Das Thema Fachkräftemangel ist in Deutschland allgegenwärtig, ganz besonders aber im IT-Bereich: Bis 2027 fehlen schätzungsweise 780.000 Arbeitskräfte im Technologieumfeld. Doch was bedeutet das konkret für die Unternehmen? Wo sehen sie Lösungen und welche davon wenden sie konkret an, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Fünf Expert:innen aus Wirtschaft und Politik diskutierten am 22. Februar 2023 über die Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze, die sie verfolgen. Ihre Insights bestätigen, was auch eine neue Civey-Studie erkennen lässt: Das Potenzial von Quereinsteiger:innen muss noch deutlich stärker ausgeschöpft werden.
„Wir [leben] aktuell in [einer] Zeit, die ich gerne mit dem Begriff ‚Multitransformation‘ beschreibe. Das heißt, wir haben vielfältige, sehr tiefgreifende Veränderungsprozesse, die parallel stattfinden, die sich gegenseitig verstärken und bedingen“, erläutert Julia Bangerth, Juristin, COO & Chief Human Resources Officer der DATEV eG.
Besonders bemerkbar macht sich das am Arbeitsmarkt, der sich, wie die Teilnehmer:innen feststellen, genauso sehr transformieren muss. Dem Thema Bildung bekommt dabei eine besondere Rolle zugute.
Es hapert schon in den Schulen
„Wir haben eine Bildung – die gewöhnt Kinder ein regelrechtes Interesse am Digitalen ab. […] Da kommt Digital immer noch zu wenig vor“, so Anke Domscheit-Berg, Aktivistin, Publizistin und Mitglied des Deutschen Bundestagesbei DER LINKEN.
Der Informatikunterricht an Schulen muss weiter ausgebaut, die Lehrinhalte praxisnäher gestaltet und an gesellschaftliche Fragen geknüpft werden. Sie sollen Inhalte abdecken, die über den „klassischen“ Informatikunterricht hinaus gehen. Weg von Excel-Tabellen, hin zu 3D-Modellagen und kleinen Robotern. So soll das Interesse an IT-Berufen geweckt und Schüler und Schülerinnen verstärkt gefördert werden, um den IT-Fachkräftemangel auch in den kommenden Jahren entgegenzuwirken.
Offensiven für ein lebenslanges Lernen
Neben der Ausbildung müsse aber auch der Weiterbildung mehr Beachtung geschenkt werden, denn eine Reform im Bereich der schulischen Bildung alleine stellt keine kurzfristige Lösung der Fachkräfteproblematik dar. Deshalb ist es wichtig, dass auch Unternehmen intern wie extern die nötigen Kompetenzen vermitteln.
Einerseits, ein internes „Re- und Upskilling“, wie es Niklas Heimbokel, Director IT Digital Talents bei der Hapag-Lloyd AG, nennt. Es gilt, „intern zu schauen, wo denn da die verborgenen Talente stecken“ und diese intensiv zu fördern.
Andererseits blicke man bei der externen Personalbeschaffung auch zunehmend auf Quereinsteiger:innen. „Menschen, die einfach veränderungswillig sind und auch eine neue Perspektive in diesen technischen Berufen anstreben, mit einem Bildungsmodell zu versorgen, dass zu diesem Bedürfnis und zu der Lebensphase, in der sich diese Menschen befinden, passt“, ist das daher Anliegen von Dalia Das und neue fische, das sich genau auf diese Gruppe mit ihren Bootcamp-Angeboten fokussiert.
Quereinsteiger:innen sollen die Möglichkeit auf Weiterbildung bekommen, die ihnen den Einstieg in einen IT-Beruf ermöglichen. Lebenslanges Lernen sollte deshalb auch gesamtgesellschaftlich verbreitet ermöglicht und anerkannt werden, so befindet sie, und Arbeiter:innen nicht nur am Anfang ihres Beruflichen Werdegangs unterstützt werden. Eine „Bildungsoffensive für Lebenslanges Lernen“, wie es auch Anke-Dormscheit-Berg bezeichnet.
