Wie lässt sich ortsunabhängiges Arbeiten für Mitarbeitende im gesamten Unternehmen realisieren? Gemeinsam diskutieren Dirk Ramhorst, CDO und CIO in der Chemieindustrie, und Eric Schott, CEO von Campana & Schott, welche Schritte dafür nötig sind.
Ortsunabhängiges Arbeiten ist ein Thema mit vielen Facetten. Was müssen Unternehmen aus Ihrer Sicht nun konkret angehen?
Dirk Ramhorst: Ich glaube, die technische Readiness kann man nun schon fast abhaken. Daher steht das Thema Organisation derzeit im Mittelpunkt, um auch nach der Pandemie reibungslose Abläufe zu gewährleisten. Dazu zählt vor allem die Vorbereitung auf Hybrid Work. So müssen die Mitarbeitenden ihre Ausstattung in Büro und Homeoffice flexibel nutzen können. Dies ist richtig zu organisieren, zu dimensionieren und bei Bedarf mit Betriebsvereinbarungen zu formalisieren.
Eric Schott: Da kann ich mich nur anschließen. Unternehmen haben in der Vergangenheit bewiesen, dass Homeoffice technologisch umgesetzt werden kann. Aber die bisherige Polarisierung zwischen Büro und Homeoffice muss überwunden und ein wirkliches Seamless Office realisiert werden. Es geht eben weniger um die Frage, von wo aus Mitarbeitende arbeiten, sondern vielmehr darum, wie jeder Einzelne die jeweiligen Aufgaben optimal erfüllen kann. Zum Beispiel startest Du im Büro mit einem Meeting am PC, legst es auf das Handy, um von unterwegs weiter daran teilzunehmen, und arbeitest dann zu Hause an der zuvor begonnenen Präsentation nahtlos weiter. Das erhöht Effizienz, Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden, da bisherige Medienbrüche vermieden werden. Dafür ist jedoch eine Strategie erforderlich, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll.
So wie das klingt, verändert sich die Art der Zusammenarbeit signifikant. Wie macht sich das bemerkbar?
Eric Schott: Wir sehen derzeit, dass sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer umdreht. Bislang stand im Vordergrund, wie der Mitarbeitende den Betrieb des Unternehmens aufrechterhalten kann. Heute geht es um die Frage: Wie kann das Unternehmen eine mitarbeiterzentrische Umgebung bereitstellen, also die Employee Experience verbessern?
Das beginnt bei der Ausstattung und bezieht sich dann vor allem auf die Denkweise, dass die Umgebung des Mitarbeitenden weniger von den Vorgaben des Unternehmens geprägt sein soll, sondern mehr von seinen Bedarfen. Aber es geht noch weiter: Erste Unternehmen bewerben sich quasi schon von sich aus bei den Bewerbern.
Dirk Ramhorst: Das kann ich bestätigen. Bei Bewerbungsgesprächen ist Homeoffice immer ein Thema. Dabei ist die grundsätzliche Möglichkeit schon selbstverständlich. Es geht inzwischen darum, wie ein Unternehmen es unterstützt: mit Equipment, Licht, Mikrofon, Kamera, Collaboration-Anwendungen. Hier formulieren Bewerber auch entsprechende Erwartungen.
Wer zu viele Baustellen gleichzeitig aufmacht, verzettelt sich häufig in den verschiedenen Projekten und kommt nicht voran.
Eric Schott, CEO, Campana & Schott
Nach wie vor gibt es viele Unternehmensbereiche, in denen Mitarbeitende nicht „einfach ins Homeoffice“ geschickt werden können. Endet also Hybrid Work am Schreibtisch?
Eric Schott: Nein, Hybrid Work erfordert nicht nur eine Anpassung der Arbeitsplätze von Information Workern, die hauptsächlich am Schreibtisch arbeiten, sondern auch von Frontline Workern. Dazu gehören mehr als 80 Prozent der Belegschaft, wie beispielsweise Techniker an Fertigungsstraßen, Pflegepersonal in Kliniken, Fahrer, Sicherheits- und Reinigungskräfte, Kassen- oder Verkaufspersonal. Hier müssen sich Unternehmen Gedanken machen, wie sie diese in den zunehmend digitalen Arbeitsplatz einbinden.
Dirk Ramhorst: Auf jeden Fall. Ich durfte die letzten beiden Jahre in Bayern die Initiative Arbeitswelt 4.0 begleiten. Da ging es nicht nur um das Thema Homeoffice, sondern auch generell darum, wie Digitalisierung Arbeitswelten verändern kann. Ein gro es Anliegen war, dass Homeoffice die Gesellschaft nicht spaltet – in diejenigen, die es nutzen können, und diejenigen, die vor Ort sein müssen. Dazu muss man überlegen, wie Digitalisierung den Frontline Workern helfen kann.
