ERP-Releasewechsel gelten immer noch als kosten- und zeitaufwendig, zudem wird ihr unmittelbarer Nutzen häufig infrage gestellt. Zu Unrecht, sagt Stefan Müssemann, Prozess Manager Relasemanagement beim ERP-Anbieter ams.Solution.
Im Gespräch mit Ulrich Parthier, Herausgeber it management, erläutert er seine Ansichten.
Welches generelle Konzept verfolgt ams.Solution derzeit hinsichtlich seiner Release-Politik?
Stefan Müssemann: Wir veröffentlichen unsere Haupt-Releases und die größeren Feature-Packs seit einiger Zeit in einem verbindlichen Turnus: Die Haupt-Releases erscheinen jeweils am 1. April eines jeden Jahres und die Feature-Packs sechs Monate später am 1. Oktober. Die Anwender können die Aktualisierung ihrer Systeme auf dieser Basis zu jedem Zeitpunkt exakt und vorausschauend planen. In den Perioden zwischen den fixen Terminen erscheinen dem aktuellen Bedarf entsprechend sogenannte Service-Packs. Der Support für ältere Versionen endet in der Regel drei Jahre nach Freigabe der jeweils nächsten Hauptversion.
Viele ERP-Anwender verfahren nach dem Motto: „Never change a running system“. Sie fürchten schlichtweg den Aufwand, den sie dem zu erwartenden Nutzen gegenüberstellen. Vielfach werden Releasewechsel sogar ähnlich aufwendig angesehen wie Neuimplementierungen. Ist diese Sicht übertrieben?
Stefan Müssemann: In der Vergangenheit war es in der Tat meist so, dass Releasewechseln sehr intensive Planungsphasen vorausgingen und der spätereinterne Organisations- und zeitraubende Testaufwand immens hoch war. Hinzu kamen dann meist lange Umstellungsphasen. Das eigentliche Problem war jedoch der anfängliche „Blindflug“, weil Störungen erst dann sichtbar wurden, wenn das System in den Echtbetrieb ging. Hier wirken wir mit unserer von uns selbstentwickelten Testautomation entgegen, die den Aufwand immens reduziert.
Wie überzeugen Sie Ihre Kunden von der Notwendigkeit von Versionswechseln?
Stefan Müssemann: Kleinere Release-Schritte schaffen mehr Transparenz, vor allem, weil die Anwender einen besseren Überblick über funktionale Veränderungen behalten. Ganz anders als es beispielsweise bei den Updates von mobilen Betriebssystemen der Fall ist, deren Nutzungsbestimmungen zu akzeptieren sind, ohne dass die Anwender sie wirklich wahrnehmen oder hinterfragen können.
ams-Anwender, die eine aktuelle Version ihrer Geschäftssoftware einsetzen, profitieren davon, sich jederzeit auf der Höhe der technologischen Entwicklung zu befinden. Dies bietet ihnen wirtschaftliche und organisatorische Vorteile, dauerhafte Investitionssicherheit und zugleich rechtliche Verbindlichkeit: Die Unternehmen sind auf ungeplante Ereignisse wie Gesetzesänderungen besser vorbereitet, können schneller auf Markt- und Kundenanforderungen reagieren und handeln datenschutz- und datensicherheitskonform. In einem größeren Kontext betrachtet schafft die Optimierung der täglichen Arbeit sogar die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen dafür, dem Fachkräftemangel angemessen begegnen zu können.
Können Sie das näher erläutern?
Stefan Müssemann: Eine Geschäfts-Software wie ams.erp entwickelt sich stetig weiter. Fehler werden beseitigt, neue Features hinzugefügt und die Bedienbarkeit sowie die Übersichtlichkeit optimiert. Die Software durchläuft damit einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Dadurch erhöht sich der durch sie selbst erzeugte Nutzen, weil der Datenfluss beschleunigt wird, die Datenqualität steigt und die Datenpflege erleichtert wird. Es gibt bei ams darüber hinaus bereits Überlegungen in Richtung der Einbindung künstlicher Intelligenz, um beispielsweise die Stammdatenpflege zu erleichtern.
Ein anderer Punkt: Immer wieder verlangen beispielsweise gesetzliche Änderungen das Einspielen von erforderlichen Patches. Da diese schnell verfügbar sein müssen, können wir sie natürlich nur für die aktuellsten Versionen unserer Software bereitstellen. Eine grenzenlose Abwärtskompatibilität ist schon aus Zeitgründen oftmals nicht realisierbar.
