Die Automatisierungstechnik sorgt für umfangreiche Erleichterungen in der Arbeitswelt, Erhöhung der Arbeitssicherheit, Erfolge in der Weltraumfahrt und eine effizientere Produktion. Industrie 4.0, die vierte industrielle Revolution, ist zunächst mehr Marketingbegriff als Zukunftsprojekt und in ihren ausprägenden Merkmalen und der Abgrenzung zur klassischen Automatisierung nicht recht greifbar.
Historische Einordnung
Die neuzeitliche Automatisierungstechnik blickt mit der Einführung des vollmechanisierten Webstuhls auf eine über zweihundertjährige Geschichte zurück. Sie waren die ersten automatischen Maschinen für die industrielle Produktion. Doch hier soll der Fokus auf die digitale Automatisierung und deren Abgrenzung zu Industrie 4.0 Technologien gelegt werden. Digitalisierung in der Wirtschaft gab es lange vor der Zeit des Internets der Dinge und von Industrie 4.0.
Die digital automatisierte Produktion begann mit der Einführung der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) in den 1970er Jahren. Die Maschinen wurden nicht mehr bedient, sondern programmiert. Mit der sich entwickelnden Mikroelektronik und Chipherstellung konnte die Rechnertechnik integriert werden. So wurden nach starren oder adaptiven Automaten problemlösende Automatisierungssysteme entwickelt, sogenannte künstliche Agenten. Sobald mehrere solcher Agenten in einem System sind, spricht man von Multi-Agenten-Systemen und deren Funktionalität steigt damit erheblich. Dann erfordert das Erbringen gemeinschaftlicher Leistungen zwingend auch eine Lösung für die Kommunikation untereinander. Allerdings besitzen solche Automatisierungssysteme noch nicht die Fähigkeit des Selbstlernens und das bedeutet, dass gleichartige Aufgaben immer wieder erneut zu lösen sind. Die Systeme arbeiten bisher informationsbasiert.
Eine weitere Leistungssteigerung der Automaten, hin zu wissensbasierten Systemen, erfordert eine komplett andere Systemarchitektur und eine grundlegend verbesserte Performance der Systemkomponenten. Die Struktur dieser lernfähigen Automaten ist durch das Vorhandensein einer Komponente zum Wissenserwerb und eines Moduls zur Verwertung des Wissens gekennzeichnet. Unter Zugriff auf das Gedächtnis, die Wissensbasis, entwickelt die Wissensverwertung ein Verhaltensmodell, das mit zunehmendem Wissen optimiert wird. Nur damit sind Lösungen zur Verbesserung des gesamten Produktionsprozesses oder des gesamten Produktlebenszyklus umsetzbar und in Zukunft sich selbst optimierende cyber-physische Systeme.
Der Schlüssel zur Realisierung liegt in einer hochleistungsfähigen Interaktion der beteiligten Systemkomponenten. – Hier beginnt Industrie 4.0.
Technologische Einordnung
Mit der technischen Entwicklung der Sensorik und deren Anbindung an Unternehmensnetze in Verbindung mit dem Internet ist eine neue Stufe der Digitalisierung erreicht. Der wesentliche Punkt ist allerdings nicht mehr der digitale Aspekt selbst, sondern die Tatsache, dass dabei ein Maß an Vernetzung entsteht, das Wertschöpfungsketten komplett verändern kann. Durch die folgenden Aspekte werden Industrie 4.0 Anwendungen heute technisch realisierbar und zugleich wirtschaftlich nutzbar.
- Bisher hat die Kommunikationstechnik weitgehend leitungsgebundene Übertragungswege genutzt und fand in geschlossenen Datenübertragungssystemen statt. Heute sind mobile Übertragungswege hinzugekommen und es kann auf weltweit verteilte Informationen zugegriffen werden.
- In Verbindung mit rasant steigenden Rechnerleistungen, schwinden die Nachteile, die lernfähige Systeme bis vor kurzem noch aufwiesen. Der Lernprozess dieser Automaten lässt sich durch heute schon verfügbare leistungsfähige Rechner derart beschleunigen, dass der Zeitaufwand dafür die Handlungsfähigkeit nicht einschränkt.
- Durch Big Data-Technologien in Verbindung mit hoch-performanten Datenbanken können heute mit überschaubarem Aufwand Lösungen genutzt werden, die noch vor wenigen Jahren ausschließlich den Technologieführern vorbehalten waren.
- Industrie 4.0 Komponenten können nicht nur miteinander kommunizieren, sondern die semantische Interoperabilität wird durch intelligente Schnittstellentools gewährleistet.
