Regierungen weltweit sehen sich mit einer weiterhin eskalierenden Krise konfrontiert und erarbeiten Pläne für das Pandemiemanagement. Dabei spielen auch die Vorteile digitaler Überwachungsnetze eine Rolle. 5G-Netze und schnellere Mobilfunkgeschwindigkeiten erlauben es, Kontakte nahezu in Echtzeit nachzuvollziehen.
Lokale Infektionsherde, etwa auf Gemeindeebene oder in einzelnen Städten, sollen sich so schneller identifizieren und bewältigen lassen. Das ist wichtig, um den Bedarf an medizinischen Ressourcen einigermaßen zuverlässig zu prognostizieren und diese im Bedarfsfall korrekt zuzuteilen. Gleichzeitig kann man überprüfen, ob lokale Richtlinien und Notfallvorschriften eingehalten werden.
Die Technik wurde bereits in mehreren Ländern erfolgreich eingesetzt. In Südkorea hat die Regierung die Standortverfolgung von Smartphones, aber auch Material aus der Videoüberwachung und Transaktionsdaten von Kreditkarten benutzt, um Übertragungsketten zu erfassen. Wurden einzelne Personen positiv auf das Corona-Virus getestet, wurden Bekanntmachungen und anonymisierte Bewegungsprotokolle veröffentlicht. Der Staat Israel erlaubte im Rahmen der Pandemiebekämpfung Mobilfunkanbietern, die Standortdaten von Smartphones auszutauschen und COVID-positive Patienten zu tracken.
Auch die im März angekündigte chinesische Plattform Alipay erfasst inzwischen den Verlauf von Smartphone-Positionen an bestimmten “Kontrollpunkten”. Dort werden Farbcodes vergeben, um Bürger zu identifizieren, die möglicherweise Virusträger sind. Relevante Informationen werden zusätzlich mit den örtlichen Strafverfolgungsbehörden ausgetauscht. Russland verfährt bei der Nachverfolgung von Geodaten ähnlich.
Robert Redfield, der das Center for Disease Control and Prevention (CDC), eine der US-amerikanischen Gesundheitsbehörden, leitet, sieht ein konsequentes Contact-Tracing als absolut notwendig an, und er hebt die Bemühungen der Regierung hervor, technologiegestützte Möglichkeiten zur effizienteren Überwachung zu prüfen. Während diese Projekte noch in Planung sind, forschen Wissenschaftler und Technologiefirmen an Ansätzen zur Standortbestimmung, die nicht von direkten und kontinuierlich erfassten Geolokalisierungsdaten abhängig sind.
Wenn Technologiegiganten sich zusammentun
Google und Apple, zwei der weltgrößten Technologieunternehmen, haben angekündigt, gemeinsam an nationalen Contact-Tracing APIs zu arbeiten. Diese APIs verwenden Bluetooth-Daten, die zwischen benachbarten Geräten übertragen werden, um die Entfernung der Geräte voneinander zu ermitteln, ohne die Standortdaten einer bestimmten Person zu erfassen. Jedes mit dem Internet verbundene Gerät hat eine eindeutige IP-Adresse, die es identifiziert. Viele von uns geben sich extrem viel Mühe, ihre IP-Adressen zu verbergen. Ist die Technologie jedoch aktiviert, tauschen die einzelnen Telefone anonymisierte Verifizierungs-Beacons aus, die auch “Chirps” oder “Keys“genannt werden. Sie ändern sich alle paar Minuten, um zu verhindern, dass Identifikatoren auf eine bestimmte Person oder ihr Gerät zurückgeführt werden können. Diese Informationen werden 14 Tage lang lokal auf den Geräten gespeichert und protokollieren alle Begegnungen mit einzelnen Benutzern der App.
Wenn also ein Nutzer COVID-positiv getestet wurde, kann er sich entscheiden, seine Interaktionen anonym, lokal über die Cloud zu teilen, um seine Kontakte zu informieren. Apple und Google wollen diese Funktionen zeitnah direkt in die Android- und iOS-Software implementieren. Der Nutzer muss dann keine separate App mehr herunterladen, um sich anzumelden.
Das MIT war das erste Institut, das die Bluetooth-basierte Contact-Tracing-Technologie über seine SafePaths-Anwendung eingesetzt hat. Stanford zog dann mit seiner COVID Watch App nach. Eine Forschungsgruppe der EU veröffentlichte kürzlich ebenfalls die besten Softwarestandards für ein Bluetooth-basierte Tracing, das Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing. Die Sicherheitsbedenken gegenüber der Bluetooth-Technologie schie
Vor- und Nachteile von digitalem Contact-Tracing
Innovative Scan- und Tracking-Apps, wie der Quittungsscanner von Wave, beschränken sich nicht auf Anwendungen im Gesundheitswesen, sondern man findet sie auch in Branchen wie dem Bank- und Finanzwesen. Die veränderte Herangehensweise hat einige nicht ganz unwesentliche Vorteile gegenüber den konventionellen Methoden bei Contact-Tracing oder digitaler Überwachung.
Das digitale Contact-Tracing bietet einen skalierbaren Ansatz. Das ist anders als beim konventionellen Contract-Tracing, das im Allgemeinen auf der Erinnerung von Patienten basiert, die kürzlich in Kontakt mit anderen Personen waren. Das Coronavirus breitet sich global weiter aus. Man kann wohl davon ausgehen, dass die herkömmlichen Methoden, Kontakte nachzuvollziehen, bald ad acta gelegt werden. Schon allein deshalb, weil man ganze Heerscharen von medizinischem Fachpersonal bräuchte. Die derzeitig freiwillige Teilnahme am digitalen Contact-Tracing, die rotierenden Schlüssel und die kurzfristige Datenspeicherung bieten deutlich mehr Vertraulichkeit als die meisten derzeit international eingesetzten Systeme.
