Wenn falsche Prioritäten zu schlechtem UX-Design führen

Usability-Testing-Wahn: Strategien für eine effiziente Kontrollphase

UX-Design

Monate- oder sogar jahrelange Planung, Entwicklung und Ressourcen fließen in ein neues Arbeitstool ein, ehe es endlich fertiggestellt ist. In dieser Zeit wird besonders ein Prozess meist falsch oder unzureichend angegangen: eine gründliche Testphase. Gerade in industriellen Bereichen ist sie essenziell, um die tatsächliche Gebrauchstauglichkeit einer Software zu überprüfen. Während in der Vergangenheit wenig bis gar kein Fokus auf eben solche Kontrollmechanismen gelegt wurde, hat sich im Laufe der letzten Jahre eine regelrechte Obsession für Usability-Tests etabliert. Ohne Struktur und den richtigen Leitfaden können diese jedoch genau das Gegenteil bewirken und mehr Schaden als Nutzen bringen. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen das Ziel ihrer Software nicht aus den Augen verlieren. Nur so können sie vermeiden, aufgrund von falscher User-Evaluation ein unbrauchbares Design zu entwickeln. 

Läuft doch? Systematischen Fallstricke erkennen

Für eine erfolgreiche Testphase ist die richtige Herangehensweise entscheidend. Werden potenzielle Fehler nur schrittweise provoziert oder reizt das Entwickler:innenteam die Software bis an die Grenzen aus? Während Ersteres zwangsläufig dazu führt, dass Unternehmen in eine Sackgasse geraten, sorgt Zweiteres zumindest für Gewissheit. Denn dann wird nicht nur an der Oberfläche des Systems gekratzt, sondern mitunter gravierende Fehler aufgedeckt. Schlimmstenfalls gelangen die Designer:innen zu der Erkenntnis, ein unbrauchbares Interface programmiert zu haben. Damit es nicht so weit kommt, ist es wichtig, die systematischen Fallstricke während dieser entscheidenden Testphase zu kennen und zu vermeiden.

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Voreingenommene Teilnehmerauswahl: Wen lasse ich testen?

Die Wahl der richtigen Testpersonen ist nicht immer einfach und muss anhand konkreter Kriterien erfolgen. Wer ein Interface durch Freunde oder Familienmitglieder testen lässt, kann vermutlich eher mit einem ehrlichen Feedback rechnen. Doch entsprechen Angehörige mitunter nicht der Zielgruppe. Diese muss daher im Vorfeld klar definiert werden. Mitarbeitende als Versuchsteilnehmer:innen sollten sorgfältig gewählt werden. Schließlich müssen sie die zukünftige Zielgruppe realistisch vertreten können. Sind die bestimmten Personen nicht repräsentativ für die tatsächlichen Nutzer:innen, spielt auch die Anzahl der Befragten keine Rolle. Das Motto „viel hilft viel“ greift hier nicht. Zudem kann eine voreingenommene Haltung problematisch sein. Ist die Probandengruppe beispielsweise dem Projektteam gegenüber wohlgesonnen, können die Ergebnisse verfälscht werden. Nett gemeintes Feedback ist destruktiv. Oftmals hinterfragen kritische Tester:innen mehr und sind damit zielführender.

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Ziele definieren: Was soll das Interface überhaupt bewirken?

Viele Designer:innen lassen „aus dem Bauch heraus“ testen und definieren keine realistischen Ziele. Soll ein Testing das Design validieren, begehen sie bereits den ersten Fehler. Erfolge lassen sich nicht beweisen. Misserfolge hingegen schon. Daher sollte der Fokus immer auf den Nachweis einer schlecht konzipierten Benutzeroberfläche gelegt werden. Wenn diese nicht eindeutig bewiesen werden kann, besteht zumindest noch die Chance, dass beide Sachverhalte infrage kommen – eine Art „Schrödinger‘s Design“. Ein besserer Ansatz sind deshalb konkrete Situationen. Soll das Interface beispielsweise zum Kauf animieren, muss das Usability-Testing zeigen, dass die Probanden nicht kaufen. Wird diese Annahme bestätigt, haben die Entwickler:innen Gewissheit, dass das Design unbrauchbar ist. Bleibt die Legitimation aus, ist es zumindest noch möglich, dass die Benutzeroberfläche entweder gut oder schlecht durchdacht ist. Unklare Zielsetzungen und allgemein gehaltene Testfragen führen jedoch dazu, dass keine brauchbaren Ergebnisse ermittelt werden.

