KI in der Personalarbeit: ArbeitnehmervertreterInnen sind skeptisch

Eine Umfrage von Bundesverband für Personalmanager BPM und Ethikbeirat HR-Tech unter ArbeitnehmervertreterInnen zeigt: Immer mehr Unternehmen implementieren KI-Anwendungen, pilotieren diese oder planen deren Einsatz. Dabei sind es vor allem Recruiting-nahe Anwendungsfälle, wie die Optimierung von Stellenanzeigen, die Analyse von Lebensläufen oder die Integration von Chatbots, bei denen die Nutzung entsprechender Anwendungen erfolgt und als sinnvoll erachtet wird.

Im direkten Vergleich zu HR-Verantwortlichen stehen ArbeitnehmervertreterInnen einer potenziellen Verbesserung von Personalarbeit durch den Einsatz moderner Technologien tendenziell kritischer gegenüber. Als am wenigsten sinnvoll bewerten beide Gruppen die automatisierte Erstellung von Rankings, bspw. im Talentmanagement.

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Die jetzt vorliegende Analyse basiert auf einer Befragung von mehr als 700 ArbeitnehmervertreterInnen. Bereits Ende 2021 hatten BPM und Ethikbeirat HR-Tech eine vergleichbare Studie unter Personalverantwortlichen durchgeführt. Die Ergebnisse beider Online-Befragungen wurden nun zusammengeführt, wissenschaftlich betreut durch Martin Kersting, Professor für psychologische Diagnostik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Ethikbeirat HR-Tech.

„Der Einsatz moderner Technologien in HR betrifft weit mehr als nur Personalverantwortliche. Daher war es unser Ziel, neben einer Befragung der HR-Seite auch ArbeitnehmervertreterInnen zu den Herausforderungen eines Einsatzes von KI einzubinden. Die Spiegelung beider Perspektiven liefert wichtige Impulse für die Verankerung von handlungsleitenden ethischen Richtlinien beim Einsatz moderner Technologien im HR-Management“, erklärt Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager (BPM).

Gespiegelte Perspektiven von Mitbestimmung und HR

Die Frage, ob vor der Einführung moderner Technologien eine ausreichende Aufklärung zur Funktionsweise dieser Anwendungen erfolgte, wird von ArbeitnehmervertreterInnen häufiger verneint als von PersonalerInnen. Die Einbindung des Betriebsrats wird in beiden Umfragen eher als unzureichend eingestuft, wobei auch hier die Arbeitnehmervertreterseite größere Lücken sieht.

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Aus Sicht der Studie weisen diese Ergebnisse auf Unsicherheiten im Umgang mit neuen Technologien hin. Umso größer ist der Wunsch nach mehr Sicherheit und Verbindlichkeit bei deren Einführung. So wünscht eine Mehrheit von HR-Professionals und ArbeitnehmervertreterInnen verbindliche Richtlinien für den Einsatz entsprechender Technologien. Die Vorgaben müssen dabei nicht zwingend gesetzlicher Natur sein, wobei ArbeitnehmervertreterInnen gesetzliche Vorgaben deutlich häufiger begrüßen als PersonalerInnen. Alternativ werden Hilfestellungen von Fachgremien auf gesellschaftlicher bzw. wirtschaftlicher Ebene akzeptiert, sind aber noch zu wenig präsent.

Die bekanntesten Richtlinien unter ArbeitnehmervertreterInnen sind die ethischen Leitlinien für die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) von ver.di. Bei den PersonalerInnen ist es das Weißbuch der Europäischen Kommission zu KI, bei beiden gefolgt von der KI-Strategie der Bundesregierung. Viele der abgefragten Richtlinien oder Regelwerke sind über der Hälfte der ArbeitnehmervertreterInnen indes unbekannt.

Im Rahmen der Umfrage wurde insbesondere nach den Richtlinien des Ethikbeirats HR-Tech gefragt, (siehe . Diese finden auch bei ArbeitnehmervertreterInnen eine sehr hohe Zustimmung. Sie stellen demnach eine gute Grundlage für die Entwicklung handlungsleitender unternehmenseigener Richtlinien dar, die über die Hälfte der StudienteilnehmerInnen als erforderlich erachten. Im Vergleich zu den HR-Professionals empfinden relativ gesehen mehr ArbeitnehmervertreterInnen die Richtlinien als (zu) mild.

