Mehrere Milliarden Euro fließen nach Frankfurt und Umgebung, um Standorte für Rechenzentren aufzubauen. Das Wachstum ist hier so groß wie nirgendwo sonst in Europa. Vor Ort sorgt das nicht nur für Freude.
Video-Konferenzen im Home-Office, Seriengucken und Computerspielen übers Internet: Auch befeuert von der Corona-Pandemie steigt die Nachfrage bei den Online-Diensten und damit die Zahl von Rechenzentren, in denen die Unternehmen ihre Server betreiben können. Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet seien der am schnellsten wachsende Standort in Europa, sagt Ralph Hintemann vom Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Das Wachstum der Kapazitäten sei im Jahr 2021 noch stärker ausgefallen als 2020.
Riesiger Strombedarf, immense Abwärme und hoher Platzbedarf bei relativ geringem Aufbau von Arbeitsplätzen – in den betroffenen Kommunen bedeutet die Ansiedelung von Rechenzentren neben willkommenen Steuereinnahmen jedoch auch Probleme.
Frankfurt will bald eingreifen, das Planungsdezernat hat dazu ein Konzept erstellt. Für Anfang 2022 werde ein Beschluss im Magistrat der Mainmetropole erwartet, sagt Dezernatssprecher Mark Gellert. Die Rechenzentren sollen auf bestimmte Gewerbegebiete beschränkt werden, unter anderem, um die Verdrängung klassischer Industrien oder Handwerksbetriebe zu verhindern. Auch Vorgaben zur Energieeffizienz und Gebäudegestaltung sind angedacht, hier ist das konkrete Vorgehen der Stadt allerdings noch nicht geklärt.
Großes Rechenzentrum in Hanau geplant
Rund 60 unternehmensunabhängige Rechenzentren zählt Frankfurt bisher, zahlreiche weitere sind geplant. Auf dem ehemaligen Neckermann-Gelände im Osten soll für rund eine Milliarde Euro ein ganzer Campus für Rechenzentren des Betreibers Interxion entstehen. Der US-Konzern Equinix hat eine Investition in ähnlicher Höhe angekündigt. Magnet ist einer der weltgrößten Internetknoten mit dem Namen DE-CIX, der sich in Frankfurt befindet.
Auch im Frankfurter Umland will man von dieser Nachbarschaft profitieren. In Hanau beispielsweise ist der frühere Atombunker im Stadtteil Wolfgang für ein neues Rechenzentrum des Internetgiganten Google gewichen. Auf einer Fläche von 10 000 Quadratmetern entsteht hier Recheninfrastruktur für die wachsende Nachfrage nach Cloud-Diensten – rund 20 Kilometer entfernt von DE-CIX in Frankfurt.
Ein weiteres, noch weitaus größeres Rechenzentrum soll auf dem Gelände der ehemaligen Großauheim-Kaserne in Hanau hinzukommen. Sein Stromverbrauch entspricht im Endausbau dem Doppelten des Jahresverbrauchs der gesamten Stadt Hanau. Das Kasernengelände soll dafür zu einem Gewerbezentrum umgewandelt werden. Auf dem Gelände mit einer Gesamtfläche von 38 Hektar sind auch vier Blockheizkraftwerke zur Fernwärmeerzeugung, ein Umspannwerk sowie eine Photovoltaikanlage vorgesehen, deren Stromerzeugung in das Rechenzentrum fließen soll.
Beide Areale hätten sich für andere Projekte wie eine Wohnbebauung nicht nutzen lassen, sagt Hanaus Wirtschaftsförderin Erika Schulte. Zwar interessierten sich auch Logistiker für das frühere Kasernengelände – doch das wäre angesichts der großen Lärm- und Verkehrsbelastung für die Anwohner nicht zumutbar gewesen. Brach liegen lassen wollte die Stadt das versiegelte Gelände aber auch nicht. «Auch das gehört zur Nachhaltigkeit», sagt Schulte. Zudem soll das Vorhaben nach den Kriterien des «Blauer Engel» ausgelegt werden, dessen Ziel der umweltschonende Betrieb von Rechenzentren ist.
