Die Digitalisierung hat in Deutschland inzwischen an Fahrt aufgenommen. Unternehmen stehen nun jedoch vor der Frage, wie sie diese in der Praxis umsetzen: Sollen sie ihre IT-Infrastruktur schrittweise optimieren oder lieber Prozesse und Systeme ganzheitlich transformieren?
„Digitale Transformation“ ist sicherlich eines der Schlagwörter, das die 2020er-Jahre kennzeichnen wird. Ob Gesundheitssektor, öffentliche Verwaltung oder Bildungswesen – die Digitalisierung macht Fortschritte. Das gilt auch, wenn in manchen Fällen einige Stolpersteine im Weg liegen. Wichtig ist vor allem, nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Ähnliches gilt auch für die Wirtschaft: Um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen innovativ sein und sich neue Technologien zunutze machen. Laut dem Technology Acceleration Report von Endava haben dabei Big Data, künstliche Intelligenz sowie 5G höchste Priorität.
Die Umsetzung ist allerdings mit einigen Hindernissen verbunden. Allen voran ist die Einführung neuer Technologien immer mit Kosten verbunden. Die gute Nachricht dabei: Mehr als drei Viertel der für den Report befragten Führungskräfte (78 Prozent) sagen, dass ihre IT-Budgets zuletzt leicht oder sogar signifikant gestiegen sind. Lediglich bei zwei Prozent sind sie etwas gesunken. Hierbei werden sicherlich auch steigende Kosten eine Rolle spielen, aber nicht nur: In drei von fünf Unternehmen (60 Prozent) liegt der Fokus bei Ausgaben stärker darauf, Innovationen zu ermöglichen, während in einem Drittel (32 Prozent) Innovationen und die geschäftliche Stabilität ungefähr die gleiche Bedeutung haben.
Strategische Fragen bei der digitalen Transformation
Doch die erfolgreiche Digitalisierung ist in Unternehmen nicht nur eine Kostenfrage, dahinter muss auch eine Strategie für die Umsetzung stehen. Und hierbei scheiden sich die Geister ein Stück weit. Eine Möglichkeit ist, die bestehende Infrastruktur nach und nach zu optimieren. Eine andere ist, bestehende Prozesse und Systeme komplett zu transformieren. Beide Ansätze bieten sowohl Vor- als auch Nachteile.
- Schrittweise Optimierung
Gut zwei von fünf Unternehmen (43 Prozent) setzen auf eine sukzessive Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Besonders zwei Vorteile stechen dabei hervor: Zum einen sind damit niedrigere Kosten verbunden, denn es wird mit den vorhandenen Systemen und Prozessen gearbeitet. Hierbei geht es vor allem darum, durch kleinere Verbesserungen im Laufe der Zeit beispielsweise Effizienzgewinne, Kostensenkungen oder verbesserte Arbeitsbedingungen zu erreichen. Zum anderen können die Mitarbeiter weitgehend so weitermachen, wie sie es gewohnt sind, und müssen nur stellenweise ihre Arbeitsweise anpassen. Gerade dies sollten Unternehmen nicht unterschätzen: Eine neue Lösung mag noch so praktisch oder intelligent sein, wenn sie für Mitarbeiter nicht leicht zugänglich ist, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit links liegen gelassen. Daher kann es sinnvoll sein, Änderungen langsam einzuführen, um den Mitarbeitern ausreichend Zeit zu geben, sich an diese zu gewöhnen.
Daneben spricht für die schrittweise Optimierung auch noch, dass man Änderungen leichter rückgängig machen kann. Gerade bei der Einführung komplett neuer Technologien oder Tools kann es passieren, dass sich Erwartungen und Realität nicht decken. An dieser Stelle muss ein Unternehmen dann auch bereit sein, sich einen Fehlschlag einzugestehen und andere Optionen in Betracht ziehen. Dies ist bei eher geringem Investment und Aufwand natürlich einfacher.
