Datenprobleme können tückische Folgen haben: So fanden im Frühjahr 2019 85 Kunden der Haiwaiian Airlines, die Meilen für Prämientickets eingelöst hatten, Abbuchungen zwischen 17.500 bis 674.000 Dollar auf ihren Kreditkarten. Das Reservierungssystem hatte die Kundenkonten versehentlich in Dollar statt in Flugmeilen belastete.
Das Problem wurde noch dadurch verschärft, dass auch Buchungen durchgingen, die die Kreditkartenlimits deutlich überstiegen. Eine Kundin berichtete, ihr seien fälschlicherweise mehr als 150.000 Dollar in Rechnung gestellt worden, obwohl sie ein Limit von 10.000 Dollar auf ihrer HawaiianMiles-Kreditkarte hat. Und sie war nicht die einzige.
Seit zig Jahren wird über die Notwendigkeit eines professionellen Datenmanagements, über den Nutzen hoher Datenqualität etc. geredet, und doch wird man das Gefühl nicht los, alle drehen sich im Kreis. Alle sind sich einig, das Thema ist irgendwie wichtig, passieren tut aber nicht allzu viel. Und wenn etwas passiert, dann ist es bis dahin recht mühsam, im Unternehmen Akzeptanz auf der obersten Führungsebene zu finden und last but not least das erforderliche Budget genehmigt zu bekommen. Fragt man sich, woran es liegen mag, dass nach unzähligen Studien, Umfragen, Vorträgen und Fachbeiträgen, nach „Daten sind das neue Öl”-Statements das Thema Datenmanagement noch immer so stiefmütterlich behandelt wird, kommt einem der Gedanke: Viele Unternehmen haben anscheinend keine wirklichen „Schmerzen” – trotz der vorhandenen Datenprobleme. Anders ausgedrückt: Die „Schmerzen” sind offensichtlich zu klein, um die Investition in eine professionelle Datenmanagement-Lösung zu rechtfertigen.
It’s the cost, stupid
Nun könnte man annehmen, die Unternehmensleitungen müssten doch für das Thema Datenmanagement zu gewinnen sein, wenn ihnen die Kosten schlechter Datenqualität transparent gemacht werden. Nur passiert das zumeist nicht: Laut dem Gartner Data Quality Market Survey messen fast 60 Prozent der Unternehmen die jährlichen finanziellen Kosten von Daten schlechter Qualität nicht. Nach der Gartner-Umfrage belaufen sich die durchschnittlichen jährlichen Finanzkosten je Unternehmen auf 15 Millionen US-Dollar. Das sind die direkten Kosten. Unternehmen sind aber nicht nur finanziell betroffen. Schlechte Datenqualitätspraktiken untergraben digitale Initiativen, schwächen ihre Wettbewerbsfähigkeit und säen Misstrauen der Kunden.
Schlechte Datenqualitätspraktiken untergraben digitale Initiativen, schwächen ihre Wettbewerbsfähigkeit und säen Misstrauen der Kunden.
Christian Sohn, Managing Director, zetVisions GmbH, www.zetvisions.de
Es gibt weitere Zahlen: Thomas C. Redman, Gründer von Data Quality Solutions und in der Community als „the Data Doc“ bekannt, schätzt in einem Beitrag für den Sloan Management Review des MIT, dass die Kosten schlechter Daten für die meisten Unternehmen bei 15 bis 25 Prozent des Umsatzes liegen. Dabei sind die Kosten, die Unternehmen durch wütende Kunden und Fehlentscheidungen entstehen, noch nicht einmal messbar – in jedem Fall aber enorm.
Soweit die schlechte Botschaft. Die gute lautet: Schätzungsweise zwei Drittel der messbaren Kosten können laut Redman identifiziert und dauerhaft beseitigt werden.
