Spätestens seit der Vorstellung des neuen, stabilen Majorana-Chips von Microsoft ist klar: Quantencomputer könnten schneller als erwartet Fortschritte machen und innerhalb der nächsten fünf Jahre für bestimmte Aufgaben eine überlegene Alternative zum klassischen Computing darstellen. Für Unternehmen gilt es, eigene Anwendungsfälle zu identifizieren und mit der Technologie zu experimentieren.
Auf Probleme, die unlösbar erscheinen, sekundenschnell eine Antwort finden – das erhofft man sich, vereinfacht ausgedrückt, von Quantencomputern. Die fundamental neue Technologie gehört zu den zukunftsweisenden Trends und ist mittlerweile weit über die abstrakten theoretischen Modelle hinaus entwickelt. Stand heute arbeiten Quantencomputer mit 1.000 Qubits, interessant wird es ab einer Million. Auch wenn bis zur breiten praktischen Nutzung noch einige Jahre vergehen werden, sollten sich Unternehmen schon jetzt mit dem Thema beschäftigen und die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Denn wenn der Durchbruch einmal geschafft ist, haben Quantencomputer eine disruptive Wirkung.
Langfristig gesehen, kann die Technologie mit ihrer enormen Rechenleistung und Skalierbarkeit eine zentrale Bedeutung für die Geschäftswelt haben. Dadurch, dass Gruppen von Qubits komplexe, mehrdimensionale Rechenräume schaffen, sind sie in der Lage, konkrete Problemstellungen direkter abzubilden und einfacher zu lösen. Die Berechnung verschiedener Variablen erfolgt parallel in Echtzeit in nur einem Schritt. Dies bietet Potenziale in den Bereichen Optimierung, neuronale Netze, künstlicher Intelligenz, maschinelles Lernen, Simulation, Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, Modellierung sowie effizienter Fehlerminderung und -korrektur.
Blick auf Quantencomputing in Indien
Ein Land, in dem sich Quantencomputing derzeit schnell weiterentwickelt, ist Indien. Mit der National Quantum Mission fördert die Regierung den Aufbau von Hubs zwischen führenden Institutionen, die sich mit Quantencomputing, -kommunikation, -sensorik und -geräten beschäftigen. Im Fokus stehen Initiativen, die an neuen quantenbasierten Ansätzen für konkrete industrielle Anwendungsfälle forschen. Im kommerziellen Bereich ist dies insbesondere für die Branchen Pharma, Produktion und Logistik, Materialwissenschaften und Chemie, Finanzen sowie Energie interessant; auf staatlicher Ebene für abhörsichere Kommunikationsverfahren und Cybersicherheit.
Ein Beispiel ist das QLab von Nagarro. Hier werden Möglichkeiten von Quantencomputing für verschiedenste Branchen unter die Lupe genommen. In der Logistik könnte die Technologie in Zukunft eingesetzt werden, um die Lagerplanung frühzeitig an aktuelle Bestellungen anzupassen, die beste Lieferroute zu errechnen, Flugzeuge optimal zu beladen und Sendungen im Paketzentrum vorausschauend zu sortieren. In der Quantenchemie könnten Quantencomputer molekulares Verhalten bei chemischen Reaktionen simulieren. Diese Simulationen ermöglichen wiederum tiefgehende Forschung in den Materialwissenschaften mit dem Ergebnis, dass klinische Studien effizienter durchgeführt und neue Produkte besser formuliert werden können.
Ähnliches ist im Bereich Medizin, bei der Arzneimittelentwicklung, verbesserter Bildgebung, Diagnose und Behandlung, denkbar. Erforscht werden auch Lösungen für die Finanzbranche. Dazu gehören Anwendungsfälle wie die Beurteilung der Kreditwürdigkeit sowie Bonitätsbewertungen, die optimale Mischung verschiedener Finanzinstrumente, die Portfoliooptimierung, um Anlagerisiken zu minimieren und Erträge zu maximieren, und die Nutzung von Algorithmen wie Quantum-Monte-Carlo-Simulationen, um genauere Vorhersagen von Vermögenswerten zu treffen.