Allerdings birgt dieser schrittweise Ansatz die Gefahr, dass neue Technologien nicht schnell genug im Unternehmen ankommen. Das kann sich nicht nur negativ auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auswirken, sondern auch auf den Ruf. Im Vergleich zu Konkurrenten, die den radikaleren Weg der Transformation wählen, besteht dann das Risiko, als rückständig wahrgenommen zu werden.
- Umfassende Transformation
Immerhin 57 Prozent der deutschen Unternehmen streben die komplette Transformation ihrer Prozesse und Systeme an. Sprich: Sie wollen neue Technologien schneller und umfassender umsetzen, um ganzheitlich von deren Vorteilen zu profitieren. Angesichts der rasanten Fortschritte vor allem im Bereich künstliche Intelligenz ist das kein Wunder. Allerdings gilt es dabei, wohlüberlegt vorzugehen, statt aufgrund des Hypes überhastet zu agieren. Dann können sich die Vorteile der Transformation schon schnell im Arbeitsalltag bemerkbar machen. Insbesondere können die Mitarbeiter in vielen Prozessen entlastet werden, was ihnen mehr Freiraum für strategische und kreative Arbeiten lässt. Und genau das führt zu neuen Ideen, Innovationen und Verbesserungen, die den langfristigen Erfolg von Unternehmen sichern.
Gleichzeitig können Unternehmen so auch ihre Attraktivität für Arbeitnehmer erhöhen: Einerseits, weil ihre Mitarbeiter sich dank technischer Unterstützung weniger aufreiben müssen. Womöglich lassen sich sogar genug Prozesse und Systeme umstellen und automatisieren, um mehr Flexibilität und moderne Arbeitsmodelle – 6-Stunden-Tage oder eine 4-Tage-Woche zum Beispiel – zu ermöglichen. Andererseits, weil es für Arbeitnehmer in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird, welche Technologien ihnen am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen und wie fortschrittlich sich ihr Arbeitgeber aufstellt. Angesichts des Fachkräftemangels, der sich in den kommenden Jahren durch den Renteneintritt der Babyboomer noch verschärfen wird, kann auch die Einführung neuer Technologien helfen, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Apropos Arbeitnehmer: Unternehmen dürfen ihre bestehende Belegschaft nicht vergessen. Um die Akzeptanz für neue Lösungen zu erhöhen, wird es darauf ankommen, die Mitarbeiter von Anfang an in den Prozess der digitalen Transformation einzubinden. Das heißt etwa, Verbesserungsvorschläge und Feedback zu Neuerungen einzuholen sowie Trainings anzubieten. Dies hilft auch dabei, sich vor einem weiteren Risiko bei der umfassenden Transformation zu schützen: Dass man sich vom aktuellen Hype blenden lässt und Veränderungen vorantreibt, ohne vorher einen konkreten Nutzen zu definieren, der erfüllt werden soll. Technische Neuerungen nur um deren selbst willen enden in der Regel als teure Fehlschläge.
Ein MVP als Mittelweg
Ob die graduelle Optimierung oder die komplette Transformation der richtige Weg für ein Unternehmen ist, hängt von Faktoren wie dem Markt, der Zielgruppe, den finanziellen Ressourcen, den Mitarbeitern oder auch den überhaupt verfügbaren Lösungen ab. Daher bietet sich auch eine Art Mittelweg an: ein iterativer Ansatz, bei dem neue Technologien zwar schnell eingeführt werden, aber explizit als Minimum Viable Product (MVP). Alle Beteiligten sind sich dann bewusst, dass sie nicht mit einem Endprodukt arbeiten – das womöglich auch nie erreicht wird –, sondern Anpassungen folgen werden und sie sich in diesen Prozess einbringen können.
Der Vorteil dabei ist, dass sowohl die Kosten als auch das Risiko eines Fehlschlags minimiert werden, während man gleichzeitig von neuen Technologien profitiert und die Mitarbeiter sich an diese gewöhnen können. Wer sich also nicht einem der Ansätze verpflichten möchte, kann so dennoch schnell zu Erfolgen bei der digitalen Transformation kommen.