Wie kann aber eine Unternehmenskultur aussehen, die auch hybrid funktioniert und das Unternehmen als Ganzes stärkt? Ein Gespräch mit Rebecca Clarke, Head of People bei Recruitee.
Wie reformbedürftig das Thema Unternehmenskultur selbst bei den größten und vermeintliche attraktivsten Arbeitgebern ist, zeigt offene Revolte der Mitarbeitenden beispielsweise bei Apple. Die Vorwürfe wiegen schwer: Rassismus, Diskriminierung, Missbrauch, Belästigung. Gleichzeitig wurde von Seiten des Konzerns vor kurzem noch eine strikte Anordnung zur Rückkehr in den Spaceloop in Cupertino gegen den Willen der Belegschaft erlassen, bis diese vor dem Hintergrund der Delta-Variante ausgesetzt wurde.
Viele Unternehmen fragen sich aktuell, wie sich über Jahre gewachsene und gepflegte Unternehmenskulturen im Zeitalter des hybriden Arbeitens retten lassen. Warum ist das so schwierig?
Rebecca Clarke: Ein Effekt, der die Schwierigkeiten gut veranschaulicht, ist die Zunahme von verklausuliertem Business-Jargon durch virtuelle Arbeit, mit Begriffen wie “Bio-Break”, “End of Day”, oder “Anpingen”. Einerseits ein verständlicher Schutzmechanismus, mit dem Menschen ihr Privatleben schützen, andererseits äußerst unauthentisch und einer hybriden Arbeits- und Unternehmenskultur im Weg stehend. Gleichzeitig macht hybride Zusammenarbeit der klassischen Unternehmenskultur, die oft auch durch informelle, spontane Treffen im Büro und Gesten direkter zwischenmenschlicher Energie entsteht, einen Strich durch die Rechnung.
Dabei bildet die Unternehmenskultur quasi das Rückgrat einer glücklichen und gesunden Belegschaft. Sie berührt die gesamte Organisation, von der Personalgewinnung über die Wertschöpfung bis hin zur Unternehmensstrategie. Ohne eine starke Kultur fällt es Mitarbeitenden schwer sich im Unternehmen und ihrer Arbeit verortet zu fühlen, was sich zwangsläufig auf den Erfolg des Unternehmens auswirken wird
Eine Studie der Beratung Kienbaum, hat bereits 2011 festgestellt, dass die Wahrnehmung von Topmanagement und mittlerem Management sowie Personalabteilung darin, inwieweit eine gewünschte Unternehmenskultur gelebt wird, stark auseinandergeht – 59 % vs. ca. ein Drittel. Wie schätzen Sie die Entwicklung seither ein?
Rebecca Clarke: Ich befürchte leider hat sich nicht allzu viel getan. Aktuelle Umfragen zeigen z. B. dass nur wenige C-Level-Manager:innen die Unternehmenskultur als einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren für ihr Unternehmen sehen. Das lässt den Schluss zu, dass das Thema wenig Aufmerksamkeit erhält. Die Negativbeispiele über toxische Unternehmenskulturen häufen sich aktuell und gerade junge, große Digitalkonzerne, von denen man intuitiv eher Erneuerung erwartet, fallen hier negativ auf. Deshalb glaube ich, dass Unternehmen die Zäsur der Pandemie insgesamt nutzen sollten, Unternehmenskultur ganz aktiv neu zu denken und ihr die verdiente Aufmerksamkeit schenken.
Was sind Ihrer Ansicht nach die Merkmale einer positiven Unternehmenskultur?
Rebecca Clarke: Brené Brown, die zu den Themen Scham und Verletzlichkeit forscht und für ihren TED-Talk “The Power of Vulnerability” weltweit bekannt ist, betont die Relevanz von Verletzlichkeit und ihr Wert in der Zusammenarbeit von Teams. Es geht um die Schaffung einer Kultur, in der jede Person sich gesehen und verstanden fühlt, in der sie in ihrer Gänze wahrgenommen wird und sich mit ihren Stärken einbringen, aber auch die eigenen Schwächen offen kommunizieren kann und will. Dadurch soll die Arbeitswelt menschlicher und zugleich weniger toxisch werden. Wir versprechen unseren Mitarbeitenden z. B. explizit, dass jede:r einzelne Mitarbeiter:in bei uns sie:er selbst sein kann, gehört wird und etwas bewirken kann.