Diversität bringt neue Perspektiven
Darüber hinaus werden nicht nur Quereinsteiger:innen als solche gewonnen, sondern auch neue Perspektiven und Blickwinkel.
„Nur wenn wir von verschiedenen Perspektiven – verschiedene Alter, verschiedener Herkunft, aber auch verschiedenen Geschlechtern – sozusagen die Probleme unserer Kunden bearbeiten, kommt eine Lösung raus, die im Markt auch wirklich gut funktioniert“, so Phillip Seuring, Vice President & Head of Cloud & Custom Applications bei Capgemini Deutschland.
Der Begriff Diversität beschränkt sich hierbei nicht nur auf Themen wie Gender oder Herkunft, sondern umfasst auch Altersdiversität und Skilldiversität. Denn „wo sollen […] Innovationen und auch schnelle Antworten auf neue und komplexe Anforderungen herkommen, wenn eben alle Menschen den gleichen Hintergrund haben“, so Anke Domscheit-Berg. Mittels Quereinsteiger:innen lässt sich jedoch auch dieser Perspektive in weiten Teilen Sorge tragen, wie Dalia Das bemerkt: „. Wir haben (…) wirklich im Fokus, in der Kommunikation auch Frauen zu sagen, dass der Einstieg in einen IT-Beruf lohnt, und können deshalb auch sehr erfolgreich auf zwischen 35 und 40 % Frauen in unseren Bildungsangeboten zurückblicken, während sich der Industriestandard nach wie vor so bei 17, 18 % bewegt.“
Potenzial in den eigenen Reihen nutzen: Quereinstieg und Weiterbildung
„Mein Herzensthema ist es, den Fachkräftemangel in Deutschland mittels Quereinsteiger:innen zu lösen“, erklärt Dalia Das, Gründerin & Geschäftsführerin von neue fische.
Mit ihrem Unternehmen bildet sie Arbeitnehmer:innen in drei bis sechsmonatigen Bootcamps zu IT-Fachkräften aus – und stößt damit auf offene Ohren, denn der IT-Fachkräftemangel treibt auch hierzulande Politik und Wirtschaft um. In einer fünfköpfigen Runde diskutierten deshalb Betroffene mit Expert:innen und Lösungsanbietern rund 90 Minuten zu den Herausforderungen – und möglichen Lösungsansätze.
Neue Studie bestätigt blinden Fleck beim Thema Weiterbildung
Eine neue Civey-Studie, die unter rund 1.000 privatwirtschaftlichen Führungskräften im Auftrag von neue fische durchgeführt wurde, legt nahe, dass Quereinsteiger:innen auch über den Expert:innenkreis hinaus als große Chance gegen den Fachkräftemangel gelten:
55,2 % der befragten Personalentscheider:innen halten die Rekrutierungslage auf dem freien Arbeitsmarkt für „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“, tatsächlich gelang es nur 3,3 % der befragten Unternehmen, in den letzten zwölf Monaten alle offenen IT-Stellen mit externen Fachkräften zu besetzen (in Ballungsräumen nur 0,8 %). Die Mehrheit (38,6 %) sieht daher in der Umschulung von Mitarbeiter:innen das größte Potenzial zur kurzfristigen Behebung des IT-Fachkräftemangels. Gleichzeitig qualifiziert die Mehrheit (62,3 %) der Unternehmen aber keine Mitarbeiter:innen anderer Abteilungen zu IT-Fachkräften weiter.
Es fehlt an Selbstbewusstsein, wie Dalia Das feststellt: „Das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeiten zur Weiterbildung ist eigentlich nur mit Unkenntnis zu erklären. Viele glauben, dass es Jahre benötigt IT-Fachkräfte auszubilden. Wir beweisen seit fünf Jahren mit unseren Bootcamps, dass auch fachfremde Mitarbeiter:innen in nur drei Monaten zu einsatzfähigen IT-Expert:innen ausbildet werden können. Das kurzformatige Bildungskonzept hat sich in den USA bereits vor vielen Jahren im Recruiting etabliert.“
www.beilquadrat.de