Heutzutage kann kein Unternehmen mehr ohne Datenanalysen florieren. Dennoch scheint es für Unternehmen immer noch eine große Herausforderung zu sein, das volle Potenzial von Daten zu erschließen. Die Demokratisierung von Daten spielt hierbei für Alan Jacobson, Chief Data and Analytics Officer beim Analytics-Automation-Unternehmen Alteryx, eine Schlüsselrolle.
Im Interview erklärt er, warum es für Unternehmen an der Zeit ist, diese für sich zu nutzen.
Herr Jacobson, was ist der aktuelle Stand der Datenanalysen?
Alan Jacobson: Aktuell ist es so, dass Daten überall sind – ausgereifte und vollständig realisierte Datenanalysen jedoch nicht. Weltweit agieren Unternehmen heute in einem Umfeld, das sowohl von Veränderungen als auch von der Geschwindigkeit, mit der sie reagieren können, geprägt ist. Dies wird gerne als „exponentielles Zeitalter“ bezeichnet – also eine Zeit, die durch exponentielles Datenwachstum, exponentiell zunehmende Störungen und einen exponentiell steigenden Bedarf an sofortigen und wertvollen Datenanalysen definiert ist. Daten sind in der heutigen Geschäftswelt in immer größerem Umfang verfügbar. Es gibt viel mehr davon, und mehr Menschen als je zuvor haben Zugang zu ihnen. Während die Möglichkeit, diese Daten zu analysieren, im Laufe der Zeit immer einfacher geworden ist, konnten Unternehmen mit der Nachfrage nach Analysen jedoch nicht Schritt halten. Laut dem International Institute for Analytics (IIA) liegt die Mehrheit der Unternehmen in Bezug auf die Reife ihrer analytischen Fähigkeiten bei nur 2,2 von 5 Punkten, was in der Regel als „Stadium der Tabellenkalkulation“ definiert wird.
Wie steht es hierbei um Deutschland?
Alan Jacobson: Neben der deutschen Bundescloud hat die Bundesregierung nun eine neue Investition in Höhe von 239 Millionen Euro in die Datenwissenschaft vorgenommen, um Wissenslücken zu schließen und Datenlabore in jedem Ministerium sowie im Kanzleramt einzurichten. Dieses Projekt verfolgt das konkrete Ziel, die operative Effizienz zu verbessern, die verfügbaren Ressourcen optimal zu nutzen und dazu beizutragen, aktuelle Defizite zu beheben. Untersuchungen von Brookings zeigen, dass „Deutschland im Vergleich zu anderen wohlhabenden Nationen in internationalen Rankings zur Digitalisierung unterdurchschnittlich abschneidet und trotz Milliardeninvestitionen für unzureichende Fortschritte kritisiert wird“.
Deutschland hinkt bei der Daten- und Datenanalyse-Transformation hinterher, doch das Land treibt seine Datenanalyse-Strategien auch voran, um beispielsweise die Logistik- und Energieversorgungsmärkte mit Digitalisierung und KI zu stärken.
Und wie sieht es in den einzelnen Unternehmen aus?
Alan Jacobson: Laut einer Bitkom-Studie nutzen die Hälfte der deutschen Start-ups Datenanalysen, während das nur durchschnittlich 37 Prozent der deutschen Unternehmen tun. Unsere eigene Studie mit IDC hat gezeigt, dass 74 Prozent der Firmen glauben, die Unternehmenswelt habe sich schneller als je zuvor verändert. 66 Prozent der Deutschen beabsichtigen, ihrer Datananalyse-Strategie in naher Zukunft Vorrang vor allen anderen Technologien einzuräumen. Um diesem Bedarf an schnellerer Business Intelligence (BI) gerecht zu werden, sagen 53 Prozent der deutschen Unternehmen, dass sie bis 2027 mehr als die Hälfte ihrer Entscheidungen durch KI-Datenanalysen treffen wollen. Unternehmen müssen sich heute also zwei Fragen stellen. Erstens: Wie können sie die Nachfrage ihrer Kunden in der Zukunft vorhersehen? Und zweitens, wie können sie diese Nachfrage befriedigen? Die Antwort ist automatisierte Datenanalyse. Damit könnten sie Erkenntnisse aus den riesigen Mengen an Rohdaten gewinnen, die in Deutschland jeden Tag anfallen.
Welches Potenzial bergen Datenanalysen für deutsche Unternehmen?
Alan Jacobson: Einige Unternehmen setzen Datenanalyse ein, um die für 2023 und darüber hinaus erforderliche Widerstandsfähigkeit und den benötigten Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Die IIA-Studie zur Datenanalysekompetenz unterstreicht, dass analytisch ausgereifte Unternehmen in fast jeder verfügbaren Kennzahl besser abschneiden als ihre Konkurrenz. Analysen und Daten haben das Potenzial, ein zentraler Treiber für den betrieblichen und wirtschaftlichen Wandel in Deutschland zu werden, vorausgesetzt, sie werden verstanden und integriert. Doch viele Unternehmen stecken noch immer in der Tabellenkalkulations-Ära fest.
Was bedeutet aus Ihrer Sicht die Demokratisierung von Datenanalysen?