„Die aktuelle Studie unterstreicht mehr denn je die Notwendigkeit pragmatischer, handlungsleitender ethischer Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI und moderner Technologie in HR. Personal- wie Mitbestimmungsgremien müssen daher über das Rüstzeug verfügen, mit den modernen Technologien im Berufsalltag geschäftsorientiert sicher und weitsichtig umzugehen“, betont Prof. Dr. Martin Kersting, Professor für psychologische Diagnostik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Ethikbeirats HR-Tech.

Anwendungsfelder von KI und moderner Technologie

Im Rahmen der aktuellen Studie wurden die TeilnehmerInnen zu acht Anwendungsfeldern von KI und modernen Technologien im HR-Management befragt. Konkret ging es um: Analyse von Lebensläufen, Optimierung von Stellenanzeigen, Chatbots als Ansprechpartner, Matching von Profilen, Erstellung eines Rankings, Vorschläge für Entwicklungsmaßnahmen, Analyse von Audio- und Video-Aufnahmen sowie Vorhersage der Kündigungsabsicht.

Am weitesten verbreitet zeigt sich dabei die Nutzung von KI für die Optimierung von Stellenanzeigen sowie die Nutzung von Chatbots. Diese landete bei HR-Verantwortlichen auf Platz zwei bei der Frage nach der Verbreitung, hinter der Analyse von Lebensläufen mit 11 % flächendeckendem Einsatz.

Auf Seite der PersonalerInnen zeigte sich, dass diejenigen, die KI und moderne Technologien bereits nutzen oder einführen wollen, deren Einsatz mit deutlicher Mehrheit als zielführend im Sinne einer qualitativen Verbesserung der Personalarbeit einschätzen. ArbeitnehmervertreterInnen sehen das deutlich kritischer. Insbesondere die automatisierte Optimierung von Stellenanzeigen wird jedoch von beiden Gruppen als sinnvoll erachtet.

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Mitbestimmung & HR: Es braucht Kenntnis und den Schulterschluss

Die Arbeit mit KI und modernen Technologien setzt eine sorgfältige Prüfung der im Rahmen der Anwendungen genutzten Datenbestände voraus, um Diskriminierung und sonstige Fehlentwicklungen auf Basis historischer Angaben zu vermeiden. In dieser Hinsicht identifiziert die aktuelle Befragung unter ArbeitnehmervertreterInnen – stärker noch als bei HR-Professionals – einen beunruhigenden Befund: Bei allen Anwendungen wird in fast der Hälfte der Fälle auf Tests der Anwendungen verzichtet. Aus Sicht des Ethikbeirats HR-Tech sind derartige Tests aber ein unabdingbarer Arbeitsschritt in der Einführung von modernen Technologien.

Dr. Elke Eller, Co-Chair des Ethikbeirats HR-Tech, mahnt mit Blick auf beiden Seiten: „Es gilt, keine Kraft zu verschwenden, um Technologie-Einsatz aufzuhalten oder gar umzukehren. HR wie auch Mitbestimmung müssen mutig in entsprechendes Wissen investieren und sich aktiv mit KI und modernen Technologien auseinandersetzen. Nur so können sie MitarbeiterInnen wirksame Hilfe und Orientierung sowie effektiver Schutz im Unternehmensalltag sein.“ Sie sieht die Notwendigkeit eines engen Schulterschlusses von HR und Mitbestimmung: „PersonalerInnen verantworten Entscheidungen und -Prozesse im HR-Bereich – egal ob sie offline, digital oder mit Hilfe KI-basierter Technologien ablaufen. Die Einbeziehung der Mitbestimmungsseite birgt sicherlich Herausforderungen, ist aber alternativlos und wird letztlich zum Erfolg führen“, so Dr. Eller.

