Angesichts des Umsatzeinbruchs während des Lockdowns und den Störungen in der Lieferkette zeigt es sich deutlich, welch wichtige Rolle die Kreditorenbuchhaltung für die Geschäftskontinuität, das Cashflow-Management, die Prognosen, die Budgetierung und die Risikomanagement spielt.
Aber die Pandemie ist nicht der einzige Grund, warum Fachleuten aus dem Finanz- und Rechnungswesen (F&A) viel abverlangt wird. Die neue Rolle im Zentrum der Unternehmensstrategie begann mit Änderungen der globalen Steuerbestimmungen, die lange vor den Nachrichten aus Wuhan in Kraft traten.
CTC-Systeme für mehr Transparenz
Globalisierungsbefürworter träumen schon lange von einem einzigen, standardisierten Steuersystem. Doch auch wenn diese Aussicht noch in weiter Ferne liegt, hat sich in den letzten Jahren ein Trend zu mehr Transparenz und regulatorischem Einblick in die grenzüberschreitende Besteuerung entwickelt. Dieser könnte die Grundlage für eine zukünftige, globale Standardisierung bilden.
Nationale Systeme zur kontinuierlichen Transaktionskontrolle (Continuous Transaction Control, CTC) werden entwickelt, um dem immerwährenden – und bisher schwer zu bekämpfenden – Problem der Steuervermeidung von Unternehmen zu begegnen. Dies ist nicht nur ein Problem für Länder mit einer eher nachlässigen Herangehensweise an den Steuervollzug. 2018 wurden laut OECD fast die Hälfte der potenziellen Mehrwertsteuer nie eingezogen. Dem Fiskus der EU-Mitgliedsstaaten entgehen so ca. 167 Milliarden US-Dollar. Das ist weit mehr als der gesamte Haushalt der Europäischen Union.
Die Steuerausfälle des letzten Jahres verringerten die nationalen Steuereinnahmen noch weiter. Die Länder sind nun gezwungen Verbrauchssteuern zu maximieren, um weitere Einnahmen zu erzielen. Gleichzeitig gilt es die Steuervermeidung weiter einzuschränken. CTC-Systeme erscheinen dafür vielversprechend. Behörden in Brasilien nahmen zusätzliche 58 Milliarden US-Dollar ein. In Mexiko stiegen die Steuereinnahmen um ein Drittel.
Elektronische Rechnungstellung weiter auf dem Vormarsch
Die weltweit beliebteste Form der CTC ist die elektronische Rechnungsstellung, bei der elektronische Rechnungen direkt mit einer Steuerbehörde oder deren Beauftragten vor oder als Teil des Ausstellungsprozesses verrechnet werden.
Die Vorteile von CTC liegen auf der Hand. Unternehmen müssen die Gültigkeit jeder Rechnung in dem Moment nachweisen müssen, in dem sie erstellt wird. Eine globale Standardisierung ist noch in weiter Ferne. Es gibt länderspezifische Anforderungen, was den Rechnungsversand und -empfang, Formate, Inhaltsfelder, Ausnahmeregelungen sowie Sicherheitsanforderungen und Strafen bei Nichteinhaltung betrifft.
Die Anpassung bestehender Tools und Systeme erweist sich als schwierig. Globale Organisationen, die die Umstellung auf die obligatorische elektronische Rechnungsstellung in verschiedenen Märkten bewältigen müssen, stehen oft vor dem Problem die passende Technologie zu finden. Denn ein Patentrezept gibt es nicht. Die bestehenden ERP- oder Buchhaltungssysteme sind nicht flexibel oder robust genug, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Workarounds und die Zunahme manueller Eingriffe erschweren die Umstellung auf die digitale Rechnungsstellung. Im schlimmsten Fall drohen Bußgelder, wenn Richtlinien nicht eingehalten werden.
Compliance-Landschaft digitalisieren
Prognosen sagen bereits voraus, dass bis 2025 75 Prozent aller B2B-Rechnungen weltweit in Echtzeit digital ausgetauscht werden. Globale Unternehmen müssen sich mit dieser komplexen neuen Ebene der länderspezifischen Compliance auseinandersetzen. Digitalisierte Systeme ermöglichen eine schnelle Skalierung bei voller Compliance.
Ein proaktiverer Umgang mit diesen Veränderungen bringt eine Reihe von betrieblichen Vorteilen für die Kreditorenbuchhaltung mit sich. Zum Beispiel eine höhere Genauigkeit sowie weniger Fehlermeldungen. Software-as-a-Service-Unternehmen haben große Fortschritte bei der Bereitstellung eingebetteter Funktionen zur Überwachung der Steuerkonformität und zum Änderungsmanagement gemacht, um sich an neue und veränderte CTC-Anforderungen anzupassen.
Ein Beispiel aus der Praxis
Dem Industrie- und Automobilzulieferer Schaeffler gelang es die komplexe und sich ständig verändernde Compliance-Landschaft durch die Umstellung auf eine vollständig digitalisierte Umgebung im Griff zu behalten. Das Ziel war es, den regulatorischen Veränderungen voraus zu sein und gleichzeitig die Kosten niedrig zu halten.
Um die Vorschriften einzuhalten, kommt es vor allem auf die Qualität der Daten an. Mit manuellen Eingaben vervielfachen sich die Möglichkeiten für Fehler. Die Zeit für die Behebung dieser Fehler verursacht zusätzliche Kosten und Komplexität. Heute laufen bei Schaeffler alle elektronischen Rechnungen digital und die Validierung der Compliance ist automatisiert. Alle Daten werden elektronisch empfangen und sind zu 100 Prozent zuverlässig. Ungültige oder nicht vollständige Dokumente werden abgelehnt. Das Unternehmen kann so die Kosten für die Verarbeitung von Transaktionen reduzieren und gleichzeitig alle vorgegebenen Compliance-Verpflichtungen erfüllen.
Digitalisierung für mehr Dynamik und Agilität
Die Vorteile der Digitalisierung reichen weit über das traditionelle Aufgabengebiet der Kreditorenbuchhaltung – die Verwaltung von Rechnungen und Zahlungen – hinaus. Um die durch COVID ausgelöste Cashflow- und Budgetkrisen zu bewältigen, suchen Unternehmen nach Lösungen, die ihnen einen zeitnahen operativen Einblick verschaffen und sie in die Lage versetzen, auf Störungen mit Dynamik und Agilität zu reagieren. Dieselben digitalen Systeme, die die Einhaltung der neuen CTCs sicherstellen, können auch dies bewerkstelligen. Unternehmen sollten sich frühzeitig vorbereiten, um den Anschluss nicht zu verpassen.