Um Störungen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) prognostizieren zu können, werden zunächst historische Störungsdaten benötigt. Diese stehen häufig nicht, oder nicht in ausreichender Menge, zur Verfügung. Deshalb ist oftmals die automatisierte Erkennung von Anomalien die Vorstufe zur Störungsprognose.
Im folgenden Fachartikel beleuchtet Arvin Arora (AIM Co-Founder & Geschäftsführer) die Herausforderungen und Lösungsansätze zur automatischen Anomalieerkennung durch KI.
Große Potentiale für die OEE(E) werden greifbar
Im Zusammenspiel von Herstellern und Betreibern von Anlagen und Maschinen stehen im Kontext der Industrie 4.0 Entwicklungen zunehmend Sensor-, Steuer- und Prozessdaten zur Verfügung. Viele Unternehmen sind derzeit noch in der Phase, diese zunächst über Condition Monitoring sichtbar und nutzbar zu machen.
Damit verbessern sich aber auch zunehmend die Grundlagen, die OEE (Overall Equipment Effectiveness), die Effizienz (Energie, Material, …) sowie die mit dem Betrieb verbundenen Personalaufwände mit Hilfe von KI, insbesondere Machine Learning, zu optimieren. Die Störungsprognose ist hierbei nur ein Baustein, aber ein sehr wichtiger, um teure ungeplante Stillstände zu vermeiden.
Bild 1: Potentiale für OEE(E)
Allerdings gibt es aus Sicht der Anlagen- und Maschinenbetreiber zunächst einige Hürden zu überwinden.
Leicht gesagt – praktische Hürden?
Erste Herausforderung: die Datengrundlage bilden definierte Störungen vs. Anomalien
Im Idealfall liegen definierte Meldungen (Warnungen, Alarme) zum Beispiel aus der SPS vor, die als Trainingsdaten für Prognosemodelle genutzt werden können. Hierfür müssen aber zuvor technische Spezialisten entsprechende Schwellwerte und Regeln definieren, welche zum einen bei komplexen Anlagen nicht immer sofort auf der Hand liegen und zum anderen bei dynamischen Verhaltensweisen z.B. durch verschiedene Fertigungsprogramme und weitere Einflussfaktoren auch veränderlich sein können (müssen).
Daher liegen solche Trainingsdaten nicht immer direkt vor beziehungsweise müssen Normalverhalten und Störungen zunächst einmal sauber separiert werden, um dann überhaupt Prognosemodelle nutzen zu können. Daher wird häufig eine Unterstützung bei der Anomalieerkennung gewünscht, um diese und zugehörige Schwellwerte zunächst überhaupt – möglichst automatisch – zu identifizieren.
Häufig werden wir auch nach der Anzahl der „notwendigen Störungen“ für das Training entsprechender Modelle gefragt. Diese ist aus betrieblicher Sicht idealerweise sehr gering, aber ohne hinreichende Beispiele kann auch eine KI nichts erkennen.
Zweite Herausforderung: KI Hype vs. praktisch einsetzbare Verfahren
Getrieben durch den Hype um Machine Learning dominieren in vielen Marketing Aussagen und Blog Beiträgen teilweise noch immer komplexe Modelle und Ansätze (z.B. Deep Neural Networks, LSTM, GAN, Gaussian Mixtures, …) zur Anomalieerkennung. Diese sind aber für Ingenieure und Verantwortliche für den Betrieb häufig nicht nachvollziehbar und vernebeln aus unserer Erfahrung einen klaren Blick auf die grundlegenden Bedingungen und Mechanismen zur Anomalieerkennung.
Dritte Herausforderung: Einbettung in produktive Abläufe
Prototypische Lösungen, die in der Exploration und im Labor funktionieren, sind zwar häufig schon recht beeindruckend, aber echte Mehrwerte liefern diese nur, wenn sie nahtlos in produktive Umgebungen und Abläufe eingebettet werden.
Bild 2: In produktive Abläufe und Systeme eingebettete Lösung
Lösungsansätze: Überblick und des Pudels Kern
Fachliche Sicht: Anomalien in Maschinen und Anlagen
Wichtig sind vor allem zunächst die unterschiedlichen Arten und Ursachen von veränderten Dynamiken in realen Maschinen und Anlagen zu verstehen und zu unterscheiden:
- Umbauten bzw. Ein-/Ausbauten von Komponenten
- Veränderte Steuer-/Fertigungsprogramme
- Tatsächliche Störungen im Prozess vs. Sensor Störungen/Defekte
- Externe Einflussfaktoren wie z.B. Umgebungstemperatur
- Verschleiß und Verschmutzung
Nicht alle (z.B. die ersten beiden oben genannten) Fälle sollen zu Anomaliemeldungen im Sinne von Alarmen führen. Im Gegenteil: Diese sollten idealerweise von den Verfahren für weitere Aufgaben wie Störungsprognose oder adaptive Regelung kompensiert werden.
Methodische Sicht: Was sind eigentlich Anomalien?
Weiterhin ist es sinnvoll, zunächst die generelle Idee hinter der Erkennung von Anomalien zu skizzieren:
“An observation which deviates so much from other observations as to arouse suspicions that it was generated by a different mechanism.“ Hawkins, 1980
“Therefore, outliers can be thought of as observations that do not follow the expected behavior.“ A review on outlier/anomaly detection in time series data, 02/2020, Ane Blázquez-García, Angel Conde, Usue Mori, Jose A. Lozano
Bild 3: Erwartete und beobachtete Werte einer eindimensionalen Zeitreihe