Am Morgen Abteilungsleiter, am Abend Party-Löwe

Im Theater ist es die Aufgabe des Regisseurs, dafür zu sorgen, dass die Figuren klar gezeichnet sind und dass jeder Schauspieler weiß, was er wann zu tun hat.

Im Leben ist jeder sein eigener Regisseur: Wenn man seinen Platz in der Familie, im Büro, im Kollegium, im Verein gefunden habe, fühlt man sich wohl und es gefällt. Doch wie kann das gelingen?

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„Ich denke, also bin ich.“ Das gab uns der französische Philosoph René Descartes einst mit auf den Weg – an Bedeutung hat diese Weisheit bis heute nichts eingebüßt. In der heutigen Zeit wird das gern etwas zeitgemäßer formuliert: „Ich bin ich!“ Das „Ich“ ist allerdings nicht immer identisch: Beim Meeting bin ich die Leiterin, die die Agenda mit einer führenden Note im Griff haben muss. Am Feierabend bin ich die Party-Löwin, die für gute Stimmung sorgt. Oder der Kollege: Am Morgen noch der Abteilungsleiter, der seinen Azubis die Ansagen macht und am Nachmittag der gebeutelte Mitarbeiter, der gegenüber einem ausrastenden Kunden einfach mal den Kopf hinhalten muss, weil ja der Kunde so etwas wie der König sein soll. 

Man hat verschiedene Rollen im Leben. Dazu gesellen sich noch die unterschiedlichen Gruppenrollen. Bruce Tuckman beschreibt in seinem Werk über die „Teamuhr“ bereits im Jahr 1965 zur Teamentwicklung die berühmten Schritte „forming, storming, norming, performing, mourning“. Ob sich jeder im Team wohl fühlt, hängt von der psychologischen Sicherheit ab, die die Etappe von Norming zu Performing prägt. Diese hängt stark davon ab, wo der eigene Platz in der Gruppe ist. Hat jeder seine Rolle gefunden? Das ist nicht nur in einem Büro so, das geschieht genauso in einem Verein, in einer Besprechung mit Kunden oder Mitarbeitern, sogar in der Familie. Für das zweite Kind ist es anspruchsvoller als für das erste, seine Rolle zu finden. Doppelrollen gibt es nicht und führen immer zu Konflikten. 

Eigene Rolle(n) finden und ausfüllen

Eine Geschichte von Ignaz Wrobel aus „Die Weltbühne“ zeigt die Vielfalt der Rollen sehr schön: Morgens steht der Familienvater auf, drückt als Gatte einen Kuss auf die Stirn der lieben Gattin, küsst die Kinder als Vater und hat als Fahrgast eine Auseinandersetzung in der S-Bahn mit einem anderen Passagier. Als Teamleiter am Arbeitsplatz betritt er das Büro, wobei er sich in einen Vorgesetzten und einen Untergebenen spaltet. Als Gast nimmt er in der Mittagspause ein Getränk und das Tagesmenü zu sich und betrachtet als Mann wohlgefällig die Beine der Bedienung. Er kehrt ins Büro zurück, diskutiert beim Kaffee, den er holen lässt, als Kollege und Flachwassersportler mit einem Kollegen einige Vereinsfragen, schält einen Apfel, beschwert sich als Telefonabonnent beim Provider, hat als Onkel ein Telefongespräch mit seinem Neffen und kehrt abends heim – als Mensch?

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Es hängt von der Situation und dem jeweiligen Gegenüber ab, welche Rolle man einnimmt. Es geht darum, zu überlegen, welches Verhalten und welche Facetten diese jeweilige Rolle prägen. Emotionen, Ausdruckkraft, typische Element – das alles wird verinnerlicht, vieles passiert auch automatisch und unbewusst. 

In der Rollenfindung geht es darum, das Rollenspezifische mit den ureigensten Charaktereigenschaften zu verknüpfen, sich Fragen zur eigenen Person zu stellen: Wie interpretiere ich persönlich die Rolle der Chefin? Wo habe ich Eigenschaften, die eine solche Rolle von mir verlangen, auch schon gezeigt? Vielleicht im Zusammenhang mit meinen Kindern? Was hat diese Rolle dort für mich glaubwürdig gemacht? 

Stefan

Häseli

Speaker & Kommunikationsexperte

Atelier Coaching & Training AG

Als Kommunikationsberater begleitete Stefan Häseli während mehrerer Jahre zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen und dozierte an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation. Er gehört zu den Business Comedians der ersten Stunde, begeistert sein Publikum mit feinsinnigem Humor und schreibt Bücher, Fachartikel und Kolumnen.
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