Interview

Digitale Transformation – ein fortlaufender, iterativer Prozess

Die meisten Unternehmen sind sich der Vorteile der Digitalisierung bewusst. In der öffentlichen Diskussion wird allerdings ein fehlerhaftes Bild der Digitalisierung vermittelt. Der Begriff „Digitale Transformation“ impliziert, dass es sich um einen Prozess handelt, mit einem klaren und endgültigen Ziel.

Peter Skulimma, SVP Global Industry Acceleration bei Endava, erklärt wie Unternehmen die Digitalisierung am besten beschleunigen können.

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Die digitale Transformation ist derzeit zwar in aller Munde, doch was der Begriff konkret bedeutet oder beinhaltet, wird zum Teil recht unterschiedlich interpretiert. Was verstehen Sie unter digitaler Transformation?

Peter Skulimma: Die digitale Transformation ist für viele Branchen mittlerweile eines der zentralen Elemente in der Unternehmensstrategie geworden – für manche ist sie sogar das Kernelement. Es geht dabei um Veränderung – Veränderung hin zu effizienteren internen Prozessen, dem Aufbau neuer Geschäftsbereiche und einem breiteren Angebot für Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen. Ohne Digitalisierung können Unternehmen ihr Geschäft heute nicht mehr zukunftsfähig gestalten. Wer nicht bereit ist, sich ständig weiterzuentwickeln, wird über kurz oder lang seine Wettbewerber an sich vorbeiziehen sehen.

Allerdings vermittelt der Begriff „digitale Transformation“ – meiner Meinung nach – einen falschen Eindruck, nämlich, dass dieser Prozess einen eindeutigen Anfangs- und Endpunkt hat. Tatsächlich starten die meisten Unternehmen ja nicht mehr bei null, sondern verfügen schon in unterschiedlichem Ausmaß über digitale Ressourcen, mobile Plattformen und Webanwendungen, auf denen sie aufbauen können und sollten. Gleichzeitig ist der Digitalisierungsprozess nie abgeschlossen. Die Verantwortlichen können sich nicht zurücklehnen, sobald ein bestimmtes Ziel erreicht ist, denn dann steht direkt die nächste Phase der Digitalisierung an. Deshalb sollten Unternehmen ihre digitale Transformation als iterativen Prozess verstehen, bei dem sie immer nur Etappenziele erreichen können. Allerdings lässt sich dadurch die Digitalisierung erheblich beschleunigen.

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Welchen Einfluss hat die COVID-19-Pandemie auf die Digitalisierung von Unternehmen?

Peter Skulimma: Die Pandemie hat Unternehmen gar keine Zeit gelassen, lange über notwendige Digitalisierungsmaßnahmen nachzudenken oder ambitionierte, langfristige Ziele zu definieren. Bei den meisten ging es gerade am Anfang in erster Linie darum, den Betrieb trotz Homeoffice oder Geschäftsschließungen am Laufen zu halten und die eigenen Kunden weiterhin versorgen zu können. Diese Dringlichkeit hat automatisch dazu geführt, dass Unternehmen viel schneller und mit einer bislang unbekannten Entschlossenheit neue digitale Tools ausprobiert, optimiert und manchmal auch verworfen haben, wenn sie nicht wie gewünscht funktioniert haben. Sie haben angefangen, agil zu handeln, ohne es überhaupt zu merken. Dieser schnelle, iterative Ansatz hat sich während der Pandemie bewährt, weil er wesentlich flexibler und individueller ist als umfassende, teure Transformationsprojekte, die Unternehmen in der Vergangenheit oft als das Maß aller Dinge empfohlen wurden. Für viele Start-ups ist dieses iterative Vorgehen schon lange die zentrale Vorgehensweise – man nennt das auch den MVP-Ansatz: Minimum Viable Product.

Welche Vorteile bietet diese fortlaufende, iterative Digitalisierung Unternehmen?

Peter Skulimma: Der größte Vorteil ist sicherlich, dass sie ihre digitale Transformation ganz nach ihren jeweiligen Bedürfnissen und dem verfügbaren Budget angehen können und immer wieder schnell anpassen können, wenn sich interne oder externe Bedingungen verändern. 

Und dann geht es natürlich darum, die Risiken von großen, langfristigen Projekten besser zu beherrschen. Fehleinschätzungen im großen „Masterplan“ werden oft viel zu spät bemerkt – und dann richtig teuer. Um dieses Lehrgeld zu vermeiden, ist es wichtig, immer wieder zu überprüfen, ob man noch richtig liegt – sich Feedback aus dem Markt, von einzelnen Zielgruppen oder bei internen Veränderungen von den Mitarbeitern zu holen. Und dann – ganz im Sinne des MVP-Ansatzes – auch bereit zu sein, Änderungen vorzunehmen. Die großen globalen Player in der Digitalwelt arbeiten nur so, da man trotz der vielen Anpassungsrunden am Ende schneller, effizienter und insgesamt erfolgreicher ist.

