CRM und Business Intelligence für Soziale Netzwerke: Kundenbindung im Fokus

Die sozialen Strukturen hinter menschlichen Gemeinschaften werden seit langem untersucht, sind aber erst kürzlich durch die Popularität von Social Software im Sinne des Web 2.0 Paradigmas wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

Zum einen wird dies durch die hohe finanzielle Bewertung der betreffenden Geschäftsmodelle in Übernahmen getrieben [StudiVZ07], zum anderen gibt es erste innovative Einsichten durch die Analyse von Kommunikationsnetzen [Enron05].

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Für die Fachgebiete Customer Relationship Management (CRM) und Business Intelligence (BI) entsteht damit ein gänzlich neues Anwendungsgebiet, das deutlich veränderte Anforderungen mit sich bringt.

Eine der klassischen Rollen der BI ist die eines Dienstleisters für das CRM. Zu ihren Aufgaben gehören einerseits die Generierung abgeleiteter Kundenattribute, die zur Steuerung des operativen Geschäfts genutzt werden, anderseits beschreibt BI auch die Kundengesamtheit und ihre Untersegmente durch globale Metriken, die über Reports oder Analysen als Grundlage für strategische Marketingentscheidungen dienen. BI berechnet sowohl den Kundenwert und die Kündigungsgefahr auf Einzelkundenebene, die später zum Beispiel für Kampagnenselektionen genutzt werden, als auch die Prognose globaler Analysen wie etwa das Wachstum des Kundenbestandes und die Entwicklung der Kündigungsrate.

Beide Rollen gilt es auch im Kontext von denjenigen Geschäftsmodellen zu erfüllen, die Soziale Netzwerke bereitstellen oder sich als solche darstellen lassen.

Ableitung komplexer Kundenattribute

Einige der Geschäftsmodelle für Soziale Netzwerke basieren auf user-generated content, wobei der auf diesen Inhalten erzeugte Traffic häufig als Reichweite für Online Werbung vermarktet wird, wie zum Beispiel bei MySpace. In anderen Fällen zahlt der Nutzer für den Zugang zum Netzwerk, zum Inhalt oder für die Freischaltung von Zusatzfunktionalitäten, wie zum Beispiel bei XING.

Für den typischen, durch Werbung finanzierten Netzwerkdienst ist ein Kunde dann unmittelbar wertvoll, wenn er bereit ist Content zu generieren, den Content anderer zu besuchen und somit Traffic zu generieren und der Online Werbung zu folgen. Und wie auch bei klassischen Life Time Value (LTV) Modellen ist der Kunde dann besonders wertvoll, wenn er eine niedrige Kündigungswahrscheinlichkeit
hat.

Bild 1: Ausbreitung des Kündigungsrisikos von P1 im sozialen Umfeld. 

In Sozialen Netzwerken spielt ein Kunde zusätzlich die Rolle des potentiellen Multiplikators: durch seinen Einfluss auf andere Kunden, mit denen er interagiert, ist er in der Lage, deren Wert zu erhöhen oder zu reduzieren. Eine jegliche Kundenwertbetrachtung muss also sowohl den eigenen Wert als auch den Effekt auf den Wert der Umgebung berücksichtigen.

In der klassischen BI wird bei der Berechnung der Kündigungsgefahr jedes erdenkliche Kundenattribut bei der ProKunde wird immer behandelt, als wäre er vom Rest des Bestandes isoliert. Bei Offline-Geschäftsmodellen ist dies nachvollziehbar, da nicht bekannt ist, inwiefern sich Kunden untereinander kennen und austauschen. Bei Sozialen Netzwerken liegt diese Information jedoch vor und es bietet sich an, zu untersuchen inwiefern zum Beispiel eine Kündigung in seinem Umfeld einen Kunden dazu motiviert auch zu kündigen. Ein umfassendes Prognosemodell würde also sowohl die eigenen Attribute des Kunden wie auch das Verhalten seines Umfelds in die Prognose mit einfließen lassen.

Globale Metriken für Soziale Netzwerke

Sobald Attribute wie Kundenwert oder Kündigungsgefahr ermittelt sind, greift die klassische CRM Kontaktlogik: beispielsweise involviert man den Kunden in Bindungsmaßnahmen, deren Aufwand undWert vomLTV abhängen. Jedoch kann auch bei der Durchführung dieser Maßnahmen der Netzwerkcharakter des Kundenbestandes genutzt werden: starke Multiplikatoren – also Kunden mit viel Einfluss auf ihre Umgebung – sollten bevorzugt angesprochen werden, daman erwartet, dass der Effekt der Kampagne von ihnen an ihre Umgebung weitergeleitet wird. So kann die Reichweite einer Kampagne imVerhältnis zum Aufwand und den Kosten maximiert werden.

