Handwerk hat einen goldenen Boden. Künftig einen digitalen. Die digitale Transformation ermöglicht Handwerksbetrieben einen Wettbewerbsvorsprung: bessere Qualität und völlig neue Services.
Handwerk heißt Handwerk, weil hier Hände werkeln. Sonst hieße es Maschinenwerk, digitales Werk oder gar Teufelswerk. Als solches empfinden nicht wenige Handwerksbetriebe die Digitale Transformation. Eine Bitkom-Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt: 66 Prozent der befragten Handwerksbetriebe sehen in diesem tiefgreifenden Wandel zwar eine große Chance – jeder dritte aber eben nicht. Für 13 Prozent der Befragten stellt sich das sogar als eine Bedrohung dar. Das ist schade, weil die bekannten – und für die etablierten Player – warnenden Beispiele hier keine Gültigkeit haben. Reisebranche (Airbnb) oder Personenbeförderung (Uber) haben nicht nur völlig andere Geschäftsmodelle, sondern vor allem ganz andere Wertschöpfungsketten: Bei der Transformation geht es in der Regel immer darum, einen Mittler zu eliminieren, nie aber den originären Hersteller von Produkten und Dienstleistungen. (Kreative) Werbung etwa wird immer von Menschen gemacht – die Ausspielung der Motive erfolgt allerdings nicht mehr händisch über Planer, sondern entsprechende Plattformen, die in Echtzeit einbuchen. Cut out the middleman! Deshalb: Speziell für das Handwerk ist die technologische Entwicklung eine riesige Chance.
Das Start-up Holzgespuer – Das richtige Gespür für die Verbindung aus Handwerk und Technologie
Rhens, ein kleiner Ort inmitten des Rheintals. Klein, romantisch, beschaulich. Urbane Innovationskultur oder coole Start-ups erwartet man hier eigentlich nicht. Jedoch hat sich in der Rhein-Stadt eine kleine Tischlerei etabliert, die zu den innovativsten im deutschen Handwerk zählt. Der Betrieb hat schon früh erkannt, dass die Digitale Transformation die Wertschöpfungskette radikal verändern wird. Denn Handwerk ist schon lange nicht mehr einfach nur die Fertigung eines bestimmten Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung. Es geht auch darum, wie Menschen in Zukunft einkaufen, mit Unternehmen kommunizieren wollen und welche Auswirkungen Technologien wie KI oder IoT auf Produktionsabläufe und zusätzliche Services haben. Das Vater-Tochter-Duo Hermann und Julia Kasper von der Tischlerei Kasper beschäftigt sich schon länger genau mit diesen Fragen. Und wagte schon die ersten Schritte.
Julia Kasper (siehe Foto, Copyright Stefan Veres) entwickelte ein neues Geschäftsmodell, um Möbel digital zu gestalten und online zu erwerben. Das Start-up Holzgespuer war geboren. Schnell ließ sie einen 3D-Konfigurator für die Kunden programmieren, etablierte ein eigenes Chat-System auf der Website und stellte ihren Kunden die Produktionsvideos ihrer Produkte zur Verfügung. So erreichte die Tischler mit ihren Produkten nicht nur die Kunden aus der eigenen Region mehr, die Kunden kamen plötzlich digital aus Berlin, Hamburg und München an den Rhein.
Holz wird intelligent
Intelligente Autos, intelligente Straßen, selbst intelligente Kühlschränke und Waschmaschinen sorgen inzwischen kaum noch für Aufsehen. Digitalisiert wird ohne Ausnahme. Stück für Stück wird jeder Bereich unseres Lebens mit Geräten ausgestattet, die mit dem Internet verbunden sind und uns das Leben erleichtern sollen. Mit Holzgespuer und einem Netzwerk aus IT-Experten, ging Julia Kasper den nächsten Schritt und ließ Holz intelligent werden. Intelligentes Holz? Ja! Mit Hilfe von Sensoren lassen sich wichtige Daten wie Holzfeuchtigkeit, Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit messen. Beim Zuschnitt und beim Verarbeiten des Materials sind das wichtige Angabe. Ähnlich wie Chirurgen im OP-Saal nutzen sie die Daten, um das präziseste und damit bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Doch das ist nur ein Meilenstein. Kunden will die Tischlerei nicht nur mit Hightech-Qualität überzeugen, sondern mit neuen digitalen Services: Kabelfreies Aufladen, mögliche Bezahlfunktion in Restaurants per NFC Schnittstelle oder aber die Übergabe spannender Information zur Entstehung der Tische sind einige der möglichen Optionen.
Hören Sie den Keynote Speaker und Autor dieses Beitrags Chrisoph Krause live auf der solutions x DILK am 2.9.2021:
Service 4.0 – Vom digitalen Effizienzwahn zur digitalen Emanzipation
Wenn Gastronomen in den kommenden Jahren vermehrt nach multimedialen und intelligenten Tischen fragen, wird Holzgespuer aus Rhens die erste Adresse für diese Hybriden aus Handwerk und Technologie sein. Diese Lust auf neue Ideen, auf frische Impulse und der Wagemut, einfach mal zu machen, zeichnet Handwerksbetriebe wie die Tischlerei Kasper/Holzgespuer aus. Im Gegensatz zu ihren immer noch skeptischen Kollegen, trauen sie sich einfach und packen das Thema Digitale Transformation offensiv an.
Branchengrenzen müssen verschwinden
Für Holzgespuer war die Entwicklung dieses innovativen Produkts aber nur möglich, weil sie mit einem starken interdisziplinären Netzwerk aus Programmierern, Cloud-Spezialisten und Data-Scientists zusammenarbeiten. Das Thema Kollaboration und neue Allianzen ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor – auch um Wissen und Erfahrung auf diesem neuen Terrain zu sammeln. Berührungsängste darf in dem neuen Zeitalter keiner haben. Denn Daten machen an Gewerkgrenzen keinen Halt. Der Produktdatensatz eines Dachziegels verbindet Industrie, Handel, Handwerk und Kunde gleichermaßen. Die hier aufgezeichneten Daten – seien es Luftfeuchtigkeit, Schneelast oder Windbelastung – können von allen Partnern gleichermaßen für Service 4.0 genutzt werden. Die Klimaanlage sendet Daten in die Cloud, auf deren Grundlage der Handwerker Prognosen und Analysen erstellt und frühzeitig über nötige Wartungsarbeiten informiert wird. Das Handwerk kann also gar nicht anders, als mit anderen Branchen zusammenzuarbeiten. Hinzu kommt der Kostenfaktor: Eine Plattform für Daten aus dem Internet der Dinge kann nicht jedes kleine Familienunternehmen einfach aufbauen. Zu groß sind die nötigen Investitionen. Wir müssen somit die Qualitäten der Zusammenarbeit völlig neu denken. Für IT-Experten ergibt sich damit eine völlig neue Chance: Das Handwerk braucht Euch.