Dieser Satz ist eine weltweit verbreitete philosophische Idee. Er soll uns dazu ermutigen, mutig zu sein und generös zu denken, beispielsweise beim Sport oder beim Glücksspiel. Im Kern geht es darum, dass man im Leben entweder viel gewinnt oder viel verliert – dazwischen gibt es nichts.
Die Rede ist von dem Ausspruch „Think big or go home“. Die meisten von uns haben das schon einmal gehört, vielleicht sogar verwendet. So auch im Umfeld von Hannes. Er ist eine fiktive Figur in einem Industrieunternehmen. Seine Erlebnisse in der Management-Etage sind die eine und andere feinsinnige Satire wert…
Es wird gemunkelt, dass die Redewendung in den 1990er-Jahren erfunden wurde – von einem südkalifornischen Motorradteileunternehmen, das übergroße Harley-Davidson-Rohre verpackte. Seither hat der Ausdruck seinen Weg in Geschichten und Lieder gefunden. Also alles oder nichts? Gewissermaßen „do or die“? Ganz gleich, ob als Verkaufsslogan oder idiomatische Phrase, die Bedeutung heißt unterm Strich: ohne Risiko gibt es keine Belohnung. Man muss entweder versuchen, den ganzen Weg zu gehen, oder sollte es überhaupt nicht erst versuchen. Erst eine Strategie mit hohem Risiko bringt auch hohen Ertrag – und dafür brauchen die Menschen die nötige Motivation.
Auch Hannes ist es gewohnt, dass man heutzutage größer denken soll – und muss. Das ist das Mantra in der Geschäftsleitung und wird auch immer wieder aufs Neue beschworen. „Think big or go home“ ist das Plebiszit seines CEOs und wird irgendwie für alles Mögliche verwendet. Auch wenn es mal ganz und gar nicht passt.
Dort mal ein kleiner Fehler, hier eine Unzulässigkeit – alles vermeintlich nicht mehr Wichtige ist nicht mehr entscheidend. Schließlich denkt man ja groß. Als Hannes kürzlich auf die oft nicht eingehaltenen Termine in vorgelagerten Prozessen aus anderen Abteilungen hinwies, meinte das Leistungsteam, dass er halt noch lernen müsse, in größeren Dimensionen zu denken. Mit einem lakonischen „Hannes! Think big or go home!“ wurde sein vorgeschlagenes Diskussionspanel abgeschmettert, an dem man über das Einhalten von Terminen debattieren hätte sollen.
Von Globalisierung bis Individualisierung
Hannes hatte schon in dunklen Gedanken die Idee, dem CEO und seinen Mitarbeitern ein T-Shirt mit der Aufschrift „Think big or go home“ zu schenken. Selbstverständlich symbolisch in massiver XXL-Übergröße, das für den kleineren IT-Chef fast als Ganzkörperpyjama durchginge. Aber klar, solch niedrige Impulse verdräng Hannes bald wieder.
Zumindest bis Montagmorgen, dem eigentlichen Meeting-Morgen. Hier ist wieder einmal die Rede von „größer denken“. Hannes scheint, dass „größer denken“ heute vor allem auf Englisch stattfindet und noch mehr auf begriffliche Strömungen Bezug nimmt. Da „slidet“ man Folien mit Glaubenssätzen fürs neue Jahr. Alles fein garniert mit Begriffen wie Globalisierung, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Individualisierung. Das hatte man zwar schon. Neu kommt nun noch „Detoxing“, das für das Entfernen von schädlichen Stimmungen, Reklamationen und allerhand anderem Unerfreulichem steht. Zum anderen gesellt sich „Simplexity“ dazu, was für einfache Gemüter mit „Vereinfachung komplexer Strukturen und Abläufe“ hergeleitet und übersetzt wird.
Papier aus dem papierlosen Büro sammeln
Jetzt denken wir nicht nur „big“, sondern handeln gleich noch „simplexitiy“. Hannes ist nur für kurze Zeit verwirrt, dann schon wurde ein Auftrag im TrelloBoard in die TaskList gestellt. Die Prozesse bei der Papierkorb-Reinigung im Bürotrakt wurden dem Simplexity-Manager zum Kostenrunter-Scanning vorgelegt. Thema: hier wird zu viel Komplexität betrieben. Komplex = teuer. Teuer = kostet viel Geld. Geld = haben wir nicht.
Man beschließt mithin, dem Reinigungspersonal die Arbeitszeit zu streichen, mit der sie die Papierkübel in den Büroräumlichkeiten leeren bzw. das Papier aus dem sogenannten papierlosen Büro einsammeln. Alle Mitarbeitende sind angehalten, das Papier entweder nach Hause zu nehmen oder beim zentralen Sammelbehälter beim Personalparkplatz selbst zu entsorgen. So weit so gut. Die nun funktionslosen Papiersammelbehältnisse in den Büros werden in einer konzentrieren Aufräumaktion mit dem Projektnamen „Simplexity-4-Paperbox“ weggeräumt.
Hannes ist wieder einmal für die Umsetzung zuständig. Allerdings ist noch eine Lieferung eines neuen, anthrazitfarbenen, säurebeständigen 18/10-Chrom-Nickel-Edelstahl-Kübel mit einer Oxidationsbeständigkeit bis etwa 900 Grad für den neuen Feelgood-Manager offen. Ihm graut, wenn die Rechnung dafür kommt. Nicht, dass man das Geld nicht hätte. Vielmehr gibt es eben die Kostenstelle „Material für Papierentsorgung“ nicht mehr. Simplexity halt. Wie verrechnet man das also? Das Credo: Bei seiner Firma wurde noch jede Rechnung bezahlt. Man soll sich nicht um solchen Kleinkram kümmern. Think big or go home. Hannes macht das zweite. Feierabend!