Schlecht konzipierte Forschungsmethoden und falsche Analysen

Wer glaubt, ein paar Fragen per Rundmail zu versenden, reiche für eine erfolgreiche Testphase aus, der irrt sich. Auch eine sorgfältige Dokumentation ist unabdingbar. Die definierten Ziele müssen – ebenso wie die jeweiligen Methoden zur Beweisführung – sauber in einem Protokoll festgehalten werden. Dabei benötigen die jeweiligen Zielfragen ganz individuelle Vorgehensweisen. Unternehmen, die auf eine allgemeingültige Taktik setzen, werden sich früher oder später in unzureichenden Mechanismen verstricken. Daher ist es wichtig, immer wieder zu hinterfragen, welche Funktion mit dem Interface erfüllt werden soll. Zudem fallen gerade unerfahrene Entwickler:innen schnell in den User-Testing-Wahn und setzen auf eine Masse an Daten. Statistisch macht es jedoch keinen großen Unterschied, ob 10 oder 100 Personen befragt werden. Eine differenziert ausgewählte Zielgruppe, die auf den jeweiligen Nutzen der Funktion abgestimmt ist, ist zielführender als Zahlen allein.

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Der Bestätigungsfehler

Fehlende bzw. mangelhafte Protokolle führen schließlich dazu, dass falsche Rückschlüsse gezogen werden. Der Confirmation Bias sorgt dafür, dass unbewusst nur die Informationen wahrgenommen werden, die das erwartbare Ergebnis bestätigen. So können unzureichende Usability-Tests genau dazu führen, dass Entwickler:innen nur jenes Feedback berücksichtigen, dass ihre eigenen Zielsetzungen bestätigt. Werden diese Annahmen nicht durch nachvollziehbare Protokolle widerlegt, ist es kein Wunder, dass das Design-Konzept am Ende scheitert. Bereits die Art und Weise der Ermittlung kann das Feedback der Testpersonen verfälschen, etwa wenn suggestive Fragen gestellt werden.

Fazit: Es gibt keine Abkürzungen!

Ohne eine systematische, methodische Herangehensweise werden Fehler passieren und diese können weitreichende – vor allem finanzielle – Folgen für ein Unternehmen haben. Ein effektives Usability-Testing kennt keine Abkürzung zu schnellen Ergebnissen. Allgemein gehaltene Fragen, unsaubere Dokumentation und mangelnde kritische Reflexion führen zu ineffizientem Design. Wer nicht bereit ist, den erforderlichen Aufwand aufzubringen und die Testphase entweder komplett auslässt oder diese auf eine Bauchentscheidung stützt, wird zwangsläufig ein schlechtes Produkt entwickeln. Gleichzeitig kann auch ein zu viel des Guten kontraproduktiv sein und zu einem regelrechten „User-Testing-Fetisch“ ausarten. UX-Desginer:innen müssen daher anfangen, sich selbst als „Scientist-Practitioners“ zu verstehen. Es braucht keine Masse an Daten, sondern lediglich die richtigen Fragen für die passende Zielgruppe. Unterstützen können zudem KI-basierte Tools, wie beispielsweise Cømpass, die die visuelle Komplexität einer Benutzeroberfläche messen und die kognitive Belastung durch ein Design abschätzen können.

Dennis Lenard, Gründer und CEO der UX-Agentur Creative Navy, www.creativenavy.de

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