Kann sich die deutsche Industrie selbst digitalisieren?

Kann sich der deutsche Machinenbau auch ohne Google & Co. digitalisieren? Ein Interview mit Daniel Szabo, CEO von Körber Digital.

Wie abhängig ist die deutsche Industrie von großen Techkonzernen wie Google und Amazon?

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Daniel Szabo: Fast alle digitalen Produkte, die heute neu auf den Markt gebracht werden, nutzen Angebote von großen Tech-Konzernen wie Google, Amazon und Microsoft. Es ist fast unmöglich bei einer cloudbasierten Lösung ohne Komponenten oder Angebote der Hyperscaler auszukommen. Das bedeutet, dass auch deutsche Industrieunternehmen nicht in der Lage wären, digitale Lösungen im großen Stil zu kommerzialisieren, wenn Sie nicht bereit sind, mit diesen Technologiekonzernen zusammen zu arbeiten.

Es ist also für Unternehmen nicht möglich, sich selbst zu digitalisieren?

Daniel Szabo: Möglich ist das schon. Grundsätzlich sogar für alle Unternehmen. Wichtig ist, dass digitale Kompetenzen dabei nicht nur im Top Management und im Aufsichtsgremium, sondern auch auf der Arbeitsebene fest verankert werden. Mit digitaler Kompetenz meine ich ein tiefes Verständnis und nachgewiesene Umsetzungskompetenz im Bereich digitaler Geschäftsmodelle. Es kann nicht darum gehen, in etablierte Prozesse einfach neue Technologien zu integrieren, sondern darum, Probleme zu analysieren und passende Geschäftsmodelle dazu zu entwickeln.

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Der Einbau von ein paar neuen Sensoren wertet schließlich nicht gleich den ganzen Maschinenpark auf. Wenn ich jedoch Probleme innerhalb des eigenen Unternehmensorte und daraufhin analysiere, wie die Verwendung von neuen Technologien dieses Problem beheben kann, schafft das einen Mehrwert. Denn dieses Know-how kann ich in ein digitales Geschäftsmodell weiterentwickeln. Und dieses Geschäftsmodell kann ich dann auch jenseits der eigenen Anlagen ausrollen. Es ist also nicht so, dass nur die Hyperscaler die industrielle Digitalisierung vorantreiben können, an sich könnte das jeder Maschinen- und Anlagenbauer.

Wenn es so einfach ist, wieso ist die deutsche Industrie, dann nicht schon weiter?

Daniel Szabo: Die industrielle Digitalisierung ist ein kritischer Prozess, da er ein Umdenken sowohl in der Arbeitsweise, der Entscheidungsfindung als auch in der Unternehmenskultur bedarf. Letztlich wird es digitalen Talenten noch zu selten ermöglicht, erfolgreich und nachhaltig einen kommerziellen Mehrwert innerhalb des eigenen Unternehmens zu schaffen. Diese Talente braucht es aber letztlich, um eine digitale Transformation in Bewegung zu setzen. Externe Hilfe von einem der zahlreichen Beratungshäuser kann dabei in der Anfangsphase punktuell sehr hilfreich sein. Wenn man mit diesen externen Kräften von Beginn an die richtige Struktur, die richtigen Talente definiert, lässt sich ein Momentum generieren. Meint man es jedoch ernst mit der digitalen Transformation, muss man die digitalen Kompetenzen intern aufbauen. Dafür braucht man Mitarbeiter mit der Fähigkeit, technologische Lösungen zu bewerten, zu strukturieren und umzusetzen.

Deutschland ist noch immer führend, wenn es um Maschinen- und Anlagenbau geht. Sobald die Digitalisierung ins Spiel kommt, wird es aber schwierig. Woran liegt das, jenseits des von ihnen angesprochenen Problems der fehlenden Talente?

Daniel Szabo: Im Anlagenbau hat man traditionell das Ziel verfolgt, Anlagen schneller, schöner und besser zu machen. Hier wurden meist die Ansätze verfolgt „Technology first“ und „perfect is better than done“. Das hat uns in der Vergangenheit sehr erfolgreich gemacht, aber der Wettbewerbsvorteil bricht jetzt weg, da in vielen Fällen auch Anlagenbauer aus Asien Anlagen bauen können, die vielleicht nicht gleichwertig, aber gut genug für die Ansprüche vieler Kunden sind, und das zu einem günstigeren Preis. Zugleich kann man beobachten, dass zwar die theoretische maximale Leistung der Maschinen kontinuierlich zunimmt, die operativ realisierte jedoch kaum steigt. Und das, obwohl viel Aufwand in Engineering gesteckt wurde.