Zum Beispiel hat das Thema digitaler Zwilling einen großen Beitrag geleistet. Wir konnten dadurch eine ganze Chemie-Anlage bis zu einem gewissen Grad aus der Ferne kontrollieren und steuern. Eine Inbetriebnahme in Korea ließ sich über Videokonferenz durchführen. Dabei wurden alle Sensordaten im digitalen Zwilling in Deutschland angezeigt. So konnten die deutschen Ingenieure den Kolleginnen und Kollegen in Korea genau sagen, welche Einstellungen sie auf welche Weise anpassen mussten.
Was ist bei den sogenannten Frontline Workern vor allem zu beachten?
Eric Schott: Wir haben bei unseren Kunden immer wieder erlebt, dass zum Beispiel Mitarbeitende in der Produktion per WhatsApp-Gruppen Schichtwechsel organisieren. Teilweise tauschen sie darüber sogar Dokumente aus. Hier muss die IT die Chance erkennen, die Sicherheit über eine vom Unternehmen zentral bereitgestellte Lösung zu erhöhen. Wenn man also über digitale Arbeitsplätze nachdenkt, sollte man Frontline Worker berücksichtigen. Das ist für mich auch eine Form von nachhaltiger Arbeit, denn es fördert ein neues Miteinander. Die technologische Einbindung von Frontline Workern lässt wirklich alle im Unternehmen wieder näher zusammenrücken. Für mich ist das auch eine gesellschaftliche Aufgabe.
Dirk Ramhorst: Dazu habe ich auch ein Beispiel, das Projekt „Digitales Programm für alle“. Produktionsmitarbeitende besitzen keinen Bildschirmarbeitsplatz und damit auch kein Intranet. Mit diesem Projekt haben wir den Mitarbeitenden Zugang zu bestimmten Intranet-Services, von HR bis zur Brotzeit-Bestellung, per App auf ihrem privaten Smartphone oder per Kiosk-PC zur Verfügung gestellt. Damit konnten wir eine Connectivity im Sinne der Digitalisierung des Arbeitsplatzes für diese Mitarbeitenden erreichen. Dabei wurden auch viele bislang papierbasierte Prozesse digitalisiert. Das kam wahnsinnig gut an.
Die “one size fits all”-Lösunge existiert nicht. Das gilt für die Digitalisierung im allgemeinen und für New Work im Speziellen.
Dirk Ramhorst, CDO und CIO on der Chemieindustrie
Wie können Unternehmen nun konkret den digitalen Arbeitsplatz angehen?
Eric Schott: Viele Unternehmen haben durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre eine Wunschvorstellung, wie die Implementierung des digitalen Arbeitsplatzes aussehen kann und möchten alles am besten sofort angehen. Aber wer zu viele Baustellen gleichzeitig aufmacht, verzettelt sich häufig in den verschiedenen Projekten und kommt nicht voran. Daher macht es Sinn, sich jedes Unternehmen einzeln anzuschauen. Welche Wünsche haben die Mitarbeiter und welche die Führungspersonen? Welche Hindernisse stehen im Weg? Welche Implementierungen sind sofort nötig und für was hat man noch etwas Zeit? Die Einführung eines digitalen Arbeitsplatzes sollte strategisch geplant und um die geeigneten organisatorischen Prozesse ergänzt werden. Dazu gehören eine moderne Unternehmenskommunikation, eine aktuelle Sicherheitskultur und -architektur sowie eine erhöhte Agilität der Mitarbeitenden. Dass man auf diesem Weg auch mal die Richtung wechselt und Dinge ausprobiert, gehört dazu. Denn: die eine ideale Lösung direkt zu entwickeln ist eine Illusion. Die grundlegende Strategie und Roadmap sind entscheidend.
Dirk Ramhorst: Die „One Size fits all”-Lösung existiert nicht. Das gilt für die Digitalisierung im Allgemeinen und für New Work im Speziellen. Es gibt unterschiedliche Kulturen, Organisationen, Generationen und technische Awareness. Darauf muss man spezifisch eingehen und analysieren, wo stehe ich, wo komme ich her, welche Services sind schon etabliert. Auf dieser Basis können Unternehmen ihren individuellen Weg gehen.
Herr Ramhorst, Herr Schott, wir danken für dieses Gespräch.
Eric Schott, CEO, Campana & Schott
Dirk Ramhorst, CDO und CIO in der Chemieindustrie