Gescheiterte Innovationen und Prognosen für die Zukunft

2009_klein.png Eigensinnige Technik: Die Tops und Flops des vergangenen Jahres.

Der technische Fortschritt ist unberechenbar und eigensin-nig, meint der FAZ-Redakteur Michael Spehr und analy-siert die Tops und Flops des vergangenen Jahres: In Fach-zeitschriften war die Rede vom Siegeszug der OLED-Dis-plays, die ein sehr kontrastreiches Bild liefern, von Brenn-stoffzellen als alternativer Stromversorgung elektroni-scher Kleingeräte, von der Durchsetzung des DVB-H-Standards für mobilen Fernsehempfang mit dem Handy. Dann sollte die Bluray-Scheibe der DVD den Garaus machen und USB 3.0 mehr Tempo bei der Datenübertragung bieten. Die Handy-Magazine präsentierten Nokias „iPhone-Killer" mit berührungsem-pfindlichem Display, und die PC-Zeitschriften beschworen in der Computerwelt das Credo von „noch mehr Leistung" mit Achtkernprozessoren und dass natür-lich alles immer schneller und besser wird.

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Immer alles anders…  

„Keiner dieser Hellseher lag richtig, DVB-H wurde zum Technik-Flop des Jah-res, USB 3.0 ist gerade mal angekündigt worden, und die Bluray verkauft sich nur sehr verhalten. Der Markt hat sich vollkommen anders entwickelt. Das Paradebeispiel ist der Überraschungserfolg der Netbooks, der kleinen Mini-No-tebooks in der Preisklasse von um die 400 Euro, die allemal genug Leistung für Internet, E-Mail und Textverarbeitung bieten und ausnahmslos unter Windows XP laufen. Für Standardaufgaben am PC braucht kein Mensch einen Achtkern-prozessor, und das ressourcenhungrige Vista hat paradoxerweise nicht zu dem erwarteten Ansturm auf neue PCs mit mehr Rechenleistung und Speicher ge-führt, sondern zu einem neuen Trend, der sich besinnt auf Werte wie Nachhal-tigkeit und Effizienz", so Spehr. Das erkläre auch den Erfolg der Mac-Rechner von Apple: Sie sind schick, schnuckelig, schnell, sicher, selbsterklärend und werden auch in diesem Jahr ihren Marktanteil gewaltig vergrößern.

als man denkt

„Auch bei der Software lief alles anders als vorhergesehen: weg von der Opu-lenz überdimensionierter Pakete hin zu kompakten und schlichten Program-men, die genau das tun, was sie sollen, und auf nervigen Schnickschnack ver-zichten. Solche Anwendungen kommen meist aus der Open-Source-Bewegung, wie der Firefox-Browser 3 oder das Büropaket Open Office 3, das sich hinter einem Microsoft Office nicht zu verstecken braucht. Alle diese Programme sind kostenlos, klar dokumentiert und haben keine Falltüren à la Zwangsregistrie-rung oder Kopierschutz", erklärt Spehr. Generell werde Mammut-Software aus-sterben und mit ihr jene Unternehmen, die das nicht begreifen. Man müsse nicht mehr alles mitmachen, was die Industrie als „neu" oder „modern" an-preist. Einfache, faire und überschaubare Produkte seien stärker denn je ge-fragt, etwa die Flatrate fürs Telefonieren und in diesem Jahr die Datenflatrate, die einen endlich unabhängig macht vom DSL-Anschluss der Telekom.  Zudem wachse das Unbehagen gegenüber Gängelungen.

„Die Macht der Meinungen im Internet wird stärker. Bewertungsportale, Foren und private Seiten legen Finger in die Wunden und werden von potentiellen Käufern um so mehr gelesen, wie der Technikjournalismus der Fachzeitschrif-ten seine Jubelarien mit hübschen Produktbildern und halbnackten Mädels gar-niert", resümiert Spehr.