Statt immer bessere Maschinen zu entwickeln, gilt es zu fragen, wie kann ich Anlagen als Ganzes optimieren. Die dafür notwendige Digitalisierung verlangt ein neues, agileres Mindset. Statt den Fokus auf sich selbst zu legen, auf Technologie und raffinierter Ingenieursleistung, gilt es für Maschinen- und Anlagenbauer stärker die Probleme der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Ob diese Probleme dann letztlich mit Hilfe von digitalen Produkten oder mit Ingenieurskunst gelöst werden, ist nicht so relevant wie die Identifizierung und Lösung von Problemen selbst. Digitalisierung fordert am Ende eben kein „Technology first“, sondern ein „Customer first“. Solange wir das nicht erkennen, bleiben wir auf halber Strecke stecken.

Ist die fehlende Digitalisierung der Industrie ein Problem des Mittelstands?

Daniel Szabo: Es ist ein generelles Problem und damit auch eines des Mittelstands, aber eben auch eins der gesamten deutschen und auch europäischen Industrie. Es gibt sehr wenig erfolgreiche Angebote, die die Industrie digitalisieren und das betrifft alle Marktteilnehmer. Die Debatte darf nicht nur im Mittelstand geführt werden. Nichtsdestoweniger ist es wichtig, dass der Mittelstand anfängt, sich wirklich auf allen Ebenen zur digitalen Transformation zu verpflichten. Jetzt wirklichen Wert generierende Lösungen für die Industrie zu entwickeln, wird zukünftig ein Wettbewerbsvorteil sein.

Dafür bedarf es jedoch deutlich weitreichenderer Änderungen, als nur ein paar Software-Entwickler einzustellen. Der Vorteil des Mittelstands ist, aufgrund seiner Eigentümerstruktur schnell entscheiden zu können. Dadurch kann er deutlich agiler und flexibler sein als große Konzerne. Dies gilt es zu nutzen, um die eigene Markposition für die nächsten Jahrzehnte zu festigen.

Laut einer VDMA-Studie aus diesem Jahr kommen 42 Prozent der KI-Startups für den Maschinenbaus aus Europa. Erst auf Platz Zwei und Drei kommen Nordamerika und Asien. Sind wir beim Thema KI gar nicht so schlecht aufgestellt, wie man immer meint?

Daniel Szabo: Wir haben die besten Talente, die meisten Datenexperten mit Domain-Know-how und zahlreiche etablierte Player. Aber wenn wir nicht in der Lage sind diese Vorteile bald in erfolgreiche Anwendungen zu übersetzen, werden wir für sehr lange Zeit darunter leiden. Wir können sogar noch mehr KI-Startups gründen, woran es scheitert, ist der Transfer. Wie sollen diese Gründungen wirtschaftlichen Mehrwert stiften, wenn sie keine Förderung erfahren. Obwohl Deutschland mehr KI-Startups gegründet hat als China und die USA zusammen, haben diese nicht mal ein Zehntel der finanziellen Unterstützung erfahren. Am Ende geht es eben nicht um Quantität, sondern um Qualität und dabei spielen Fundings eine enorme Rolle, um digitale Lösungen eben auch marktrelevant hochzuskalieren.

Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Maschinenbaus, spielen Standortvorteile in einer vernetzten Welt überhaupt noch eine Rolle?

Daniel Szabo: Der Standortvorteil spielt eine Rolle, aber eher in Hinsicht auf Zugang zu Talenten und Zugang zu Märkten. Europas Vorteil ist, wir haben nicht eines, sondern mehrere digitale Zentren – Berlin, Paris, London, sind da nur die Spitze des Eisbergs. Zugleich gibt es zahlreiche Marktführer mit Domainwissen, Kundenzugang und Verständnis für die Probleme ihrer Kunden. Anders als im Consumer-Bereich, den die Hyperscaler schnell für sich eingenommen haben, sind die Probleme im Industriekosmos sehr individuell und erfordern spezialisierte Lösungen. Daher ist das Rennen, um die Digitalisierung der Industrie auch noch nicht ausgemacht. Entscheidend hierbei werden die Fragen sein: Wer kann schneller die Probleme der Kunden lösen und wer hat den besten Zugang zu Talenten und digitalen Kompetenzen?

Daniel

Szabo

CEO

Körber Digital

Szabo war mehrere Jahre für die digitale Transformation beim Chemie- und Pharmakonzern Merck verantwortlich und hat bereits 2016 den 3D-Druck mit dem Startup You Mawo salonfähig gemacht hat. Mittlerweile verantwortet er den Digitalarm des Konzerns Körber. Szabo kümmert sich darum, mit Hilfe von DeepTech, KI und Datenanalytik die veralteten
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