Was sind die Voraussetzungen, die Unternehmen erfüllen müssen, damit sie ihre digitale Transformation beschleunigen können?

Peter Skulimma: Zunächst müssen die Verantwortlichen eine schonungslose Bestandsaufnahme machen: Niemand startet bei null und es gibt heute durchaus schon viele „digitale Altlasten“. Deshalb ist es oft ratsam, externe Unterstützung hinzuzuziehen, die, wenn nötig, auch mal den Finger in die Wunde legt. Und dann müssen sich Unternehmen selbst die Fragen stellen: Sind die Technologien und Infrastrukturen, auf denen unsere Digitalisierung bisher aufbaut, bereits veraltet? Sind wir nah genug an unseren Kunden dran, wenn es um deren digitale Bedürfnisse geht? Sind die erforderlichen Fähigkeiten vorhanden, damit die digitale Transformation gelingen kann? Gerade daran scheitern Digitalisierungsprojekte häufig. 

Und dann geht es natürlich um die Frage nach der Vision: Wohin soll sich das Unternehmen in der Transformation hinbewegen? Existiert so eine Vision – ist sie auch im ganzen Unternehmen bekannt und stehen alle hinter ihr? Dieser Aspekt wird häufig stark unterschätzt.

Natürlich muss eine Vision auch heruntergebrochen werden in messbare Ziele und umsetzbare Maßnahmen – ohne das geht es nicht. Für das Gelingen sind aber die Erfolgserlebnisse ganz wichtig und das heißt, wir müssen Priorisieren und Fokussieren. Regelmäßige Erfolgserlebnisse sind ein wichtiger Motivationsmotor. Es ist zentral, die richtigen Maßnahmen auszuwählen und diese konsequent umzusetzen. Dazu hilft eine ausgeprägte Datenkultur. Die Digitalisierung bringt viele Daten mit sich und ermöglicht es uns, fast alles zu messen. Daten sind der Treiber der digitalen Zukunft und liefern entscheidende Informationen, von Optimierungspotenzialen, über Marktbewegung bis zu detaillierten Angaben zu Verhalten und Bedürfnissen der Kundschaft. Darauf müssen sich Unternehmen einlassen – Daten zu sammeln, zu analysieren und in Entscheidungen einzubinden.

Und zu guter Letzt müssen Unternehmen eine Kultur des stetigen Wandels schaffen und pflegen. Das heißt, dass alle Mitarbeiter auf allen Ebenen offen gegenüber Veränderungen und bereit für Innovationen sein müssen. Nur so lässt sich eine beschleunigte Digitalisierung als Unternehmensprinzip etablieren.

Wie können Unternehmen einen solchen Kulturwandel erfolgreich bewerkstelligen?

Peter Skulimma: Ganz wichtig ist dabei, dass die Führungskräfte die neue Haltung nicht nur vorgeben, sondern auch selbst vorleben. Also auch selbst bereit sind, Neues auszuprobieren und ihre Mitarbeiter dazu ermutigen, Ideen einzubringen, Ansätze, Prozesse und Produkte regelmäßig zu verbessern und zu optimieren sowie Dinge, die nicht funktionieren, auch einfach mal zu verwerfen. Dabei gilt: die richtigen Schlüsse ziehen und es beim nächsten Mal besser machen. Damit die Mitarbeiter diesen Weg proaktiv mitgehen, müssen sie außerdem von Anfang an einbezogen werden – wer selbst mitgestalten kann, ist Veränderungen gegenüber viel aufgeschlossener. Zudem verstehen sie so viel besser, welche Vorteile sich für sie selbst ergeben. Und natürlich kann eine solche Kultur des Wandels in allen Bereichen positive Auswirkungen haben und die Innovationskraft stärken. Und Innovation ist die Basis für Unternehmenswachstum und -erfolg.

Peter

Skulimma

SVP Global Industry Acceleration

Endava

Peter Skulimma ist ein erfahrener Transformations-Experte, der in seinen mehr als 20 Jahren als Medienunternehmer viele Transformations-Projekte selbst umgesetzt hat. Seit 10 Jahren unterstützt er Unternehmen aus verschiedenen Branchen bei der Umsetzung ihrer Digitalisierung-Themen und Transformations-Strategien. Dabei setzt er gezielt die Modernisierung der Unternehmenskultur sowie digitale Produktentwicklung als Treiber
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