Tragfähige Geschäftsmodelle sind das A und O 

Nach Ansicht von Udo Nadolski, Geschäftsführer des Düsseldorfer Beratungs-hauses Harvey Nash,  hängt der Markterfolg neuer Technologien nicht vom Featurismus ab: „Der iPod von Apple in Verbindung mit iTunes ist ein gutes Beispiel hierfür, ebenso das iPhone und der iPod Touch, die ja auch über den iTunes-Store Musik, Videos und Software herunterladen können. Nach nur etwa einem Jahr hat das iPhone den Spitzenplatz unter den verkauften Smart-phones eingenommen, da Komfort wie auch Inhalte den überzeugend sind. Sollte Apple tatsächlich einen XXL-iPod Touch mit 9 bis 10 Zoll Display bringen, könnte das den Markt der so genannten Netbooks noch stärker beflügeln", prognostiziert der IT-Experte Nadolski. Innovationen wie HDSPA, Blu-ray und USB 3.0 seien wirkungslos, solange sie nicht auf tragfähigen Geschäftsmodel-len beruhen und attraktive Dienste für Anwender erbringen. „Das Dilemma bei Mobile TV in Deutschland belegt diese These genauso wie das Scheitern des digitalen Radio-Standards DAB. Wenn sich für den Anwender keine Vorteile hinsichtlich Inhalt, Komfort und Qualität in einem Maße ergeben, dass er bereit ist, dafür extra zu bezahlen, bleibt nur noch eine Finanzierung über Dritte durch Werbung, Kunden-Profiling und andere Dienste. Hat die Anwendung aber noch keine kritische Masse im Markt erreicht, wird auch die Drittfinanzierung nicht funktionieren", sagt Nadolski.

Online-Communities wachsen weiter

Das Problem der Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle stelle sich auch den On-line Communities, die oft als typische Beispiele für das Web 2.0 genannt wer-den. „Mit Ausnahme von Xing ist vermutlich keine der vielfältigen Communities von Facebook bis Wer-kennt-wen? heute profitabel. Der Nutzen gerade der pri-vat orientierten Communities ist zwar für Anwender greifbar, aber die Akzep-tanz und Verbreitung beruht in hohem Maße darauf, dass sie kostenlos sind. Die Drittfinanzierung funktioniert bisher nicht ausreichend. Das dürfte auch das Problem des Open Source-Betriebssystems Linux sein. Mit allen Distributionen hat Linux heute einen Marktanteil von weniger als einem Prozent bei Desktop oder mobilen Computern. Ein akzeptables Geschäftsmodell fehlt bislang", meint der Harvey Nash-Chef.
 
Online Communities werden sich nach Marktanalysen von Mind-Geschäftsfüh-rer Bernhard Steimel weiter ausbreiten mit einer stärkeren Spezialisierung. Ein gutes Beispiel ist ‚World of Warcraft’. Die Erweiterung des System unter dem Namen ‚Wrath of the Lich King’ verkaufte sich am ersten Tag 2,8 Millionen mal und die Spielteilnahme kostet pro Monat 11 bis 13 Euro", erläutert Steimel. Cloud Computing, also die Nutzung von Applikationen über das Netz, wurde schon oft propagiert, wird sich nach Expertenansicht auch mit den Netbooks für Standard-Anwendungen wie Office-Applikationen nicht durchsetzen. „Warum soll der Anwender für die Nutzung einer Software bezahlen, die er ebenso gut kostenlos als Open Source installieren kann, und die dabei immer – unabhän-gig vom Online-Zugang – verfügbar ist", so Nadolski. Internet-Telefonie – mitt-lerweile in der SIP-Variante – werde sich nach seiner Erfahrung durchsetzen, wenn die Netzbetreiber eine direkte SIP-Anbindung bieten. „Es ist davon auszu-gehen, dass in diesem oder im nächsten Jahr derartige Dienste massiv angebo-ten werden. Mobile Breitbandzugänge, HSDPA oder später LTE (Long Term Evo-lution) werden dann interessant, wenn die Flat Rate-Tarife marktgerecht sind und SIP-Telefonie gleich mit angeboten wird. Auch die Anbieter von Breitband-zugängen werden noch einmal neu sortiert, wobei wenige Anbieter mit xDSL- und 3G-Portfolio übrig bleiben", vermutet Nadolski.

www.ne-na.de

 

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