An hilfreichen Konzepten und plausiblen Schlagworten zum Führen in der agil-digitalen Projekt-Welt fehlts nicht – eine Präzisierung der Anforderungen und darauf bezogene Vorschläge zur reflektierten Verhaltensänderung ist dringend nötig.
Die schon länger laufende „Agilisierungswelle“ in der Projektwelt hat erhebliche Veränderungen in der Organisation von Projekten gebracht, das Rollen-Set entscheidend verändert (durch das Entstehen der neuen Rollen ScrumMaster (SM) und ProductOwner (PO)), sowie neue Methoden, Tools usw. hervorgebracht und dazu beigetragen, dass wieder mehr über Werte als Voraussetzung einer guten Zusammenarbeit und den damit verbundenen „Umbau der Kultur“ diskutiert wird.
PM/PL sind verunsichert, weil sie nicht so genau wissen, ob sie in diesem neuen „Rollenmix“ eine Zukunft haben (viele Unternehmen haben tatsächlich mit Einführung von SM und PO den PL/PM abgeschafft (s. dazu die in der Fachgruppe „FiP“ in der GPM 2018/19 durchgeführte Studie) und welche Führungsaufgaben sie übernehmen könnten – die dann andere Konzepte, Haltungen und Verhalten (Stile) abfordern.
Nach der (fahrlässigen) Einschätzung aus den frühen 2000ern, dass Führung gar nicht mehr gebraucht würde wg. der Einführung der „selbstorganisierten Teams“(soT) hört man sie trotz Rücknahme durch bekannte Autoren immer wieder. Gleichzeitig treffen wir bei PM/PL häufig auf ein Sammelsurium von „gesundem Menschenverstand“ und „Alltags-Psychologie“, gepaart mit der Annahme, die „richtige“ Anwendung der (agilen) Methoden lasse viele Probleme verschwinden.
Weil wir darin eine Gefahr für optimale Performance von PL/PM, aber auch für das Heben des Potenzials des „agilen Ansatzes“ für den Change im Projektgeschäft sehen, mischen wir uns hiermit in die Diskussion ein.
Was bedeutet eigentlich Führung …
Wir sollten uns nochmal klar werden: Menschen stehen immer in einem sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis – egal, ob hierarchische oder Netzwerk-Organisation. Führung definieren wir insofern als „zielgerichtete Beeinflussung von Menschen in einem Organisations-Kontext durch einen oder mehrere Menschen mittels Wort und Tat“ (Lippert u.a.,1999). Dazu sind (mindestens) zwei Voraussetzungen wichtig: die „beeinflussende Person“ hat eine formale Legitimation („Weisungsbefugnis“ oder etwas vergleichbares wie z.B. einen Macht-Status) oder eine „informelle Legitimation“ (die Menschen akzeptieren aus fachlichen, menschlichen oder anderen Gründen die Beeinflussung). Am besten, sie wird offen/ transparent gehandelt – ansonsten kann es sich um Manipulation handeln. Für die gelingende Beeinflussung braucht es beim „Beeinflusser“ passende Instrumente und Vorgehensweisen (z.B. design thinking zur Generierung neuer Ideen) – bei den „Zu-Beeinflussenden“ Bereitschaft mitzugehen, Motivation, Zugehörigkeit, Respektiert-werden, Beiträge leisten können und dürfen.
Klar ist also: für die Klärung des passenden Führungskonzepts und -stils ist dieses Rückbesinnen hilfreich, weil so die unglückliche Kopplung „command-and-control“ mit Hierarchie und wertschätzend, kooperativ usw. mit „agil“ aufgehoben und die Notwendigkeit deutlich wird, sauber zu klären, wie sich denn die Anforderungen unter agil-digitalen Bedingungen verändern und wie sie durch (veränderte) Führungskonzepte und -stile beantwortet werden können/sollten.
…und welche ist im „agil-digitalen Zusammenhang“ gefordert?
Ganz grundsätzlich bleibt die Funktion von Führung in einer Organisation: sie muß diese handlungsfähig halten, Ziele des Top-Managements „übersetzen“ und als „Katalysator“ zwischen den Ebenen und als „Support vor Ort“ wirken.
