Die Pandemie hat die Abhängigkeit von Unternehmen und Nutzern von Mobilfunkdiensten erhöht und den Weg für 5G geebnet. Warum ist es dennoch schwierig vorherzusagen, wie nützlich 5G sein wird?
Intelligente Städte, selbstfahrende Fahrzeuge und fortschrittliche Robotik sind nur die Spitze des Eisbergs: Es besteht kein Zweifel daran, dass 5G die Welt radikal verändern wird. Telekom-Chef Höttges hat auf dem MWC 2017 eine Einschätzung für ein flächendeckendes 5G-Netz in Europa abgegeben: Europaweit könnten sich die Kosten auf 300 bis 500 Mrd. Euro belaufen – und das bei einem Produkt, dessen „Return on Investment“ für die Betreiber noch keineswegs feststeht. Welcher verantwortungsbewusste Betriebswirt würde derartige Summen investieren, wenn noch völlig unklar ist, wann und wie sich diese Investition rechnen wird?
Die Welt ist heute eine andere als vor den COVID-19-Lockdowns. Unsere Abhängigkeit von drahtlosen Diensten hat dramatisch zugenommen, ebenso die Nachfrage nach mehr Geschwindigkeit und Bandbreite. Es wäre fahrlässig zu glauben, dass der mobile Datenverkehr mit dem Ausrollen der Impfstoffe und der Rückkehr zur „Normalität“ in Deutschland wieder abnehmen wird. Langsame Netzwerke sind schlichtweg inakzeptabel geworden. Alle Betreiber arbeiten mit Hochdruck daran, den Nutzern bessere Netze zur Verfügung zu stellen. In vielerlei Hinsicht könnte die Pandemie der Katalysator gewesen sein, um die 5G-Infrastruktur und -Einführung zu beschleunigen.
Kurzfristige Auswirkungen der 5G-Technologie
Da es sich um eine anwendungsbasierte Technologie handelt, werden wir den vollen Nutzen von 5G erst kennen, wenn es „da“ ist, was weitere fünf bis zehn Jahre dauern wird. Bis dahin sehen wir zwei Arten von kurzfristigen Auswirkungen: Wie die bereits bestehenden Anwendungen in 5G-Netzen funktionieren und wie 5G die Wirtschaft schon während seiner Einführung beeinflusst.
Auch wenn 5G anwendungsbasiert ist, werden die heutigen mobilen Anwendungen nicht verschwinden, wenn die nächste Generation des Mobilfunks implementiert ist. Vielmehr werden sie unter 5G einen Leistungsschub erfahren, z.B. schnellere Downloads, verbessertes Streaming und Gaming oder zuverlässigere Videokonferenzen. Mobilfunkbetreiber, die diesen Unterschied für sich nutzen können, werden definitiv zu den Gewinnern der Entwicklung zählen.
Der andere Blickwinkel, durch den man die kurzfristigen Auswirkungen von 5G betrachten kann, ist der Nutzen für die Wirtschaft. Der Umsatz auf dem Mobilfunkmarkt in Deutschland belief sich im Jahr 2020 auf insgesamt rund 25,6 Milliarden Euro. Diese Zahlen dürften mit 5G noch steigen. Laut einer für die USA durchgeführten Studie der Boston Consulting Group wird 5G dort zwischen 400 und 500 Milliarden Dollar zum Bruttoinlandsprodukt beitragen und zwischen 2020 und 2030 bis zu eine Million neue Arbeitsplätze schaffen.
Auch wenn diese Zahlen bereits beeindruckend erscheinen: Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines neuen Mobilfunknetzes wurden schon mindestens einmal unterschätzt. Untersuchungen zu Beginn der 4G-Einführung gingen beispielsweise davon aus, dass die Investitionen in 4G-Netze in den USA von 2012 bis 2016 etwa 73 bis 151 Milliarden US-Dollar zum BIP beitragen und 371.000 bis 771.000 neue Arbeitsplätze schaffen würden. Bis 2016 trug 4G jedoch fast 445 Milliarden US-Dollar zum BIP bei. Im Laufe des „4G-Jahrzehnts“ wurden allein in den USA mehr als 20 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.
In diesem Sinne ist der wahre Einfluss von 5G wahrscheinlich noch einmal deutlich höher, als wir es derzeit umreißen.
Ein Blick in das Potenzial von 5G
Die kurzfristigen Auswirkungen von 5G sind zwar anhand der Anwendungsleistung und des BIP-Wachstums quantifizierbar, berücksichtigen aber noch immer nicht den weiteren Effekt des 5G-Ökosystems. Damit 5G wirklich Fuß fassen kann, muss die Branche den „Business Case“ der Technologie nachweisen. Warum sonst sollten weiterhin Investitionen in den Sektor fließen? Wie Anwendungsfälle für 5G entwickeln, ohne 5G zu nutzen? Es ist das ultimative Henne-Ei-Szenario. Was also kommt zuerst, die Technologie oder die Anwendung?
Bei 4G war es die Technologie. Anwendung versus Netzwerk war bei 4G nie ein Thema, weil 4G inhaltsorientiert war. Die Verbraucher wollten schnellere Geschwindigkeiten, um Filme zu streamen, online zu gehen und allgemein mobiles Internet zu nutzen. Während 4G jedoch einen großen Schritt nach vorne für die Art und Weise darstellte, wie Mobilfunknutzer Inhalte konsumieren, kam die Technologie erst durch das Aufkommen gewisser Anwendungen zum Durchbruch. Durch sie lernten Entwickler, was die Technologie leisten konnte und es entstanden Produkte und Dienstleistungen wie etwa Uber, die 4G zur Übertragung von Daten und Standorten nutzten – und unser Leben veränderten.
Bei 5G ist das ganz anders. Im Gegensatz zu 4G fehlt bei 5G ein grundlegendes Netzwerk, damit Entwickler überhaupt mit der Entwicklung von Anwendungen beginnen können. Das liegt daran, dass wir noch nicht wissen, was 5G wirklich leisten kann. Wir wissen auch nicht, wie Anwendungen die nahezu Null-Latenzzeit und die IoT-Funktionen nutzen werden. Folglich ist es unmöglich, die wahren Auswirkungen von 5G zu beurteilen. Die theoretischen Möglichkeiten sind endlos. Im Kern geht es bei 5G um Echtzeit-Verbindungen und die Verbindung zu Allem und Jedem. Sobald das erste Geschäftsmodell etabliert ist, das die Möglichkeiten von 5G nutzt, wird der ROI wahrscheinlich größer sein, als irgendjemand heute vorhersagt. So wie Uber einen Ride-Sharing-Markt geschaffen hat, der ohne 4G unmöglich gewesen wäre, können Unternehmen, die klug auf ihre Kunden hören, mit 5G die nächste große Nische finden.
Was kommt als nächstes?
Jede neue Technologiegeneration hat Verbesserungen mit schnelleren und zuverlässigeren Verbindungen gebracht. Seit der Einführung von 4G/LTE hat Mobilfunk die Art und Weise verändert, wie Menschen arbeiten, leben, sich fortbewegen oder ihre Freizeit verbringen. Doch wo diese Fortschritte schon astronomisch waren, wird 5G sie bei Weitem in den Schatten stellen. Niemand kann vorhersagen, was die Zukunft bringen wird, aber das grenzenloses Potenzial von 5G steht außer Frage. Bleibt nur noch abzuwarten, wie, wann und von wem das enorme Potenzial dieser Technologie voll ausgeschöpft werden wird.
Tom Leddo, Chief Strategy Officer von MD7, www.md7.com/de/