Kommunen kommen auf den Geschmack
Bei der Entscheidung für die Ansiedlungen habe man neben den Gewerbesteuereinnahmen auch neue Firmen im Umfeld im Blick gehabt. Infrage kämen etwa IT-Unternehmen, Finanzdienstleister und Start-ups, die schnelle Rechnerleistung brauchen oder Dienstleister wie Sicherheits- und Hausmeisterdienste, sagt Schulte. Für Rechenzentren spreche, dass es sich um eine exportunabhängige, zukunftsträchtige und für die Daseinsfürsorge wichtige Branche handle.
Der wachsende Bedarf nach Serverleistung lockt auch andere Kommunen – so die Gemeinde Schöneck im Main-Kinzig-Kreis. Hier ist in einem Gewerbegebiet am Rande des Ortsteils Kilianstädten auf einem knapp zwölf Hektar großen Gelände die Ansiedlung eines Rechenzentrums geplant. Noch aber seien auch mit Blick auf Naturschutzbelange «dicke Bretter zu bohren», sagt Bürgermeisterin Cornelia Rück (SPD). So ist an dem Areal ein Feldhamsterbau entdeckt worden. «Das muss äußerst sensibel abgearbeitet werden. Wir können die Ansiedlung nur vorantreiben, wenn wir Baurecht bekommen», so die Bürgermeisterin. Neben Gewerbesteuereinnahmen setzt sie auf rund 100 hochqualifizierte Jobs, die in dem neuen Rechenzentrum sukzessive entstehen sollen.
Im Mai 2021 hatten die Gemeindevertreter den Weg für eine Änderung des Regionalen Flächennutzungsplans frei gemacht. Kritik gab es etwa an der Versiegelung wertvollen Ackerbodens für das Projekt – ein Punkt, der sich nicht wegdiskutieren lasse, sagt Rück. «Ich kann auch die Naturschützer und die Landwirte verstehen, die ihre Belange im Blick haben.» Generell gehe es bei dem Vorhaben darum, alle Belange ins Gleichgewicht zu bringen.
Die Branche bemühe sich um mehr Energieeffizienz, die Steigerung könne aber mit dem Wachstum nicht mithalten, sagt Hintemann vom Borderstep Institut. In Frankfurt könnten theoretisch mit der Abwärme von Rechenzentren ganze Stadtteile geheizt werden. In einem Pilotvorhaben im Westen der Metropole will das Unternehmen Telehouse Abwärme eines seiner Rechenzentren in ein direkt nebenan entstehendes Wohnquartier leiten und so einen Teil der Heizenergie liefern.
Um hier in größerem Maßstab tätig zu werden, müssten noch viele Hürden überwunden werden, sagt Experte Hintemann. Denn die Abwärme eines Rechenzentrums sei mit rund 30 Grad nicht warm genug für eine direkte Einspeisung ins Fernwärmenetz. Und nicht überall gebe es ein neu entstehendes Wohnquartier direkt nebenan. «Im besten Fall wird die Frage künftig bei der Standortplanung gleich mitbedacht.»
Auch in Hanau war das ein Thema, wie Wirtschaftsförderin Schulte sagt: Noch lasse sich die Abwärme des künftigen Rechenzentrums auf dem ehemaligen Kasernengelände nicht nutzen – auch weil es dort in unmittelbarer Nähe keine Wohnbebauung mit einem Nahwärmenetz gibt. Die künftigen Betreiber wurden aber darauf verpflichtet, der Stadt die Abwärme zur Verfügung zu stellen, wenn die Technik so weit ist und die Stadt sie nutzen kann.
Isabell Scheuplein und Christine Schultze, dpa