Die größten Herausforderungen bestehen aktuell in der Suche nach Talenten mit wissenschaftlichen und technischen Kompetenzen, der entsprechenden Infrastruktur sowie der Bereitschaft von Unternehmen, erst in einigen Jahren einen Return-on-Invest in Innovationen zu erhalten. Hier kommt es auf das richtige Mindset an: Zu experimentieren, sich Fehler zu erlauben und kontinuierliche Anpassungen vorzunehmen.
Eigene Anwendungsfälle per QaaS austesten
Stichwort: Experimentieren. Unternehmen haben schon heute diverse Möglichkeiten, sich Quantencomputing „as-a-Service“ zunutze zu machen. Sie können Rechenleistung auf Quantenrechnern einkaufen, über die Cloud auf reale, anwenderspezifische Quantenhardware von Herstellern zugreifen und Software-Frameworks, Tutorials und Codedokumentationen für die Programmierung eigener Hardware per Phyton oder Open Source wie OpenQASM und OpenJDK nutzen.
Die Vorteile von On-Premise-Lösungen: Unternehmen benötigen keinen eigenen Quantencomputer – sie erhalten relativ kostengünstig Zugang zu Ressourcen und Fachwissen und können für ihre Zwecke mit Technologien experimentieren. Hier geht es in erster Linie darum, Hardware, Algorithmen sowie Software für bestimmte industrielle Anwendungsfälle zu entwickeln, bereits etablierte Quantenalgorithmen in eigene Programmiercodes oder in Maschine-Learning-Frameworks zu integrieren und testen, und zukünftige Hardware auf bestehende Algorithmen so zu optimieren, dass sie leistungsfähiger und weniger fehleranfällig sind.
Mehrwerte entstehen dabei nicht nur für Unternehmen selbst: mit solchen Initiativen wächst auch das Ökosystem rund um Quantencomputing. In Deutschland gibt es schon einige regionale und bundesweite Anlaufstellen wie das Munich Quantum Valley, die Fraunhofer-Institute, das Quantum Technology and Application Consortium und PlanQK, die Forschung und Wirtschaft zusammenführen, gemeinsam Anwendungsfälle erarbeiten und Standardisierungsbedarfe identifizieren. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, Talente zu halten, Kooperationen zu schließen und Industrieanreize für die praktische Umsetzung zu schaffen.
Gemeinsam die ersten Schritte gehen
Die Hürde, in Quantencomputing einzusteigen, ist derzeit noch höher als bei künstlicher Intelligenz mit Tools wie ChatGPT. Unternehmen sollten sich daher einen Partner suchen, der mit ihnen die ersten Schritt geht, kreativ wird und Impulse setzt. Zunächst geht es darum, das Thema zu verstehen und herauszufinden, welche Probleme sich mit der Technologie lösen lassen und welche Erwartungen sich wahrscheinlich nicht erfüllen. Gemeinsam können geeignete Use Cases identifiziert, Vorgehensweisen erarbeitet und Infrastrukturen aufgebaut werden. Diese Use Cases können von der Verbesserung der Personaleinsatzplanung in der Logistik über die Optimierung von Ladestationen für Elektroautos im Bereich Energie bis hin zu einem effizienten Risikomanagement im Banking reichen.
Danach geht es um konkrete Lösungen: Hier werden anhand einer Roadmap erste Ideen in Pilotprojekte und Prototypen überführt, Methoden angewendet, hybride Algorithmen aus klassischem Computing und Quantencomputing entwickelt, und Proof-of-Concepts mit echten Daten durchgeführt. Wichtig dabei ist, Mitarbeitende mit der Technologie vertraut zu machen und die Anwendung zu schulen.
Im Idealfall arbeitet der Partner mit führenden Herstellern von Quantenhardware zusammen: so erhalten Unternehmen den Zugang zu neuesten Innovationen, können an Betaprogrammen teilnehmen und sich einen Vorsprung bei der Integration von Lösungen in den Geschäftsbetrieb verschaffen. Im letzten Schritt werden die Ansätze implementiert und über verschiedene Geschäftsbereiche hinweg skaliert.