Drei Aspekte sind für den Aufbau einer positiven Kultur entscheidend: Vertrauen, Fürsorge und Fairness. Diese Aspekte sind Menschen in jeder Beziehung wichtig. Wenn die Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass ihnen vertraut wird und sie fair behandelt werden, sorgt das nicht nur für große Stabilität, sondern entfaltet ebenfalls Signalwirkung.
Die Coronapandemie veranlasst Unternehmen nun zu überdenken, wie sie die Arbeit in Zukunft gestalten und zuvor eher informelle Unternehmenskulturen hybrid umsetzen. Die Chance besteht darin, dass Unternehmen mit den fehlenden Elementen in ihrer Kultur konfrontiert wurden und nun ein besseres Arbeitsumfeld schaffen können.
Welche Tipps können Sie Unternehmen für diese Herausforderungen geben?
- Manager:innen sollten für Transparenz im Team sorgen und das gesamte Team in den Prozess der Entwicklung einer neuen Kultur einbeziehen. Die direkte Einbeziehung der Mitarbeitenden in die Gestaltung der neuen Unternehmenskultur ist enorm wichtig. Führungskräfte sollten auf ihre Teams zugehen und ein offenes Gespräch über die Zukunft des Unternehmens beginnen. Stimmen die Unternehmenswerte mit der neuen hybriden Ausrichtung des Unternehmens überein? Es muss sichergestellt werden, dass sowohl die Teams, die remote arbeiten, als auch die Teams in den Büros gleichermaßen gehört werden. Ihre Gedanken und Bedürfnisse sollten die Grundlage für eine gesunde Strategie zum Aufbau einer neuen Unternehmenskultur bilden.
- Die eigene Strategie sollte auf Vielfalt und Integration bauen. Ein hybrider Arbeitsplatz öffnet die Türen für die Anwerbung globaler Talente. Das bedeutet, dass die großartige Möglichkeit besteht, ein vielfältigeres Team aufzubauen und die eigene Unternehmenskultur zu bereichern. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass es konkrete Ziele und Maßnahmen gibt, um die Vielfalt im Unternehmen zu erhöhen. Bei Recruitee hat das People Team in diesem Jahr unser allererstes Diversity & Inclusion Committee gegründet, um die Gleichberechtigung für alle zu verbessern.
- Unternehmen müssen sich auf das Wohlbefinden ihrer Teams konzentrieren. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich Mitarbeitende wohlfühlen, wenn sie über ihre Probleme sprechen. Das Wohlbefinden des Teams sollte an erster Stelle stehen. Wir alle wissen, dass die Schwierigkeiten von virtueller Arbeit zu Problemen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben führen können. Um sicherzustellen, dass unser Team die Unterstützung bekommt, die es braucht, haben wir dieses Jahr im März einen „Wohlfühlmonat“ eingeführt und eine Partnerschaft mit OpenUp begonnen, einem engagierten Team von Psycholog:innen, an das sich unser gesamtes Team wenden kann.
- Führungskräfte müssen Grenzen setzen und dem Team helfen, den Arbeitstag selbstständig zu gestalten. Ob es darum geht, bestimmte Zeiten für konzentriertes Arbeiten festzulegen oder dafür zu sorgen, dass Besprechungen und Zusammenarbeit nur vor der Mittagspause stattfinden – eine hybride Arbeitskultur muss Wege finden, um Teams dabei zu helfen, die Kontrolle über ihren Tag zu behalten. In einer hybriden Arbeitsumgebung können Teambesprechungen leicht außer Kontrolle geraten und den Arbeitstag in Beschlag nehmen. Bei Recruitee können sich unsere Teams für „besprechungsfreie“ Tage entscheiden und Zeit in ihrem Kalender für konzentrierte Arbeit blockieren. Unser Produktteam hat solche Tage am Dienstag und Donnerstag, während das Marketingteam den Mittwoch als die richtige Zeit für ungestörtes Arbeiten gewählt hat.
- Team-Momente helfen dabei, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Zum Beispiel haben wir für die 6-Jahres-Feier von Recruitee in diesem Jahr einen besonderen Team-Moment geschaffen und dafür gesorgt, dass jede:r Mitarbeiter:in in Deutschland, den Niederlanden, in Polen und in den USA das Jubiläum mitfeiern kann. Eine Videozusammenfassung zur Inspiration gibt es hier.
Danke für das Gespräch!