- Durch Cloud-Computing, das bedarfsgerechte und flexible Nutzen von IT-Leistungen, werden diese Technologien für Unternehmen jeder Größenordnung nutzbar. Denn die dafür erforderliche teure Infrastruktur steht bei einem Dienstleister und wird von vielen genutzt. Der Skaleneffekt sorgt für die Bezahlbarkeit des Angebots.
- Die Sicherheit der IT und der Daten hat oberste Priorität. Doch sollten IT-Sicherheitsbedenken nicht von der Einführung und Nutzung neuer Technologien abschrecken. Hierfür gibt es IT-Sicherheitsexperten, die beraten und bei der bedarfsgerechten Umsetzung unterstützen.
Damit wird durch die technische Entwicklung um Industrie 4.0 einer Vielzahl von innovativen Anwendungen der Weg bereitet.
Ökonomische Einordnung
Was bedeutet Industrie 4.0 für die Wertschöpfungskette?
Die angestoßenen Veränderungen im Fertigungsumfeld erlauben es, kennzahlenbasierte Werttreibermodelle qualitativ zu verbessern. Mit dem zunehmenden Ausbau der Maschine-Maschine-Kommunikation wird auch die Informationsbereitstellung für die betriebswirtschaftliche IT immer umfangreicher und durchgängiger. Ein höherer Automatisierungsgrad dürfte daher in Zukunft ziemlich sicher zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden. Die größte Herausforderung dabei ist es, messbar zu machen, welchen positiven Beitrag die digitalen Vernetzungsmaßnahmen zum Unternehmenserfolg und damit zur strategischen Absicherung der Unternehmensorganisation leisten.
Was können Unternehmen also im Rahmen einer von Industrie 4.0 geprägten Produktionslandschaft erwarten?
In erster Linie zwei Effekte: Kosten- und Zeitvorteile in der Produktion und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die erzielten Effizienzgewinne. Eine hoch automatisierte Fertigungstechnologie, die einen hohen Nutzungsgrad der Produktionsanlagen bei gleichzeitig geringem Eingriff durch das Bedienpersonal gewährleistet, soll die Stückherstellkosten senken. Dabei eröffnen Cloud-basierte Lösungen etwa Herstellern von Investitionsgütern neue Geschäftsfelder im Service bei ihren Kunden.
Ein Anlagenbauer kann künftig die Instandhaltung für den Anlagenbetreiber störfallvorbeugend ausführen, indem er die Anlagen remote überwacht und analysiert. Was die Prozesse hier besser macht, sind optimierte Zeitpläne für den Austausch von Ersatzteilen und die Möglichkeit, Muster aus historischen Sensor- und Fehlercodedaten zu erkennen, um Störfällen vorzubeugen. Die Vorteile für den Betreiber liegen auf der Hand: höhere Verfügbarkeit der Anlagen und Unterstützung bei der Senkung von Instandhaltungskosten. Der Anlagenbauer kann wiederum sein Portfolio erweitern, die Kundenbindung stärken und Service-Level-Agreements besser managen. In diesem Kontext trägt Industrie 4.0 zur Ausweitung der Umsätze bei.
Fazit
Industrie 4.0 ist eine Fortsetzung der digitalen Automatisierungstechnik in den Fabriken durch die weitere Optimierung der Geschäftsprozesse mit den Möglichkeiten die hochleistungsfähige Hardwarekomponente und Netzwerke heute bieten. Die Digitalisierung in der Produktion soll für mehr Leistungsfähigkeit bei höherer Effizienz sorgen.
Anders als die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, die radikal, disruptiv sein kann, erfolgt die Einführung von Industrie 4.0 Ansätzen in den Unternehmen in einem eher evolutionären Prozess. Dabei entstehen inkrementelle Innovationen mit denen sich die Anwender Schritt für Schritt Wettbewerbsvorteile sichern können. Die Komponenten dafür sind alle am Markt verfügbar und es macht keinen Sinn noch auf irgend Etwas zu warten. Industrie 4.0 erfordert nur die Bereitschaft sich selbst intensiv damit auseinanderzusetzen und sich fachkundige Expertise zu sichern, bevor es andere tun.
Autor: Uwe von Carben ist Experte für die Themen Industrie 4.0 und IoT www.camap.de
Literatur: Automatisierungstechnik im Wandel der Zeit – Entwicklungsgeschichte eines faszinierenden Fachgebiets von Wolfgang Weller, erschienen bei epubli GmbH, 14.5.2013