Deutschland hinkt der digitalen Transformation hinterher und schaut dabei trotzdem auf Kontinente herab, die vormachen, wie Digitalisierung geht. Die Corona-Krise hat eins gezeigt – wie wichtig eine gut vernetzte Welt ist. Was seit Jahren in aller Munde ist, bekam durch diese Zeit nun einen enormen Schub: die Rede ist von der digitalen Transformation.
Durch Social Distancing, Homeoffice und geschlossene Geschäfte sind Dienste wie Office 365, Skype, Slack und Co. von Nebenakteuren der täglichen Kommunikation zu Protagonisten aufgestiegen. Allerdings kämpft Deutschland – mit Handynetzen, die den Gesprächspartner mal gut und mal schlecht wiedergeben, mit Netzverbindungen, bei denen die Videokonferenz in Einzelstandbildern verläuft, oder mit großen Datenmengen, die ewig von Sender zu Empfänger benötigen. „Auch wenn sich Länder oder Kontinente wie die USA, China oder Deutschland gern rühmen, die Vorreiter in Sachen IT oder Digitalisierung zu sein, stimmt das in der Tat nur bedingt“, weiß Torben Belz, Geschäftsführer der PLUTEX GmbH und erläutert: „Tatsache ist: Wenn wir uns beim Thema Digitalisierung nicht von unseren hohen Rössern herunter bewegen und Out-of-the-Box handeln, statt zu visionieren, werden uns andere Nationen abhängen, beziehungsweise haben das schon getan.“ Als Rechenzentrum und Service Provider unterstützt der Bremer Experte für Infrastrukturen Unternehmen dabei, digital souverän zu arbeiten.
Andere Länder – andere Herausforderungen
Eine, die diesem Gedanken zustimmt und sich über die digitale Entwicklung in Deutschland wundert, ist Dr. Imme Gerke. Die Naturwissenschaftlerin hat jahrelang in Afrika als Entwicklungshelferin gearbeitet, dort gelebt und die Entwicklung der Länder mit erstaunlichen Erkenntnissen beobachtet. In ihrer Rolle als Cross-Culture-Individual führt sie Firmen und Regierungen über nationale Grenzen hinweg zur Zusammenarbeit. „Afrika ist kein Kontinent des Redens und der theoretischen Entwicklung. Hier wird seit jeher praktisch gehandelt, das gilt auch für die Entwicklung und den Einsatz von IT-Strukturen und Telekommunikation. Aktiv statt passiv, neugierig statt ängstlich – darin unterscheidet sich Afrika sehr von Deutschland“, erklärt sie. Bis 1989 sah die technologische Situation in Afrika dabei noch ganz anders aus. So konnte der Kontinent nicht am Weltgeschehen teilnehmen, wurde in globalen Entscheidungen übergangen und hatte keine Chance, in der internationalen Preispolitik mitzureden.
„Grund war die Telekommunikationsinfrastruktur, die de facto nicht existent war“, bemerkt Dr. Gerke. Die in der Kolonialzeit aufgebauten Infrastrukturen wurden nach Ende 1960 nicht weiter ausgebaut oder aufrechterhalten. Es fehlte das Material, um die existierenden Strukturen aktuell zu halten, Reparaturen durchzuführen oder die Infrastruktur gar weiter auszubauen. Hinzu kam eine flächendeckende Demontage, wenn Leitungen kaputt waren, um diese anderweitig einzusetzen. „Hier zeigt sich schon der Pioniergeist: Die Bevölkerung wusste die Rohstoffe der desolaten Infrastruktur sinnvoll für andere Dinge zu nutzen. In Afrika war die Digitalisierung keine Herausforderung, sondern die Lösung der bisherigen Probleme.“
Eigene Wege finden
Statt bei alten Techniken zu bleiben, entwickelte man in Afrika sehr individuelle Lösungen, die sich an der Bevölkerung, der Geographie und den Notwendigkeiten orientieren. „So gibt es in Afrika flächendeckend Sendemasten. In den entlegensten Regionen dieses Kontinents haben Nutzer besseren Empfang als in manchen Ecken von Berlin oder anderen deutschen Großstädten“, erklärt Dr. Gerke. Es wird also alles über das Smartphone erledigt. Teile des Kontinents nutzen bereits seit fünf Jahren Mobile Payment, was hierzulande erst seit knapp zwei Jahren bekannter und längst nicht von allen Menschen gut angenommen wird. Da die medizinische Versorgung auf dem Kontinent ebenfalls eine Herausforderung darstellt, wird auch in diesem Bereich auf Digitalisierung gesetzt. „Hier zeigt sich auch, wie unterschiedlich die Stellung eines Smartphones in Deutschland und Afrika ist.
