Es fühlt sich fast wieder so an wie früher: Mit teils neuer Belegschaft und frischen Ideen starten Betriebe der Gastronomie und Hotellerie in die wohl aufregendste Saison, die es je gegeben hat. Doch vieles ist anders, einiges digitaler.
Das Wesen der Arbeit und die Ansprüche der Arbeitnehmer:innen haben sich während der Pandemie nicht nur in den Büros tiefgreifend verändert. Auch die Deskless Worker erleben einen Umschwung ihrer Arbeitsweise. New-Work-Maßnahmen und Digitalisierungsprozesse liegen dabei in aller Munde und künstliche Intelligenz und technische Tools werden vielerorts als Helfer eingesetzt. Auch wenn der Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes mit digitaler Zeiterfassungspflicht von Arbeitsminister Hubertus Heil nicht durchgegangen ist, prüft die Ampelkoalition die Sachlage derzeit weiterhin. Noch bedeutet das, es gilt keine allgemeingültige Digitalisierungspflicht. Doch schwebt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung noch immer über den Köpfen der EU-Mitgliedsstaaten und eins bleibt gewiss: Der Neustart wird kommen. Lediglich wie er aussehen wird, ist dabei noch unklar. Doch Gastronomie und Hotellerie-Betriebe sollten daher am besten jetzt schon einen Schritt vorsetzen.
So kam die Zeiterfassungspflicht auf die Agenda
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ließ Gastronomie- und Hotellerie-Betriebe in den EU-Mitgliedsstaaten am 19. Mai 2019 aufhorchen. Denn laut Urteil müssen Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber ihres Landes „verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Doch setzte der EuGH den Mitgliedsstaaten keine Frist und so steht seine Umsetzung auch in Deutschland noch heute nicht fest. Arbeitsminister Hubertus Heil versuchte es Anfang des Jahres immerhin mit einem Gesetzesentwurf, der die digitale Zeiterfassungspflicht in allen Branchen festlegen sollte. Zwar wurde der Entwurf durch ein Veto gekippt, doch prüft die Ampelkoalition laut „Personalwirtschaft“ derzeit, wie ein EuGH-Urteil-konformes Arbeitszeitgesetz aussehen könnte. Währenddessen können sich deutsche Unternehmen überlegen, wie sie die Anforderungen in ihren Betrieben erfüllen könnten und welche Systeme ihnen zur Verfügung stünden.
Ein Gesetz für den Arbeitnehmerschutz
Die Arbeitszeiterfassung ist nicht erst seit Verkündung des EuGH-Urteils ein wichtiger Bestandteil der Gastronomie und Hotellerie, in der Mitarbeiter:innen häufig nach Stunden bezahlt werden.
Ein wichtiger Punkt der Gesetzesänderung ist jedoch, dass zuständige Behörden die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte dank solcher Lösungen leichter kontrollieren können und Arbeitnehmerrechte so besser geschützt werden. Eine Zeiterfassungspflicht könnte also für das Gastgewerbe bedeuten, dass weniger Konfliktpotenzial besteht und Mitarbeitende durch ihre Selbstkontrolle motivierter und selbstbestimmter werden. Wenn sowohl Überstunden als auch Fehlzeiten oder Pausen nachvollziehbarer sind, kann mit noch mehr Fairness und auf Augenhöhe kommuniziert werden.
Bedenken und Praktikabilität
Die Zweifel und Einwände, die den Entwurf für das reformierte Arbeitszeitgesetz letztendlich gekippt haben, stammten aus Branchen, deren Arbeitsorte häufig wechseln und deren Mitarbeitende nicht alle über Smartphones verfügen. Ortsgebundene Arbeitsplätze wie Hotelbetriebe, Restaurants, Cafés oder Cateringservices können jedoch leicht auf digitale Zeiterfassungstools zurückgreifen. Die Betriebe verfügen meist über WLAN, und sollten nicht alle Mitarbeitende ein Smartphone besitzen, kann der Betrieb mit Tablets an den jeweiligen Standorten aushelfen. Durch Förderprogramme wie „Digital Jetzt“ des BMWK müssen Arbeitgeber:innen dafür auch nicht tief in die Tasche greifen.
Gastronomie und Hotellerie könnten also schnell zu Vorreitern der digitalen Zeiterfassung werden und bei einer möglichen gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht vorbereitet und längst eingearbeitet sein.
Fazit: Nur noch eine Frage der Zeit
Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung hinterher, das ist kein Geheimnis. Zweifel an einer digitalen Zeiterfassung, weil sie „in der Praxis nicht umzusetzen ist“, überraschen daher wenig. Zu einem rundum gelungenen, zeitgemäßen Neustart in eine glorreiche Saison gehören gewisse digitale Tools mittlerweile jedoch dazu. Mitarbeitende erwarten mehr Flexibilität und Fairness von ihren Arbeitgeber:innen und wollen für ihre Überstunden bezahlt werden. Die Zeiten der ausbeuterischen Arbeitgebenden liegen längst in der Vergangenheit. Was heute zählt, ist das Miteinander.
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