Dafür müssten man aber die entsprechenden Prozesse Schritt für Schritt dokumentieren und messen. Das machen die wenigsten. Davon weiß auch Jürg Hofer, Teamleiter Enterprise Architect bei der Emmi Schweiz AG, zu berichten. Nach seiner Erfahrung funktioniert das Thema Kosten als Trigger für Datenmanagement nur selten, da zum einen durch diesbezügliche Maßnahmen in der Regel keine Kosten direkt reduziert werden (Personalabbau), und zum anderen die Mitarbeiter durch Korrektureingriffe verhindern, dass schlechte Datenqualität zu Schäden führt. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung wird das aber nicht mehr funktionieren. Der Grund: Die manuellen Schritte, bei denen während eines Prozesses von der Datenentstehung bis zum Vertrieb Menschen einen Blick auf die Daten hatten und korrigierend eingreifen konnten, gibt es immer weniger. „Die ‚biologischen Kontrollmechanismen’ fallen weg”, sagt Hofer. „Das heißt aber: Ich brauche IT-gestützte Prozesse mit entsprechenden Prüfmechanismen, die die Rolle der Menschen übernehmen, und das kostet Geld.“
Argumente pro Datenmanagement
Auch wenn viele Unternehmen erfahrungsgemäß kaum in der Lage sind, die Kosten schlechter Datenqualität mit harten Fakten, also mit Zahlen zu belegen, wissen sie gleichwohl: Bei fehlerhaften Kunden- und Lieferantenstammdaten entstehen ihnen beispielsweise Kosten für Fehllieferungen und -bestellungen, Porto-und Arbeitskosten für Mailingrückläufer und hoher Arbeitsaufwand für Bereinigung und Fehlerkorrekturen. Zudem haben sie oftmals keinen Überblick über das Bestellvolumen bei demselben Lieferanten, was zu hohe Preise im Einkauf zur Folge hat. Mangelhafte Materialstammdaten erzeugen Kosten etwa durch zu niedrig ausgewiesene Rechnungsposten aufgrund fehlerhafter Stücklisten und zu hohe Logistikkosten durch falsche Gewichte. Vermehrte Reklamationen wegen fehlerhafter Lieferungen, falsche Materialbestellungen und Produktionsstillstände wegen fehlender Materialien sind weitere Kostentreiber.
Jenseits der reinen Kosten gibt es weitere Ansatzpunkte, um die Bedeutung eines professionellen Datenmanagements im Unternehmen zu verdeutlichen. Dazu zählt unter anderem das enorme Wachstum der Datenmenge. Um einmal die Dimension des Problems anschaulich zu machen, folgendes Beispiel von VW: Das Unternehmen produziert an weltweit 118 Standorten rund 40.000 Autos pro Tag. Dazu bedarf es einer Milliarde Teile (25.000 Teile pro Auto) und 1,25 Milliarden Arbeitsgänge pro Tag (fünf Arbeitsgänge pro Teil, 25 Prozent Eigenfertigungsanteil). Für jeden dieser Arbeitsgänge gibt es Auftragsdaten, Maschinendaten, Fertigungshilfsmitteldaten, Lager- und Materialdaten, Prozessdaten, Qualitätsdaten und Personaldaten. Hinzu kommen Daten zu den außerhalb der Fertigung liegenden Prozessen, wie beispielsweise für Vertrieb, Einkauf, Logistik, Verwaltung und Management. Der zentrale Punkt der Smart Factory, so heißt es folgerichtig bei Audi, ist die Beherrschung der enormen Datenströme. Allein der Karosseriebau für den Audi A3 produzierte bereits vor ein paar Jahren täglich 200 Gigabyte Daten. Wenn aber erst einmal alle Maschinen mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattet sind, wenn alle wesentlichen Teile eines Automobils selbst wissen, dass sie in Ordnung sind und an der richtigen Stelle sitzen – dann müssen in einer unvorstellbaren Komplexität noch ganz andere Datenmengen verarbeitet werden, so Audi.
Auch die regulatorischen Anforderungen seitens des Gesetzgebers sind ein wichtiges Argument pro Datenmanagement. Die Nicht-Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien (Compliance) kann schnell Millionen kosten, womit wir dann doch bei „Schmerzen” angekommen sind.
Folgerichtig ist für Jürg Hofer Datenmanagement für jedes Unternehmen eine unabdingbare Voraussetzung, um mit den Anforderungen der Digitalisierung seitens Behörden, der Kunden und Lieferanten mithalten zu können. Es drohen Verluste von Kunden und Marktanteilen oder empfindliche Strafen, wenn hier nicht investiert wird und die Unternehmen auf der Höhe der Zeit agieren können.
Eine Erkenntnis bleibt auch heute weiter richtig: Ein professionelles Datenmanagement kostet Geld, schlechte Datenqualität kostet schnell sehr viel mehr Geld.