Ungeachtet des Medienrummels zum Thema Smart Working erlebt der gesamte Arbeitsmarkt epochale Veränderungen aufgrund neuer Arbeitnehmerbedürfnisse und eines ernsthaften Mangels an Fachkräften in bestimmten Berufen. Angesichts dieser Tatsache müssen Unternehmen handeln, um sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Aber das ist nicht ausreichend: Es ist auch an der Zeit, die Beschäftigungspolitik und das Sozialrecht zu aktualisieren.
Auf dem Weg zur Individualisierung von Beziehungen und Arbeitsmethoden
Das Thema ist hinlänglich bekannt: Mit der Gesundheitskrise hat das Smart Working zum einen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen und zum anderen wichtige Fragen für Unternehmen offengelegt.
Dabei darf man aber die Gesamtheit der Fachkräfte nicht vergessen, die nicht ausschließlich oder auch nur teilweise von zu Hause aus arbeiten wollen oder können, wie z. B. die Beschäftigten im Handel, in der Logistik oder in der industriellen Produktion.
Die Herausforderung für die Unternehmen besteht heute nicht so sehr im Smart Working per se, sondern in der Individualisierung der Arbeitsmethoden und -beziehungen: So wie sich der Bezug zum Arbeitsplatz verändert, verändert sich auch dessen rechtlicher, zeitlicher und hierarchischer Zusammenhang. Der begehrte unbefristete Vertrag hat heute keine Priorität mehr: Eine gewisse Freiheit in der Gestaltung des privaten und beruflichen Lebens hat Vorrang vor der Höhe des Gehalts.
Wie können Unternehmen angesichts dieses Entwicklungstrends das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aufrechterhalten? Wie lassen sich zwei Aspekte miteinander vereinbaren, die gegensätzlicher nicht erscheinen könnten, jedoch Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und auf die Personalverwaltung haben? Die Unternehmen sind aufgerufen, ihre „Fürsorge“ für die Beschäftigten zu betonen, um deren zwischenmenschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, müssen aber gleichzeitig die Individualisierung der Arbeitsprozesse vorantreiben. Mit anderen Worten: Wie können diese beiden Aspekte in Einklang gebracht werden, insbesondere in (vielen) Sektoren, die unter einem Mangel an qualifizierten Fachkräften leiden?
Die Devise für vom Talentmangel geplagte Branchen: Heute Anpassungen vornehmen, aber vor allem für morgen planen
Mit der eingetretenen Erholung des Marktes hatten vielen Branchen Personalmangel zu beklagen. Dies ist nicht nur auf eine Knappheit an Kompetenzen auf dem Markt zurückzuführen, sondern auch auf eine tiefgreifende Veränderung der Wechselwirkung zwischen Angebot und Nachfrage.
Während der Gesundheitskrise haben sich Arbeitnehmer, die bereits eine stabile Position bekleideten, einfach neue Praktiken angewöhnt und weigern sich zum Teil nun, ganztägig ins Büro zu gehen oder zu den Arbeitsmustern der Vor-Pandemie-Zeit zurückzukehren. Auch zahlreiche geografisch entfernte Bewerber haben die gleichen Anforderungen wie lokale Bewerber oder ziehen es sogar vor, als Freiberufler zu arbeiten.
Täglich werden Personalverantwortliche dazu aufgefordert, sich anzupassen, ihren Pool an potenziellen Kandidaten zu erweitern und selbige gegebenenfalls dabei zu unterstützen, ihre Kompetenzen in Bezug auf die Geschäftsbereiche des Unternehmens zu aktualisieren. Dies ist zweifelsohne eine Investition, die aber auch sicherstellt, dass die Bewerber dem gesuchten Profil entsprechen.
Diese erste Reaktion sollte die Unternehmen jedoch nicht davon abhalten, langfristig daran zu arbeiten, künftige Talente für ihren Sektor zu gewinnen. Zu diesem Zweck können die Organisationen enger mit Grund- und Sekundarschulen zusammenarbeiten sowie allgemein mit dem nationalen Bildungssystem interagieren, indem sie den Schülern und vor allem ihren Eltern die Berufsfelder und die entsprechenden Ausbildungsgänge vorstellen. Dies ist sicherlich eine anspruchsvolle Aufgabe, aber es ist unerlässlich, den Fachkräftebedarf von morgen schon heute zu antizipieren.
Die notwendige Aktualisierung der Beschäftigungspolitik und des Sozialrechts
Obgleich urplötzlich, vor allem angesichts der Schwere der Gesundheitskrise, ist dies nicht die erste große Veränderung auf dem Arbeitsmarkt – und wird wahrscheinlich auch nicht die letzte sein. Ein Kontext wie der gegenwärtige überlässt es im Allgemeinen den Unternehmen, eigene Initiativen zu ergreifen und auf eine Reaktion der Behörden zu warten.
Seit Jahren kommt der Prozess der Kanalisierung von Studenten auf Sektoren oder Berufe mit Zukunftsaussichten (oder zumindest auf solche Sektoren, die bekanntermaßen Gefahr laufen, mittel- bis langfristig unter einem gravierenden Mangel an talentiertem Nachwuchs zu leiden) nur langsam voran. In Anbetracht dessen, dass die Ergebnisse der Erstausbildung nur mittel- bis langfristig sichtbar sind, sollten die beschäftigungspolitischen Maßnahmen die aufgetretenen Probleme berücksichtigen und sowohl Erstausbildung als auch Weiterbildung unverzüglich auf die Sektoren ausrichten, in denen der größte Bedarf an Talenten besteht, damit man im internationalen Wettbewerb nicht aufgrund von Qualifikationsdefiziten zurückfällt.
Abgesehen von den Fachkenntnissen wird der Gesetzgeber angesichts der neuen Realität des Arbeitsmarktes und der neuen Formen der Berufsausübung seine Politik in Zukunft gewiss radikal reformieren müssen. Der unbefristete Arbeitsvertrag könnte natürlich nach wie vor der Eckpfeiler des Arbeitsmarktes bleiben. Aber für Sektoren, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht, wird es immer dringender, neuen Formen der Beschäftigung die gebührende Anerkennung und den entsprechenden Schutz zu gewähren – trotz eines Rechtsrahmens, der in keinster Weise den Bedürfnissen von Arbeitnehmern und Unternehmen des 21. Jahrhunderts gerecht wird.