Blaupausen oder Farbkästen

Über den Wunsch nach Individualität in digitalen Systemen

Roboter

Digitale Systeme, unabhängig von deren physischer Repräsentation, spiegeln in einem gewissen Maß die Benutzenden wider: dies kann entweder hinsichtlich des Aussehens oder der Persönlichkeit sein. Der Artikel widmet sich der Frage, inwieweit wir unsere Individualität auch digital ausdrücken.

Roboter und Avatare sind technische Systeme, welche in unserer Gesellschaft immer häufiger anzutreffen sind. Roboter können auch als Verkörperte Digitale Technologien (Embodied Digital Technologies, EDTs) beschrieben werden, da es sich um physische Repräsentationen handelt, welche mit uns interagieren können. Avatare wiederum existieren als digitale Repräsentationen ausschließlich im virtuellen Raum. Avatare sind künstliche Personen bzw. Grafikfiguren, die als Verkörperung für Benutzer:innen in der virtuellen Welt dienen. Sie repräsentieren die Benutzer:innen als Vertreter:innen, z.B. in Computerspielen, Onlinemeetings, (Geschäfts-)Konferenzen, sozialen Netzwerken, im Gesundheitswesen und in zahlreichen weiteren Onlineanwendungen. Somit vermitteln sie die Interaktion mit einem Computersystem (z.B. bei Videospielen) oder mit anderen Menschen (z.B. in Onlinemeetings) (Meadows, 2008). Wie diese Technologien, unabhängig von ihrer Verkörperung, wahrgenommen werden, ist ein elementarer Gegenstand der Forschung. 

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Gestaltung von Robotern

Roboter werden in Industriesettings bereits jahrzehntelang eingesetzt. Dabei zeigte sich, dass einem Industrieroboter durchaus menschliche Attribute zugeschrieben werden (Sauppé & Mutlu, 2015), er also gewissermaßen als ‚Arbeitskolleg:in‘ gesehen wird (Demir et al., 2019). Mit dem zunehmenden Einsatz von Robotern in Kontexten, in welchen soziale Interaktion eine tragende Rolle spielt, es also auch darauf ankommt, ob man den Roboter ‚mag‘, wird der ‚Roboterpersönlichkeit‘ immer mehr Aufmerksamkeit zuteil. Wenn Roboter mit Persönlichkeitseigenschaften, welche traditionell eher weiblicher oder männlicher wahrgenommen werden, ausgestattet sind, werden sie auch unterschiedlich hinsichtlich ihrer Sympathie und Kompetenz eingeschätzt (Ernst & Herm-Stapelberg, 2020a). Selbst Assistenzsysteme wie Siri oder Alexa erfahren eine gewisse Vermenschlichung (Anthropomorphisierung). Sie werden in Abhängigkeit von der Stimme unterschiedlich hinsichtlich des zugeschriebenen Geschlechts wahrgenommen und gemäß menschlicher Stereotypisierung eingeordnet. So werden männliche Stimmen als kompetenter wahrgenommen als weibliche Stimmen (Kraus et al., 2018), während weibliche Stimmen wiederum als sympathischer eingeschätzt werden (Ernst & Herm-Stapelberg, 2020b). Inwieweit wir Roboter mit implementierter menschenähnlicher Persönlichkeit mögen oder nicht, ist noch weitestgehend unerforscht: Erste Ergebnisse zeigen, dass hier Unterschiede je nach untersuchtem Persönlichkeitsmerkmal bestehen und so eine Verallgemeinerung nicht möglich ist (de Craenen et al., 2018).