Gutes Zeugnis für Richtlinien des Ethikbeirat HR-Tech

Erfreulich ist die mit der Studie untermauerte Relevanz der durch den Ethikbeirat HR-Tech im Jahr 2020 veröffentlichten Richtlinien für den verantwortungsbewussten Einsatz von KI und modernen Technologien. „Die StudienteilnehmerInnen aus HR und Mitbestimmung votieren gleichermaßen klar dafür, dass es derartige Leitplanken für die Nutzung von digitalen Technologien im Unternehmenskontext braucht. Andererseits stellen sie den durch den Ethikbeirat HR-Tech erarbeiteten Vorgaben ein erstklassiges Zeugnis aus – das gilt sowohl für die Inhalte, die konkrete Schärfe in der Formulierung wie auch deren Praktikabilität“, erklärt Michael H. Kramarsch, Co-Chair des Beirats.

Insgesamt erzielen in beiden Studien alle zehn Richtlinien des Ethikbeirats HR-Tech eine hohe Zustimmung. Als besonders relevant bewertet wird die Forderung, dass vorab zu definieren ist, welche personenbezogenen Daten für welche Zwecke für automatisierte Lösungen genutzt werden, um so sicherzustellen, dass Daten nur zweckdienlich erhoben, gespeichert und genutzt werden. Ebenso richtig und wichtig ist nach Ansicht der Befragten die Aussage des Ethikbeirats in Richtlinie 3: Wer KI-Lösungen einsetzt, muss sicherstellen, dass bei wichtigen Personalentscheidungen die Letztentscheidungsbefugnis einer natürlichen Person obliegt.

Gefragt wurde nicht nur, wie wichtig die Richtlinien sind, sondern auch, ob sich diese im Spannungsfeld zwischen Verbindlichkeit und Freiheit gut positionieren, ob die Richtlinien (viel) zu mild, genau richtig oder (viel) zu streng sind. In allen Fällen wurde die „Strenge“ der Richtlinien des Ethikbeirats von mindestes 63 % der ArbeitnehmervertreterInnen als „genau richtig“ reingestuft. Bei den PersonalerInnen lag die Zustimmungsquote noch etwas höher. Auffällig ist, dass besonders viele ArbeitnehmervertreterInnen die Richtlinien, sofern nicht als „genau passend“ bewertet, teilweise als (viel zu) mild eingestuft haben; bei den PersonalerInnen gab es hingegen zwei Richtlinien, die von denjenigen, die sie nicht als „genau passend“ angesehen haben, überwiegend als „(viel) zu streng“ bewertet wurden.

„Die Digitalisierung ist in den Unternehmen und hier insbesondere in HR angekommen. Doch die Zeit, die damit verbundenen praktischen und ethischen Herausforderungen breiter zu diskutieren und die Nutzung der Technologien verantwortungsvoll zu gestalten, wird immer knapper. Wenn wir uns in der digital geprägten neuen Welt kompetent bewegen wollen, wenn wir aktiv daran teilhaben wollen, bedarf es im HR Bereich jetzt einer Zeit der digitalen Aufklärung und Emanzipation“, resümiert der wissenschaftliche Studienleiter Prof. Dr. Martin Kersting von der Universität Gießen. Es gelte, HR und Mitbestimmung zu befähigen, moderne Technologien im Spektrum von Chancen und Risiken sowie Nutzen und Kosten zu identifizieren und die richtigen Entscheidungen im Sinne einer nachhaltig verantwortungsvollen und qualitativ hochwertigeren Unternehmenspraxis zu fällen. „Die Richtlinien des Ethikbeirat HR-Tech können dabei als wirksame Grundlage dienen“, so der wissenschaftliche Studienleiter.

Hintergrundinformationen zur Studie

Die aktuelle Studie von BPM und Ethikbeirat HR-Tech trägt den Titel „Zwischen Angst und Aufbruch – Moderne Technologien und KI in der Personalarbeit“ und stützt sich auf einen umfassenden Online-Fragebogen, den mehr als 700 ArbeitnehmervertreterInnen im November/Dezember 2021 beantwortet haben. Die Analyse wird wissenschaftlich betreut durch Martin Kersting, Professor für psychologische Diagnostik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Ethikbeirat HR-Tech.

www.hkp.com/

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