Auch wenn alle Kunden direkt angesprochen werden sollen, kann durch die Multiplikatoren dennoch ein Mehrwert erzeugt werden.Man kann den Bestand in mehrere Gruppen einteilen – je nach ihrem Potential als Multiplikator – und dann die Gruppen zeitlich versetzt kontaktieren. Wenn man zunächst die stärksten Multiplikatoren anspricht, pflanzt sich der Kampagneninhalt bereits in gewissem Maße in ihrer Umgebung fort. Werden die Kunden in der Umgebung später direkt angesprochen, haben sie sich bereits mit dem Inhalt beschäftigt und begegnen dem Angebot mit einer größeren Bereitschaft als bei einer Kaltansprache, was zu höherer Response führen sollte. Wie bei der klassischen BI werden strategische Marketingentscheidungen durch Analysen der Bestandsentwicklung unterstützt. Da hier der Bestand ein Netzwerk ist, gehören zu den wichtigen Metriken nicht nur die Bestandsgröße sondern auch die Netzwerkdichte und Intensität der Interaktion zwischen den Kunden. Solche Metriken sind direkt relevant für die Prognose von Umsatz und Plattformkosten.

Zusätzlich zu diesen Netzwerkmetriken, die sofort als Umsatz- oder Kostentreiber erkennbar sind, ist es jedoch auch notwendig, einen genaueren Blick auf die Struktur des Sozialen Netzwerks zu werfen, da gewisse topologische Eigenschaften eine Prognose darüber zulassen, welche Kontaktstrategie geboten ist. Es lässt sich zum Beispiel vorhersagen, ob ein Ansatz, der sich stark auf die Multiplikatoren fokussiert, Erfolg haben kann. Ferner lässt sich zeigen, ob Multiplikatoren erst durch gewisse Netzwerkdynamik entstehen, oder ob sie es schon immer sind, das heißt ob diese Kunden die Neigung zum Multiplikator von vornherein in sich tragen. Daraus folgt, wie viel in die Bindung dieser Multiplikatoren investiert werden sollte.

Bild 2: Ein Hub und seine zentrale Bedeutung im sozialen Netzwerk.

Netzwerktopologie und ihre Relevanz für CRM

Wenn man zeigen kann, dass die im skalenfreien Netz so wichtigen sehr stark vernetzten Multiplikatoren (Hubs) durch die Dynamik des Netzwerks (rich-get-richer) entstehen, so bräuchte man sich umdie Bindung dieser wichtigen Kunden nicht ganz so sehr zu sorgen, da es zur Grundeigenschaft des Netzwerks gehört, immer neue Hubs entstehen zu lassen. Wenn man jedoch zur Erkenntnis gelangt, dass diese Kunden ihre Neigung zum Hub bereits in sich tragen, so müssten sie besonders intensiv umworben werden, da sie eine endlich große Zielgruppe sind.

So zeigt beispielsweise die Untersuchung von zwei sehr gut besuchten Online-Foren, dass hier eine kleine Gruppe von Hubs eine sehr große Aufmerksamkeit unter den Nutzern des jeweiligen Forums genießt. Diese Nutzer entwickeln sich jedoch nicht aus der Dynamik des Netzwerks zumHub, sondern tragen die Eigenschaft bereits in sich, in Formvon Bereitschaft zu intensiver Teilnahme am Forum.

Will man die Nutzer in diesen Foren durch Marketingansprache erschließen ist darauf zu achten, dass die Bindung der kleinen Anzahl von Hubs von größter Wichtigkeit ist. Auf Hubs fokussierte Kontaktstrategien (Viral Marketing, Response Priming) haben in diesem Umfeld zudem gute Aussichten auf Erfolg. Da die Hubs nicht durch die Dynamik des Netzwerks entstehen sondern aus einem endlich großen Pool rekrutiert werden müssen, erhält der Bereich der Kundenbindung noch eine größere strategische Relevanz.

Zusammenfassung und Ausblick

Kunden in kommerziellen Sozialen Netzwerken bedürfen der gleichen Behandlung durch CRM Maßnahmen und BI Optimierungen wie Kunden in klassischen Geschäftsmodellen. Die Instrumente sind teils die gleichen (globale Forecasts, Scores für Kündigungsgefahr, Kundenwert), jedoch sind bei ihrer Entwicklung die netzwerkspezifischen Eigenschaften des Kundenbestandes zu berücksichtigen.

Zusätzlich bietet sich der Einsatz von Methoden an, für die es im klassischen CRM- und BI-Umfeld bisher keine Entsprechung gab: aus detaillierten Analysen der Netzwerkstruktur ergeben sich Konsequenzen für die Kundenbindung und die Kontaktstrategie.  

Für die BI eröffnet sich eine große Chance, das schon vorhandene klassische Repertoire umAnsätze aus der Social Network Analysis zu bereichern und damit auch in Web 2.0 Geschäftsmodellen eine zentrale Optimierungsinstanz zu bleiben.Technisch sind neben eher klassischen Datenbankstrukturen und Reportingtechniken vor allem die Integration von Webinformationen in Formvon intelligenten Konnektoren zu HTML Seiten und neue Ansätze der Visualisierung von komplexen Netzwerkstrukturen relevant.

Für die Zukunft bringt der Social Network Analytics Ansatz damit sowohl neue inhaltliche, als auch technische Ansätze in die BI und sorgt so auch in Zukunft dafür, dass die strategische Bedeutung und auch die fachliche Attraktivität des Fachgebietes weiter steigen wird.

Fred Türling, Dr. Kai Zimmermann

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 5-2009 des it management.

Quellenverzeichnis

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