Gestaltung von Avataren

In den meisten Anwendungen können Benutzer:innen ihren eigenen Avatar erstellen. Eine initiale Vorlage eines Avatars kann z.B. im Aussehen individuell gestaltet werden (O’Brien & Mumane, 2009). In der virtuellen Anwendung ‚Second Life‘, bei der Nutzer:innen in dreidimensionalen Onlineumgebungen interagieren, werden durchschnittlich 93 Minuten pro Woche ausschließlich für die Anpassung des eigenen Avatars aufgewendet (Ducheneaut et al., 2009). Daran lässt sich erkennen, wie relevant die Gestaltung des eigenen Avatars für die Nutzer:innen ist. Da die Bedeutung der Avatar-vermittelten Kommunikation als Teil der sozialen Interaktion immer weiter zunimmt, stellt sich die Frage, wie Menschen ihren Avatar gestalten und nach welchen Kriterien und Beweggründen bei der Gestaltung vorgegangen wird (Messinger et al., 2019). Bisherige Untersuchungen zeigten, dass Menschen ihren Avatar so gestalten, dass dieser eine Mischung aus ihrem wahren physischen Selbst und einer attraktiveren Version von sich selbst entspricht (Messinger et al., 2019). Insbesondere verbessern Benutzer:innen häufig körperliche Eigenschaften, die sie im wirklichen Leben als unattraktiv empfinden. Des Weiteren sind Benutzer:innen mit Avataren, die attraktiver sind als ihr wahres physisches Selbst, im digitalen Bereich extravertierter und risikobereiter als in der realen Welt (Messinger et al., 2019, Yee et al., 2009). Bei der Gestaltung von Avataren behalten Menschen Kernmerkmale wie Geschlecht und Herkunft bei, während Erscheinungsmerkmale wie Haarfarbe und Kleidung viele Variationen aufweisen (Messinger et al., 2019). Die Gestaltung des Avatars ist auch davon abhängig, in welchem virtuellen Kontext der Avatar als Vertreter:in dient. Eine Studie zeigte, dass Nutzer:innen ihren Avatar zum Zwecke des virtuellen Datings attraktiver gestalteten, während Avatare je nach Gamingkontext eher intellektueller, kreativer oder sportlicher aussehen sollten (Vasalou & Joinson, 2009). Doch nicht nur wir üben mit der Gestaltung unseres Avatars Einfluss auf unsere digitale Verkörperung aus, auch unsere digitalen Körper üben Einfluss auf uns als Benutzer:innen aus. Das Aussehen von Avataren (z.B. eher groß oder klein, eher böses oder prosoziales Aussehen) beeinflusst, wie Benutzer:innen in Videospielen und virtuellen Welten denken und sich verhalten (Vasalou & Joinson, 2009; Merola & Peña, 2010).

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Praktische Relevanz

Die praktische Relevanz für die Entwicklung und das Design von Robotern und Avataren wird schnell deutlich: Für Roboter gilt, dass deren Wahrnehmung sowohl von ihren optischen und persönlichkeitsvermittelten Eigenschaften als auch von dem geplanten Einsatzgebiet abhängig ist. So wirken beispielsweise menschenähnlichere Roboter sympathischer als Industrieroboter, aber auch weniger kompetent (Mandl et al., 2022). Um Benutzer:innen die Möglichkeit zu bieten, den Roboter an ihre Bedürfnisse anzupassen, sollten menschenähnliche Persönlichkeitsmerkmale adaptiv sein und verschiedene Ausprägungen zulassen – auch mit der Option, diese später entweder rückgängig zu machen oder weitere Feinanpassungen vorzunehmen. Die Möglichkeit, individuelle Wünsche umzusetzen, ist auch für die Avatargestaltung wichtig. Neben visuellen Aspekten wie z.B. Aussehen oder Körperkonstitution spielen jedoch auch weitere Faktoren wie z.B. das Verhalten oder die Bewegung des Avatars eine Rolle. Nutzer:innen sollte die Möglichkeit gegeben werden, einen Avatar in einem personalisierten Stil zu bewegen, sodass individuelle Variationen und Anpassungen des Bewegungsstils möglich sind. Außerdem sollten gruppenspezifische Stile (z.B. alters- und geschlechtsspezifische Bewegungsmerkmale) erkennbar gemacht oder sogar verschleiert werden können, sodass Benutzer:innen bei der Gestaltung des Avatars selbst   entscheiden können, ob Alter und Geschlecht anhand der Bewegung erkennbar sind. Eine solche Verschleierung könnte ein wichtiges Feature sein, um Stigmatisierung und Diskriminierung in der virtuellen Welt zu verhindern. Die Verschleierung bestimmter persönlicher Merkmale könnte zum Beispiel in einem Vorstellungsgespräch mit einem virtuellen Avatar als Stellvertreter:in von Vorteil sein.

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Kurz gesagt

Wo Roboter oder Avatare in soziale Interaktion treten, sollten die individuellen Bedürfnisse der Nutzer:innen berücksichtigt werden, um so, unabhängig von dem technischen System, eine reibungslose Anwendung zu gewährleisten – mit allen Vor- und Nachteilen, die sich daraus ergeben. 

Sarah Mandl TU Chemnitz

Sarah

Mandl, M.Sc.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin & Doktorandin, Sonderforschungsbereich 1410 „Hybrid Societies“

Technische Universität Chemnitz

Sabrina Bräuer TU Chemnitz

Sabrina

Bräuer, M.Sc.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin & Doktorandin, Sonderforschungsbereich 1410 „Hybrid Societies“

Technische Universität Chemnitz

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