Gleiches gilt für den Aspekt der Sicherheit. Um aktuelle Angriffe von Dritten und Datendiebstahl erfolgreich abwehren zu können, können wir uns bei dem Aufbau von Sicherheitsmechanismen schon aus Zeitgründen nur auf unsere aktuellen Versionsstände konzentrieren. Der Vergleich mit PC-Betriebssystemen sei erlaubt: Microsoft hat den Support für Windows 7 auch zu einem gewissen Zeitpunkt eingestellt.
Das ERP-System ist die zentrale Datendrehscheibe, die in der Lage sein muss, eine Fülle externer Systeme und Datenquellen nahtlos zu integrieren.
Zudem haben Ihre Kunden ja meist auch andere Software-Produkte im Einsatz, die an das ERP-System angebunden sind?
Stefan Müssemann: Dies ist ein ganz entscheidender Punkt, der in Zeiten weitreichender Vernetzung und vor dem Hintergrund von Industrie-4.0-Szenarien immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das ERP-System ist die zentrale Datendrehscheibe, die in der Lage sein muss, eine Fülle externer Systeme und Datenquellen nahtlos zu integrieren. Dafür muss das System so flexibel wie möglich sein.
Flexibilität heißt in diesem Zusammenhang, in einem vertretbaren zeitlichen Rahmen die Kompatibilität zu bei den Anwendern eingesetzten Systemen zu wahren – seien es ams-Partnerprodukte, sonstige Drittprogramme oder auch Maschinen, die angebunden werden müssen. Auch hier können allein schon aus Schnelligkeitsgründen nur die neuesten ERP-Versionen stets auf dem aktuellen Stand gehalten werden.
Für die Endnutzer bedeuten Versionswechsel immer auch Umgewöhnung. Wie begegnen Sie Widerständen, wenn gewohnte Abläufe umgestellt werden müssen?
Stefan Müssemann: Meist geht die Umgewöhnung schneller vonstatten als viele Skeptiker im Vorfeld glauben. Ein ams-Kunde sagte kürzlich sinngemäß, dass schlankere Prozesse in seinem Unternehmen bereits nach kürzester Zeit als Selbstverständlichkeit angesehen würden und sich die Mitarbeiter erst bei genauerem Hinsehen darüber bewusst würden, dass die erzielten Verbesserungen auf neue oder erweiterte ERP-Funktionalitäten zurückgehen. Der Umgewöhnungseffekt wird immer geringer werden, zudem trägt der stetige Lerneffekt zu einem besseren Gesamtverständnis für die Software und die Prozesse bei.
Werden Sie Ihren derzeitigen Turnus der Release-Veröffentlichungen vor diesem Hintergrund beibehalten oder gibt es bereits Pläne für noch kürzere Abstände?
Stefan Müssemann: ams folgt seit einiger Zeit dem strategischen Ansatz der ‚Continuous Delivery‘. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung verändern sich technologische Ansätze schneller und unvorhersehbarer als noch vor einigen Jahren. Dies hat auch Einfluss auf die Weiterentwicklung von Unternehmenssoftware. In der Theorie bedeutet ‚Continuous Delivery‘, dass wir unsere Software zu jeder Zeit und kontinuierlich aktualisieren und den Kunden zur Verfügung zu stellen.
Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die ams-Anwender möglichst nah am Software-Standard bleiben müssen?
Stefan Müssemann: Ein schnelles und qualitativ hochwertiges Update ist immer einfacher umzusetzen, wenn es wenige kundenspezifische Änderungen gibt. Damit dies gelingen kann, haben wir auch schon in der Vergangenheit viele Möglichkeiten geschaffen, um im Customizing flexibel auf Kundenwünsche eingehen zu können, ohne den Standard von ams.erp verändern zu müssen.
Welche Vorteile ergeben sich für die ams-Anwender aus dem Verzicht auf Individualisierungen?
Stefan Müssemann: Zum einen entfallen unnötige und aufwendige Tests für die Kunden, zum anderen können Supportanfragen schneller und effizienter bearbeitet werden, wenn keine kundenspezifischen Programmveränderungen vorgenommen wurden. Zudem können Updates wesentlich einfacher installiert werden. Unter dem Strich arbeiten wir als Software-Hersteller effektiver und erzeugen somit noch mehr Nutzen für alle Anwender.
Herr Müssemann, vielen Dank für dieses Gespräch.