Wenn es etwas gibt, dass in vielen Banken schnelle Schritte bei der digitalen Transformation verhindert, so ist das sehr oft die Unbeweglichkeit ihrer Legacy-Systeme. Die vorhandene Technologie und die bestehenden Strukturen bedeuten meist Hemmnisse auf dem Weg in die Zukunft.
Zudem sind Migrationsprojekte typischerweise aufwendig, benötigen höhere Budgets und einige Ressourcen. Ein veraltetes oder fragmentiertes Kernbankensystem verwandelt sich nicht über Nacht in eine Open-Banking-Plattform. Auch dies mindert die Fähigkeit einer Bank, agil zu reagieren, neue digitale Lösungen und Angebote zu erproben und in die eigene IT-Landschaft zu integrieren. Gerade deutsche Banken hinken in Sachen Digitalisierung der internationalen Konkurrenz deutlich hinterher. Dennoch: Bereits heute zwingt die PSD2-Richtline Finanzdienstleister dazu, Kundendaten für Dritte zugänglich zu machen. PSD2 ist ein wichtiger Treiber für das digitalisierte Open Banking der Zukunft.
Der Greenfield-Ansatz gegen Altsysteme
Eine immer mehr diskutierte Alternative zum großen Digitalisierungssprung – der kompletten Migration auf eine prinzipiell offene, modulare Banking-Plattform – ist der Greenfield-Ansatz. Dessen Idee: Parallel zu den Altsystemen entsteht dabei eine neue Digitalisierungsplattform fast buchstäblich auf der grünen Wiese. Der große Vorteil der neuen Plattform ist, dass sie von den Fesseln hemmender Legacy-Strukturen befreit ist: ein System ohne Altlasten. In vielen Fällen stellt solch eine neue Plattform auch ein ideales Experimentierfeld dar. Das Finanzinstitut kann so unterschiedlichste Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen, digitale Angebote und Services für seine Privatkunden erproben oder ganz neue Kundengruppen erschließen – bei einer denkbar kurzen Time-to-Market.
Open Banking macht agil
Schnelligkeit und Reaktionsgeschwindigkeit sind wichtige Vorzüge, wenn ein System auf der grünen Wiese startet. Die Bank kann sich aus Standard-Lösungen ihr Wunschsystem bauen, ohne auf technologische oder organisatorische Beschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen. Der Ressourcenbedarf bei der Implementierung ist geringer, und bei einem modernen System mit Plattformcharakter und offener API-Architektur kann die Bank sofort auf innovative Fintech-Lösungen zugreifen, von Robo-Advisory für die Online-Anlageberatung bis zur neuesten Regtech-Lösung für Compliance-Fragen. Zum Greenfield-Ansatz gehört fast zwingend auch das Open-Banking-Prinzip – sonst baut sich eine Bank auf ihrem Experimentierfeld nur den nächsten unbeweglichen Monolithen.
Die Schnittstelle zur Bilanzierung
Der große Vorteil der neuen offenen Banking-Plattform – sie ist am Anfang ein leeres System ohne große Datenmengen und Abhängigkeiten – stellt zugleich die initiale Herausforderung dar. Denn viele Banken und Wealth Manager werden keine eigenständige Entität für ihr neues digitales Geschäftsfeld gründen. Die digitale Experimentalplattform muss also erst mit relevanten Daten aus den alten Systemen befüllt werden. Auch bei solch einer zunächst kleinen Migration können sich unterschiedliche Datenmodelle als Hürde erweisen. Das eine System arbeitet vielleicht objektorientiert, das andere relational, und manche Daten lassen sich vielleicht nur als CSV-Files aus Excel-Dateien exportieren. Dennoch: Diese Aufgabe ist beherrschbar. Und damit die Bilanzierung der Bank funktioniert, reicht gegebenenfalls schon eine Schnittstelle der neuen Plattform zum Hauptbuch der Bank aus, mit dem dann ein Mal täglich ein Datenaustausch stattfindet.
Sehr schnell am Markt
In einer besonders komfortablen Situation in Sachen Greenfield-Ansatz sind natürlich neugegründete Banken, die ihre offene, modulare Kernbankenplattform tatsächlich von Grund auf und ohne Rücksicht auf Legacy-Strukturen aufsetzen dürfen. So hat es beispielsweise die solarisBank, ein Berliner Fintech, gemacht. Ebenfalls schnell am Markt war die völlig neue, auf den Britischen Jungferninseln zugelassene Bank of Asia. Durch eine offene Plattform im SaaS-Modell war das Finanzinstitut innerhalb von sechs Monaten produktiv. Auch die Intesa Sanpaolo Private Banking Suisse und das Schweizer Bank-Start-up Banque du Léman konnten innerhalb weniger Monate starten.
Die digitale Zukunft
Für etablierte Finanzinstitute schafft der Greenfield-Ansatz mit Open-Banking-Plattform aber nicht einfach nur eine Spielwiese, um Digitalisierungsoptionen unverbindlich zu testen und neue Applikation an- und wieder abzuschalten. Es lohnt sich, Projekte, die sich bewähren und bei denen klar wird, dass sie auf die Strategie der Bank einzahlen, fortzusetzen. Eine Bank, die positive Erfahrungen mit ihren diversen Greenfield-Projekten macht, kann daraus mittel- bis langfristig durchaus die strategische Konsequenz ziehen, dass es doch Zeit für die große Migration auf das neue System ist. Denn an der Digitalisierung führt für die Branche kein Weg vorbei. Moderne Open-Banking-Plattformen liefern die Technologie für die digitale Transformation.
Karl im Brahm ist CEO der Avaloq Sourcing (Europe) AG und Head of Germany. Er war unter anderem Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Deutschen Postbank AG sowie Mitglied des Vorstands bei der S Broker AG & Co. KG und der Deutschen WertpapierService Bank AG. Bevor er 2018 als Vorstandsvorsitzender der Avaloq Sourcing (Europe) AG zu Avaloq wechselte, hatte er als CEO einer Beratungsgesellschaft diverse Mandate für Digitalisierungs- und Vertriebsprojekte bei verschiedenen deutschen Großbanken inne.