Alan Jacobson: Daten sind der Motor der modernen Business Intelligence. Dieser Motor muss durch menschliches Fachwissen und die richtigen Technologien angetrieben werden. Demokratisierung bedeutet dementsprechend, die Welt der Datenanalyse der gesamten Belegschaft zu öffnen und Menschen, die keine qualifizierten Datenwissenschaftler oder erfahrenen Analysten sind, mit intelligenten Werkzeugen auszustatten. Dadurch ist es ihnen möglich, wichtige Geschäftserkenntnisse auf genau die gleiche Weise wie Datenwissenschaftler zu gewinnen. Die Demokratisierung der Datenanalyse bedeutet also, kurz gesagt, den Mitarbeitenden, die am besten in der Lage sind, ein Geschäftsproblem zu lösen, die benötigten Werkzeuge an die Hand zu geben, um es tatsächlich tun können. Und in den meisten Fällen gehören diese Personen nicht zum Data-Science-Team.
Wie kann diese Demokratisierung in Unternehmen genau aussehen?
Alan Jacobson: In der Fertigung ist es ähnlich zu einem langjährigen Mitarbeiter, der anhand der Geräusche einer Maschine erkennt, dass etwas nicht stimmt. Wenn Sie in der Logistik nach der optimalen Route für eine Lieferung suchen, würden Sie den Fahrer fragen – nicht den Datenwissenschaftler. Während Datenwissenschaftler Makrotrends berücksichtigen, sind diese Mitarbeiter in der Lage, Mikroveränderungen zu erkennen, die für alle anderen möglicherweise unsichtbar sind. Diese Demokratisierung von Daten und der Analyse, bei der jeder Wissensarbeiter Datenerkenntnisse nutzen kann, treibt Maßnahmen voran, verbessert Prozesse, mindert Risiken und steigert die Effizienz im gesamten Unternehmen.
Warum können manche Unternehmen besser als andere, einen Mehrwert aus Daten ziehen?
Alan Jacobson: Das Alleinstellungsmerkmal der profitabelsten Unternehmen der Welt liegt wohl nicht in Bargeldreserven oder Immobilien, sondern in ihrer Fähigkeit, ihre gespeicherten Daten in großem Umfang zu erfassen, zu analysieren und zu nutzen, um bessere und effektivere Entscheidungen zu treffen. Die höchste Stufe der IIA-Skala zur analytischen Reife wird als „disruptiv“ bezeichnet. Disruptive Unternehmen leisten so gute Arbeit mit Daten, dass sie ihren Markt aktiv verändern. Doch die Organisationen, die in der Lage sind, Analysen in diesem Umfang zu nutzen, sind erwartungsgemäß rar. Hochertragreiche Analysen müssen nicht unbedingt weltbewegend sein. Einige der wirkungsvollsten Erkenntnisse waren kleine Maßnahmen, die zu einem umfassenden Wandel in einem Unternehmen geführt haben.
Deutsche Unternehmen durchleben derzeit eine weitere Periode wirtschaftlicher Unsicherheit – und das zu Beginn eines Jahrzehnts, das von starken Störungen geprägt war. Daher suchen sie nach Technologien, die heute und nicht erst in fünf Jahren eine Rendite liefern. Datenanalysen mit einer hohen Rendite können so einfach sein wie die Wahl einer effizienteren Route und die daraus hervorgehende Einsparung von Kraftstoff.
Da die Mehrheit der Unternehmen weltweit immer noch mit Tabellenkalkulationen arbeitet, gibt es noch viel Potenzial für Verbesserung. Bestimmte Verhaltensweisen lassen sich angesichts der Vielfalt der heutigen Branchen nur schwer in Zahlen ausdrücken: Was für das eine Unternehmen profitable Ergebnisse liefert, kann für ein anderes eine glanzlose Strategie sein. Eine hochertragreiche Datenanalyse bedeutet spezifische Daten für jeden Geschäftsbereich zu verwenden, um die Effizienz zu steigern – sei es in Form von Umsatzsteigerungen, Kosteneinsparungen oder einfach durch eine höhere Lebensspanne eines Maschinenteils.
Wie verhalten sich Unternehmen, die bereits erfolgreich einen hohen Ertrag aus Daten erzielt haben?
Alan Jacobson: Unternehmen, die mit ihren Datenstrategien einen hohen Ertrag erzielt haben, weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Sie haben verstanden, dass die Erzielung einer hohen Kapitalrendite aus Daten eine Reise ist, kein Ziel. Sie haben Datensilos abgebaut und eine Datenkultur entwickelt, die alle Qualifikationsniveaus und Fachgebiete einbezieht. Sie haben einen umfassenden Überblick darüber, wo sich ihre Daten befinden, wie sie entstanden sind und warum sie erhoben wurden. Außerdem treffen sie Entscheidungen basierend auf der Datenanalyse, anstatt sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen.
Weiterhin verfügen sie über eine solide Datenstrategie, die sowohl die Weiterbildung von Mitarbeitenden, die Benutzerfreundlichkeit über mehrere Abteilungen hinweg sowie Investitionen in Technologien berücksichtigt. Das Data-Science-Team arbeitet mit Unterstützung des gesamten Unternehmens, anstatt isoliert und abgeschottet zu sein. Letztendlich verfügen sie auch über planbare, sichtbare und vertrauenswürdige Datenpipelines zur Beschaffung und Aufnahme neuer Daten – und berücksichtigen dabei Governance, Souveränität und Best Practices.