das Projekt wird in zeitliche Etappen (Iterationen) unterteilt. Am Ende jeder Etappe steht häufig ein „Minimum viable Product“, also ein voll funktionsfähiges (Zwischen-)Produkt, das dem Auftraggeber zur Abnahme vorgelegt wird. Anhand des folgenden Feedbacks von Auftraggeber und Kunde wird das Produkt weiterentwickelt. Basis hierfür ist eine zu Beginn entwickelte Produktvision, die jedoch Raum für Entfaltung lässt. Da dem Projekt zu Beginn ein Rahmen gegeben, es aber nicht vollständig ausgeplant, wird, ist eine Anpassung an neue Anforderungen und sich ändernde Rahmenbedingungen auch während der Projektlaufzeit üblich und sogar gewünscht.
Wann ist eine agile Vorgehensweise zu wählen?
Agile Vorgehensweisen eignen sich beispielsweise wenn:
- eine hohe Unsicherheit bei den einzusetzenden Technologien besteht und sich die Anforderungen ständig verändern. Häufig ist das bei digitalen Produkten gegeben.
- ein starker Ergebnisdruck Zwischenergebnisse in kurzen Zeitabständen erfordert. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Wettbewerber eine neue Funktion für seinen Online-Shop anbietet. Durch schnelle Entwicklungszyklen (Sprints) ist auch häufiges Feedback möglich, um die Lösung kontinuierlich zu verbessern.
- die Mitarbeiter agile Methoden akzeptieren und umsetzen können. Dies erfordert interdisziplinäres Know-how, das aktiv, in eigener Verantwortung und unternehmerisch denkend eingebracht wird. Ein Beispiel hierfür bildet Data Analytics: Es benötigt viel technische Expertise, um Daten zu sammeln, zu konsolidieren und nutzbar zu machen. Gleichzeitig ist fachliches Know-how für die Entscheidung notwendig, welche Daten aus Geschäftssicht zum Erzeugen von Mehrwert gebraucht werden. Nur wenn die Wissensträger aus beiden Bereichen von Anfang an zusammenarbeiten, sind die Ergebnisse optimal.
Sind agile Vorgehensweisen noch Neuland für Unternehmen, empfiehlt Campana & Schott, diese anfangs im Rahmen einer konkreten, überschaubaren Aufgabe zu testen, bei der schnelle Ergebnisse erzielt werden können. Wer mit der Bewältigung überschaubarer Herausforderungen anfängt, kann schneller Erfolge vorweisen und diese in das Unternehmen tragen. Das schafft Akzeptanz für agile Vorgehensweisen. Anschließend kann das Vorgehen in weitere Abteilungen getragen und in größeren Projekten angewandt werden. Ist hingegen einer der ersten Kontaktpunkte ein gescheitertes großes Projekt oder Programm, entsteht oft eine ablehnende Haltung gegenüber dem agilen Ansatz im Unternehmen.
Um Startschwierigkeiten zu vermeiden und mit den richtigen Bereichen, Produkten und Kunden zu beginnen, können Unternehmen auch auf erfahrene Coaches zurückgreifen. Diese begleiten die Teams bei der Anwendung und Weiterentwicklung der agilen Vorgehensweise und können dabei schnell mögliche Fallstricke erkennen und bei der Lösung unterstützen.
Bild: Die drei Umsetzungsgeschwindigkeiten für agiles Projektmanagement (Bildquelle: Campana & Schott).
Drei Geschwindigkeiten
Sind agile Vorgehensweisen in verschiedenen Bereichen und Projekten angekommen, stellen Unternehmen schnell fest, dass nicht alle Herausforderungen über normale Projekte gelöst werden können. Oft sind auch kleine Proof of Concepts und kurzfristige Pilotprojekte oder große Programme notwendig. Auf Basis der unterschiedlichen Zeithorizonte lassen sich daher die agilen Vorgehensweisen in drei Umsetzungsgeschwindigkeiten einteilen und anpassen, für:
- Große Programme, die meist mehrere Jahre dauern (etwa Umsetzung Digitalsierungsstrategie)
- Projekte im Portfolio (6-15 Monate, etwa die Entwicklung eines neuen Customer Relationship Management Systems)
- Kurzfristige Pilotprojekte und Proof of Concepts (bis 6 Monate, etwa Ausprobieren neuer Technologien oder das Erproben neuer Geschäftsideen)
Dieses Projektmanagement der drei Geschwindigkeiten erfordert einerseits eine strikte Trennung der drei Ebenen, um die nötigen Geschwindigkeiten auf den unteren Ebenen zu ermöglichen. Andererseits müssen aber die kurzfristigen Projekte in die höheren Ebenen für eine umfassende Transparenz integriert werden. Geschieht die Integration zu früh, gehen Innovationskraft und Geschwindigkeit verloren. Je besser also dieser Kompromiss gelingt, desto erfolgreicher wird das Unternehmen.
In Analogie zur Luftfahrt wäre das so, als ob ein Unternehmen für unterschiedliche Distanzen Hubschrauber, Mittelstreckenflugzeuge und Jumbo-Jets besitzt. Trotzdem muss die Luftfahrtgesellschaft alle Flüge in einer Gesamtübersicht steuern und verändern können, abgestimmt auf die drei unterschiedlichen Einsatzbereiche.
Vor allem bei der untersten Ebene, den Proof of Concepts und kurzfristigen Projekten, darf ein Unternehmen keine Angst vor Misserfolgen haben. Denn genau darum geht es: schnelles Entwickeln und Testen von neuen Ideen. So lässt sich eine langfristige Entwicklung von Lösungen vermeiden, die am Ende gegebenenfalls scheitern. Fehlentwicklungen werden frühzeitig erkannt. Dabei werden auch kontinuierlich neue Erfahrungen gesammelt, die wiederum zu neuen Ideen und Innovationen führen.
Fazit
Mit agilen Vorgehensweisen gibt es eine sehr gute Alternative zum plan-basierten Projektmanagement-Ansatz, die sich insbesondere für komplexe Projekte in schnelllebigem Umfeld mit hohem Erfolgsdruck eignet. Der Einsatz von agilen Vorgehensweisen erfordert Mut zu Fehlern und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Doch Unternehmen müssen sich auf diesen Trend einstellen und dabei die eigenen Mitarbeiter frühzeitig einbinden. Dabei gilt es, den Ansatz auf allen Ebenen bedarfsgerecht zu gestalten. Vor allem beim Entwickeln und Erproben von Projektideen und Pilotprojekten hilft der agile Ansatz, Ideen zu verwerfen und sich auf die wenigen wirklich vielversprechenden Vorhaben zu konzentrieren. Nur so können sich Unternehmen im laufenden Geschäft erfolgreich weiterentwickeln – oder eben das Flugzeug im Flug umbauen.
Patrick Prager, Senior Consultant bei Campana & Schott