Die südkoreanische Regierung nutzt mobile Standortdaten, Kreditkartenaufzeichnungen und Videos, um positiv getestete Personen zu überwachen und Hotspots zu prognostizieren. Mit Unterstützung von Vollzugsbeamten verlangt die chinesische Regierung die Einführung einer Software, die individuelle Risikoraten für eine Ansteckung ermittelt, und auf dieser Basis Einzelpersonen den Zutritt zu öffentlichen Räumen gestattet. Diese Art von Intensivüberwachung wird kaum auf breite Zustimmung stoßen.
Die Neuentwicklung von Apple und Google wird vermutlich eher akzeptiert und eingesetzt werden. Und sie bietet mehr Datenschutz als viele andere internationale digitale Überwachungssysteme. Die Cloud-Sicherheit hat sich in letzter Zeit deutlich verbessert und angesichts der Tatsache, dass Android und IoS auf fast 99 % aller Mobilgeräte zu finden sind, sind die beiden Technologiegiganten am besten in der Lage, jedes digitale Tracking-Tool für Smartphones oder Tablets in die nötige Breite zu skalieren. Firmen wie Apple und Google haben die Kapazitäten in kürzester Zeit massentaugliche Produkte zu entwickeln, die gleichzeitig richtlinienkonform sind. Die aus dem System gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur an Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens weitergegeben werden, um das Management während der Pandemie zu erleichtern. Contact-Tracing Daten spielen zudem eine entscheidende Rolle bei der Informationsvermittlung hinsichtlich der lokalen und staatlichen Vorgaben.
Im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen birgt der neue Ansatz viel Potenzial. Trotzdem bleiben Bedenken was Vertraulichkeit und Datenschutz anbelangt, und die wirken sich auf die Zustimmungsraten aus. Die Re-Identifizierung anonymer Identifier Beacons ist ein primäres Datenschutzanliegen bei COVID-19-Tracing-Systemen. Wenn die Anonymität von Contact-Tracing Daten kompromittiert wird, lassen sich auch die betreffenden Personen zurückverfolgen.
Das Cloud-basierte Hosting vertraulicher Identifier Beacons kann riskant sein. Im Falle eines erfolgreichen Cyberangriffs ist es möglich, Personen anhand einer konsolidierten Liste von Identitätsmarkern wieder zu identifizieren. Regierungen können natürlich nicht nur für den Einsatz der Technologie werben, sie können auch versuchen sie durchzusetzen. Als Vorteile werden neben dem deutlich verbesserten Datenschutz vor allem die Datenqualität und die Funktionsfähigkeit ins Feld geführt.
Mögliche Informationslücken, die fälschlich Warnungen auslösen (False Positives), betreffen vor allem die genaue Messung der tatsächlichen Gerätedistanz, die Expositionsdauer und eine hohe Wahrscheinlichkeit von False Positives, in Fällen, wo Personen in einem Gebäude dicht an dicht leben. False Negatives können theoretisch auftreten, wenn das Handy aufgrund einer Übertragungsstörung kein Bluetooth-Signal sendet oder eine kurze Interaktion nicht erkannt wird.
Inwieweit das neue System angenommen wird, hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, Bedenken bei Datenschutz und Vertraulichkeit auszuräumen. Fraglos wird dieses System gesellschaftliches Verhalten beeinflussen und verändern.
Digitaler Biomarker – ein wachsender Trend
Die COVID-Pandemie hat dafür gesorgt, dass elektronische Gesundheitslösungen auf breiter Basis eingeführt wurden und einige Hürden beseitigt. Digitale Gesundheit hat ihren Weg in den praktischen Alltag gefunden. Die Top-down Krisenpolitik der Regierungen fördert virtuelle Treffen, die Remote-Betreuung von Patienten, digitale klinische Studien und digitale Überwachung von Biomarkern. Der Medical Futurist definiert digitale Biomarker als “Daten, die Verbraucher direkt über ein Gesundheits- oder Krankheitsmanagement mittels digitaler Gesundheitstechnologien sammeln, um gesundheitsbezogene Ergebnisse zu erklären, zu beeinflussen und/oder vorherzusagen”.
Mehr Wissen, ein neues globales Rahmenwerk und die Vorteile für bestimmte Behandlungsszenarien, werden vermutlich Druck auf Regulierungsbehörden und Krankenversicherer ausüben, die erzielten Fortschritte nicht zurückzunehmen. Man erwartet, dass Spillover-Effekte dazu beitragen, dass sich digitale Gesundheitssysteme in Zukunft überschneiden.
Die Überwachung von Biomarkern wird in der Post-COVID-Welt nicht verschwinden. Bei der Erstellung epidemiologischer Überwachungsdaten (z. B. proximale Interaktionen mit kontaminierten Patienten) haben digitale Biomarker einen enormen Wert für die Weitergabe von Informationen in großem Maßstab. Wenn sie richtig gesichert sind, kommt man mit Biomarkern schneller und kostengünstiger zu besseren Diagnosestellungen als mit dem üblichen Instrumentarium. Wir werden in naher Zukunft deutlich mehr digitale Diagnoselösungen für therapeutische Bereiche wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Gesundheit sehen.
Sam Bocetta, Gastautor GlobalSign, www.globalsign.com