Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme sind längst keine Fiktion mehr, sondern stellen vielmehr die Zukunftsperspektive der Automobilindustrie dar.
Dabei ist es insbesondere für fahr- und sicherheitsrelevante Komponenten wie Motorsteuergeräte, Spurhalteassistenten und Anzeigesysteme essentiell, große Datenmengen sowohl schnell als auch absolut zuverlässig zu übertragen. Denn Anzeige- oder Kommunikationsausfälle – etwa bei Navigationssystemen, Einparkhilfen oder auch Kontrollleuchten – können zu gefährlichen Situationen für den Fahrer bis hin zu Unfällen mit mehreren Beteiligten führen. Bereits heute nutzen Automobilhersteller deshalb Highspeed-Datenübermittlung via Automotive Ethernet, um einzelne Steuergeräte untereinander sowie mit dem Systemverbund als Ganzem zu vernetzen. Im Zuge der zunehmenden Hochintegration rückt auch der zukünftige Einsatz von Automotive Ethernet als Hauptbussystem in greifbare Nähe. Um dieser wachsenden Komplexität aus sicherheitstechnischem Blickwinkel gerecht zu bleiben, reichen jedoch die bisherigen Testmethoden nicht mehr aus, da sie sich lediglich auf einzelne Systemkomponenten konzentrieren und eine systemische Überprüfung außer Acht lassen. Um dieser Schwachstelle entgegenzuwirken, müssen die Testing-Strategien für Automotive Ethernet zukünftig in der Lage sein, die immer komplexer werdenden Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Protokollen und Steuergeräten zu erfassen.
Insbesondere mit Blick auf autonomes Fahren und die zukünftigen Netzwerkarchitekturen im Fahrzeug zählt das seit vielen Jahren im Consumer-Bereich etablierte Ethernet zu den zukunftssicheren und vielversprechenden Technologien. Die Vorteile dieser Art der Vernetzung liegen in der Übertragung hoher (10GBase-T1, Standardisiert seit 2020), aber auch geringer Datenraten (10Base-T1S, Standardisiert seit 2019), in der skalierbaren Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit sowie in der Möglichkeit, über WLAN und 5G mit der Umwelt zu interagieren, wie es bei der sogenannten C2X-Communication („Car to X“) der Fall ist. All diese Aspekte betreffen sowohl sicherheitsrelevante als auch komfortorientierte Bereiche des Fahrens. Seit der Gründung der OPEN Alliance im Jahr 2011 nimmt die Integration von Automotive Ethernet zunächst in Teilsystemen von Kamera-/Sensorsystemen, aber auch im Infotainment-Bereich verstärkt zu (anfangs BroadR-Reach, ab 2014 100Base-T1, erste Transceiver ICs von Broadcom).
Damit die zunehmende Anzahl der Steuergeräte für assistiertes und autonomes Fahren im Zuge dieser Entwicklung in einem überschaubaren Rahmen bleibt, ist ebenfalls ein steigender Integrationsgrad der Systeme im Fahrzeug notwendig, sodass weniger ECUs (Electronic Control Units) insgesamt mehr Funktionen erfüllen. Ziel dieser reduzierten Hardwarekomplexität ist es, Kosten und Gewicht einzusparen, was in der Folge jedoch zu einem proportionalen Anstieg der Softwarekomplexität im System führt. Im gleichen Zuge nimmt auch die Anzahl der Automotive Ethernet Protokolle zu (s. Abb. 1), um den stetig steigenden Softwareanforderungen gerecht zu werden. „Damit die zuverlässige Funktion der über Automotive Ethernet vernetzten Systeme – vor allem der hochautomatisierten Fahrsysteme – weiterhin gewährleistet werden kann, ist es deshalb unerlässlich, auch die Testmethodik an die wachsenden Komplexitäten zu adaptieren“, so Harald Faltheiner, Entwicklungsingenieur Hardware und Systemengineering bei der ARRK Engineering GmbH. „Denn mit der wachsenden Vernetzung erhöhen sich auch die Wechselwirkungen zwischen Hardware- und Softwareschichten, denen bisher schlichtweg zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.“
Abbildungen 1a und 1b:
Wachsende Anzahl von Automotive Ethernet Protokollen vs. veröffentlichte Testspezifikationen (Quelle: ARRK Engineering)
Der Schritt vom Consumer zum Automotive Ethernet
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre setzte sich Automotive Ethernet als Kommunikationssystem in Fahrzeugkomponenten immer mehr durch. In der entsprechenden Testentwicklung wird bislang das bereits seit Mitte der 1980er Jahre für Netzwerkprotokolle standardisierte ISO/OSI-Referenzmodell als Basis herangezogen, das die einzelnen Verarbeitungsschritte in der Signalkette sieben logischen, nach oben hin abstrakter werdenden Schichten (Physical, Data Link, Network, Transport, Session, Presentation und Application) zuordnet, um sie voneinander isoliert ins Auge zu fassen. Das seit der Entwicklung der Internetprotokollfamilie maßgebende TCP/IP-Referenzmodell unterteilt das System mit Network, Internet, Transport und Application dagegen in lediglich vier aufeinander aufbauende Schichten, die ebenso jeweils abschnittsweise gedacht werden. „Diese Scheuklappen-Betrachtung der einzelnen Layer wird der zunehmenden Protokolldichte aber nicht mehr gerecht“, erläutert Faltheiner. „Es werden zwangsläufig Wechselwirkungen übersehen, vor allem zwischen der untersten physikalischen Ebene und den höheren, anwendungsorientierten Softwareschichten.“
Diese Diskrepanz ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich die seit den 1970er Jahren entwickelten Ethernet-Systeme in den Consumer- und Business-Segmenten in erster Linie im Bereich des Physical-Layers von Automotive Ethernet unterscheiden. Denn während für den Einsatz in der Automobilbranche viele bereits etablierte Standardprotokolle, wie beispielsweise TCP/IP, UDP und die IPvx Protokolle, einfach übernommen oder entsprechend angepasst werden konnten, stellt die Automobilindustrie hardwareseitig deutlich höhere Anforderungen an die Vernetzungstechnologie, die Standard Ethernet mit seinen geschirmten Twisted-Pair-Kabeln nicht erfüllen kann. Automotive Ethernet muss einem hohen Temperaturbereich – typischerweise bis zu AEC-Q Grade 1 (-40 °C bis +125 °C) – sowie extremen mechanischen Belastungen widerstehen, strenge EMV-Grenzwerte einhalten, einen möglichst geringen Stromverbrauch im Standby-Modus aufweisen und zudem kosten- sowie gewichtseffizient sein. Diese und weitere Voraussetzungen konnten in den vergangenen zehn Jahren durch eine Vielzahl von Maßnahmen mit Anpassungen der Hardware und Software erreicht werden.