Wenn wir die Anforderungen im Speziellen an Führung im agil-digitalen Umfeld bestimmen wollen, bietet folgende Zusammenfassung unter 3 Oberbegriffen an:
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Aufbau und Haltung einer stabilen Beziehung zum Kunden und seine Einbeziehung in die Problemlösung/ Zieldefinition
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das konstruktive, selbstorganisierte Zusammenwirken des Projekt-Teams und seiner internen und externen Zuarbeiter im Interesse einer fortschrittlichen, effektiven und nachhaltig wirkenden Problemlösung
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das Flexibel-Halten von Prozessen und Strukturen, um auf die sich teilweise schnell und heftig ändernden Rahmenbedingungen, Markttrends, Bedürfnislagen usw. angemessen reagieren zu können und den Beschäftigten modernes Lernen zu ermöglichen
Dazu passt ein relativ altes Modell aus der Führungsforschung: „situatives Führen“ von Hershey/Blanchard (1973). Zentral ist dort, dass sich das Führungsverhalten an die Situation und Personen anpassen muß. Noch stärker auf die Unterschiede der Personen geht das Modell des „typgerechten Führens“ ein (was die Entscheidung für ein Persönlichkeitsmodell verlangt – vgl. z.B. Tödter/ Werner, 2006). Natürlich spielen hier die neuesten Kommunikations-Modelle („Führung auf Augenhöhe“ oder „embodied communication“) ebenso eine wichtige Rolle, wie das Thema „gehirngerechtes Führen“ (z.B. Blümmert, 2019).
Auf der organisationalen Ebene wäre der „systemische Führungs-Ansatz“ (vgl. Strametz, 2017) der passende, weil so die Nahtstellen zum Kunden, zum Projekt-Team, zu den internen und externen Kooperationspartner usw. in einen Zusammenhang gebracht und die gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigt werden.
Von zentraler Bedeutung für das agile Projekt ist der Aspekt der „Selbstorganisation des Teams“; dieser ist auf jeden Fall an ein Menschenbild gebunden, das den Mitarbeitern zutraut, sich ihre Arbeit (mehr oder weniger selbständig) zu organisieren inkl. das Zusammenführen von erarbeiteten Ergebnissen, Treffen von Entscheidungen, das „Tracken“ von Fortschritten usw.
In diesem Zusammenhang wird das (ebenfalls schon relativ alte) Konzept „servant leadership“ (Greenleaf,1970, ähnlich wieder aufgegriffen von Spears, 2002, ausführlich beleuchtet bei Hinterhuber u.a., 2007) in die Debatte gebracht. Dort werden aber leider die Bedarfe der Mitarbeiter und die Werte-Orientierung zu sehr in den Mittelpunkt gestellt (mit Betonung der anderen Haltung). Passender scheint uns hier der „Empowerment“-Ansatz von Pearce u.a. (2003), weil dort das Überwinden bisheriger Aufgaben- und Rollen-Grenzen ebenso mitgedacht ist (im Zusammenspiel mit organisatorischen Änderungen), wie die Unterstützung z.B. durch Coaching, Mentoring o.ä. der Team-Mitglieder (vgl. dazu auch Gloger/ Rösner,2015, und Kohlhofer,2016).
Handlungsleitend für PL/PM sollten also Konzepte sein,
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die einerseits grundsätzlich die Neu-Verteilung der Führungsaufgaben im agil-digitalen Kontext reflektieren („shared leadership“) und im Blick behalten, dass es eine zukunfts-orientierte Klärung für Jeden dort Tätigen braucht, was ihm attraktiv scheint und zu seinem Rollen-Repertoire bzw. seinem Entwicklungs-Potenzial passt; man beobachtet, bewertet und bringt sich ein – sollte aber darauf vorbereitet sein, dass Aufgaben und Rollen schnell wechseln können und zukunftsfähige Zusammenarbeits-Modelle gefragt sind.
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die andererseits dazu beitragen, die Team-Mitglieder u.a. Stakeholder situations- und typgerecht durch Wort und Tat auf der Basis gemeinsamer Werte in verschiedenen Rollen (wie z.B. Rahmen- und Ideengeber, „Coach“, Prozess- und Lernbegleiter z.B. bei der Reflexion von Entscheidungen oder bei „kritik-Runden“ oder bei Problemlösungs-Vorschlägen) zu begleiten. Dafür muß das Erleben die Überzeugung formen, dass es keinen „one-fits-all“-Stil geben kann, was die Mühe zur Folge hat, sich ein zum Kontext und zu den Mitarbeitenden sowie zur Rolle passendes Repertoire an Führungsstilen anzueignen (ein kooperativer Stil kann kein Rezept sein, sondern muss im entscheidenden Moment durch einen direktiven Stil ergänzbar sein!)
PM/PL waren bisher schon mit der Herausforderung konfrontiert, sich in einem Umfeld zu behaupten, das sie nicht unbedingt als Führungsperson gesehen oder akzeptiert hat und in dem sie ein cross-funktionales Exzellenz-Team – manchmal sogar virtuell – zu einer wertschätzenden, gut funktionierenden und innovativen Zusammenarbeit und zu Ergebnissen zu bringen hatten. Wenn Sie sich nun in die „agil-digitale“ Welt hineinentwickeln, sollten Sie sich um Möglichkeiten kümmern, Ihre Führungserfahrung zu reflektieren und mit den obigen Aussagen und Anregungen zu mappen mit dem Ziel sich bewußt und gezielt mit dem, was Ihre berufliche Zukunft bestimmen wird, auseinanderzusetzen und so Handlungsmöglichkeiten zu bekommen.