In Deutschland wird viel Geld für Smartphones ausgegeben, allerdings kaufen die Deutschen teure Geräte eher aufgrund des Prestigewunsches. In Afrika hingegen ist die Investition in ein High-Performance-Smartphone eine Investition ins Leben, eine Notwendigkeit, um den Beruf auszuüben, Geld zu verdienen und somit eine gesicherte Zukunft zu haben.“ Nicht jedes Dorf hat ein Krankenhaus oder gar einen Arzt. Sogenannte Clinical Officer übernehmen die Untersuchung vor Ort und arbeiten mit Fotos und Videos und sogar Ultraschall, um diese Aufnahmen digital an einen Arzt zur Diagnose zu schicken. Medikamente und andere Güter liefern Drohnen, die sich selbst via GPS in die Dörfer orientieren.
Technischer ist gleich individueller
„Noch immer stemmen sich Menschen in Deutschland gegen die Digitalisierung“, weiß Torben Belz und ergänzt: „Das betrifft nicht nur Menschen im privaten Bereich, auch Unternehmen sind in der Vergangenheit zögerlich gewesen, digitale Strukturen auszubauen. Zum Teil aus Angst vor Kosten und davor, von der Generation Z im Verständnis der Technologien abgehängt zu werden, zum Teil aber auch aus Misstrauen gegenüber der Digitalisierung und der Befürchtung, dass der gesteigerte Einsatz von digitalen Prozessen Individualität zerstören und aus der Menschheit seelenlose Technik-Zombies machen könnte.“
Dabei übersehen diese Kritiker, welche Möglichkeiten die Digitalisierung zur größtmöglichen Individualisierung darstellt. Dr. Gerke verdeutlicht: „Das Lernsystem in Afrika sattelt um auf die Arbeit mit dem PC oder Tablet. Je nach Lerntyp stehen dabei unterschiedliche Programme und Stufen zur Verfügung. So kann jeder Schüler in einer Klasse sehr individuell lernen, unter Aufsicht und Anleitung eines Lehrers. Denn das Problem ist doch, dass es nicht nur unterschiedliche Lern- sondern auch Lehrtypen gibt. Passen diese beiden Typen jedoch nicht zusammen, ist es unmöglich den entsprechenden Schülern optimale Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen zu bieten. Hier bleibt schon seit Jahrzehnten viel Potenzial auf der Strecke, das sich später im Fachkräftemangel widerspiegelt – und das vor allem in Deutschland.“
Weg von der Entwicklung hin zu Umsetzung
Diese Gefahr sieht auch Torben Belz: „Es wurde lange genug gedacht, entwickelt und visioniert. Jetzt gilt es die digitalen Möglichkeiten auch wirklich zu realisieren und einzusetzen. Gerade der Ausnahmezustand in der Corona-Krise zeigt, wie sehr wir noch der wirklichen Digitalisierung hinterherhinken und wie analog viele Dinge noch erfolgen. Ganz soll das natürlich auch nicht aufhören, denn auch jetzt ist vielen wieder bewusst: nichts ersetzt reale Zusammentreffen und Begegnungen. Doch zeigen vermeintlich ‚schwächere‘ Länder oder Kontinente wie Afrika, dass die Diversität an Einsatzmöglichkeiten schier unbegrenzt ist.“
Hier sind die USA und China Deutschland übrigens in einem weit voraus. Sie haben das Potenzial des afrikanischen Kontinents als Wirtschaftspartner und Digitalisierungsexperte erkannt und begegnen ihm auf Augenhöhe. China sieht Afrika als Partner, den sie brauchen, um ihre Zukunft zu sichern. Deutschland dagegen sieht Afrika nach wie vor eher als unsicher und hilfsbedürftig an. Während die USA und China mit Afrika schon rege Geschäftsbeziehungen pflegen, suchen deutsche Firmen, ganz nach dem deutschen Credo der Sicherheit und Beständigkeit, nach Partnern in Deutschland. Dadurch gehen der deutschen Wirtschaft jede Menge Geschäftsmöglichkeiten verloren, die von anderen natürlich gern übernommen werden.
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